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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Seydlitz, Reinhard von: Vor- und nachmärzliche Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0300

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vor- und nachmärzliche Kunstkritik, von R. o. ?eydlitz

2Z,

gegossen, so daß ein Teil ins Schiff läuft, worüber die
Apostel sehr ungehalten sind und dem Maler allerhand
verdrießliche Geberden machen."

Und so fort; in diesem Ton urteilte man über eine
Darstellung des Wunders vom See Genezareth.

Aber das ist noch nichts. Steigen wir gleich in den
untersten Trichter der Malerhölle, allwo der blutige Künstler-
fresser L. Ernst Kossak*) in grauser Majestät thront
und gleich dem Danteschen Hauptteufel mit mehrfachen
Zermalmungswerkzeugen arbeitet. Es gibt vielleicht kein
Buch, in dem auf 128 Seiten so viel Gift und Bosheit
verspritzt wird, als dieses. Milde Behandlung heißt's bei
Kossak, wenn er einem Fr. Schalter (S. 40) wegen
eines Perspektivensehlers zuruft: „Fort mit
ihm nach China und Japan!" — Eine
deutlichere Sprechweise beliebt er S. 58, wo
er G. Mücke, Düsseldorf, —Erstürmung
von Jerusalem, — einfach sagt, das Bild
sei niit Mückenfett gemalt, und dazusetzt:

„Guter Herr, von Gottfried von Bouillon
haben Sie uns nur die Bouillon gemalt,
das Rindfleisch ist in Düsseldorf ge-
blieben!" — Überhaupt wird auf jeder Seite
die stinkende Schale der Bosheit über die
Düsseldorfer Schule ausgegossen; S. 118
heißt es: „Noch ist eine andre Merkwürdig-
keit au dem Bilde, nicht die, daß es dem
rheinisch-westphälischen Kunstverein gehört

— denn wo gäbe es ein schlechtes Bild,
auf das diese Kunstinnnng nicht Beschlag
legte", u. s. f.; über ein Lccs domo des
alten Schadow heißt es in der sechs Worte
langen Kritik mit latenter Bosheit, die gleich
einem Stecknadelkncheu erst im Magen auf-
geht, „diesen Kops hat der Direktor ge-
malt". F. W. Wegener (Waldbrand niit flüch-
tigen Tieren) wird mit den Worten abgethan:

„Der gleiche Effekt wäre erreicht, wenn man
einen Sack voll Katzen nähme und ihn aus
der ersten Etage auf die Straße schüttete."

— Aber nun höre man, wie ein königl.

Professor und Mitglied der Berliner Akademie
behandelt wird: I. Wolfs bekommt S. 121
folgendes auf den Kopf: „Wie uns von
mehreren Seiten versichert wird, gilt dieser
Künstler auf der hiesigen Akademie für einen
Meister und ein Vorbild im Kolorit; wir
beeilen uns diese interessante Neuigkeit mit-
zuteilen." Wenn unsereins das thäte!-

Schadow hat einmal gesagt, die Malerei
könne eingeteilt werden in die Kunst, a) Bilder zu malen,
und b) (die größere von beiden) die Bilder an den Mann
(Bankier, Kommerzienrat rc.) zu bringen. Eine dritte,
aber enorm leichte Kunst scheint die zu sein, über aus-
gestellte Bilder zu witzeln. In dieser Kunst sind stützende
Fortschritte seit Fechner, ja selbst seit Kossak gemacht
worden. G. Heil z. B.**) trifft vielleicht in den zehn
Jahren (1870—80), in denen er Pfeil auf Pfeil in die
Wunden moderner Kunst schoß, weniger grob als Kossak,
aber auch weniger ernst. Dagegen ist keine Zeile in dem

') Berliner Kunstausstellung des Jahres 1846; Illustratio-
nen von W. Scholz; Berlin 1846.

**) Zehn Jahre Berliner Kunstgeschichte, Berlin, P. Gültig.

Buch, aus der es nicht mehr oder weniger nach „Wipp-
chen" röche; der ach so beliebte Kalauer wälzt die
beißenden Fluten des Pankewassers durch die Augiasställe
voll mißratener Kunstwerke. Der Ton ist folgender:
(S. 11) „Je mehr die Künstler ausznstellen haben, desto
mehr haben das geehrte Publikum und die Herren Ver-
treter der Presse auszustellen. Auch wir sind dazu be-
rufen (unberufen!) den Aufgehängten eins aufzuhängen",
u. s. w. — ! — Bei Gelegenheit des neuen Petroleum-
firnis heißt es: „Könnte nicht jemand einen Rizinusöl-
firnis erfinden (damit nämlich die Bilder schneller ab-
gehen!)? — Oft ist bei Heil zu bedauern, daß die
Reproduktionen der besprochenen Bilder nicht beigegeben

sind; seine Vergleiche, wie folgender, bleiben deshalb
unverständlich: Der Eindruck des frommen Malwerkes
(Immaculata, conceptio) ist der eines dreimal gewärmten
Frikassees nach einem Gewitter; zarte Wölkchen aus
Schokolade mit Schlagsahne sind um die Figuren ge-
quirlt" .... Bei Gelegenheit von Siemieradzkys Leben-
den Fackeln heißt es: „ob der Jude oder der freisinnige
Christ mehr kohlt oder mit weißerer Asche verbrennt,
oder wer von beiden mehr Nebenluft hat," u. s. w. —
Über dem Titel „Kniestück einer Tirolerin" donnert Zeus-
Heil eine ganze Weile; denn, sagt er, grade das Knie
fehlt auf dem Bilde (!!) — Wie aber die zu ihrem
Ün-Heil besprochenen Bilder aussehen, davon erfahren

Aludirnkopf. von Mar Michael
 
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