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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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M., H.: Der junge Künstler von ehedem und heut
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266

Der junge Künstler von ehedem und heut, von ks. M.

malung antiker Kunstwerke — kein Beleg in der ganzen
hellenischen Kunst zu dem Satz, daß Farbenüberfluß mit
Formlosigkeit verbunden das Ideal der Kunst sei. Ter
heutige junge Künstler aber möchte die Welt zum farbigen
Chaos umgestalten. Wohl unfern Altvordern, daß der
Impressionismus noch nicht erfunden war. Weißt du,
geehrter Leser, wofür ich denselben in seinen Angeburten
halte? Für eine Art Augenkrankhcit. Ich sehe für
meinen Teil aber gar nicht ein, warum ich mir die
Welt nur von der Ferne und nicht in der Nähe be-
trachten soll, und vor allen Menschen sollte doch der
Künstler mit offenem und nicht mit zugekniffenem
Auge durchs Leben gehen!

Einstmals setzte sich der Maler mit einer Idee an
seine Staffelei — heute ist es nur ein Beweis von
Gehirnschwäche und Geistlosigkeit Ideen haben zu wollen;
das Zeitalter der lebensgroßen Kohlköpfe zieht trium-
phierend in die Kunst ein — früher schwatzte man nur
Kohl, heute malt man ihn! — Plünderte der Maler
ehemals den ganzen Olymp für seine Komposition, ließ
er sämtliche Heroen Modell zu seinen Bildern sitzen,
so ist jetzt der Olymp entgöttert — man kennt nur
einen Gott — den Pleinairismus. Ihm zu Liebe er-
duldet der geschniegelte Kunstjünger geduldig alle Schick-
salstücken. Mit Todesverachtung läßt er seine weißen
gepflegten Hände von der Sonne verbrennen, von Mücken
zerstechen, das elegante Röckchen von Regengüssen durch-
weichen — ja er würde geduldig selbst den Blitz neben
sich einschlagen lassen, wenn er dadurch seinem Götzen
zu dienen glaubte.

Pleinair! — wie riecht das so würzig nach frischem
Heu, wie klingt das klüftig wie Gletscherluft. Was die
ermatteten Nerven der Großstädter betrifft, so wäre von
sanitärer Seite wahrhaftig nichts dagegen einzuwenden,
wenn die Maler, statt unter ihrem sonnenbeschienenen
Glasdach, vier Treppen, im Sommer zu schmoren, im
Winter die Steinkohlenluft ihres eisernen Ofens zu
atmen, samt und sonders unter die Pleinairisten gingen,
ihren Körper wind- und wetterfest zu machen. Nur
schade, daß die Pleinairisten oft gar nicht Pleinairisten
sind. Oft suchen sie mit Vorliebe sich Eckstuben mit
sehr vielen Fenstern ans, in denen es gewöhnlich sehr
zieht, möglichst so, daß der Beschauer nicht die verschie-
denen Lichtquellen sieht und dann eine angenehme Be-
schäftigung hat, zu erraten, aus welchen verborgenen
Winkeln das Licht auf die Figuren fällt. Verhängnis-
voller noch für den Körper des Malers als die zugigen
vielfenstrigen Stuben ist eine andre Schwärmerei des
Pleinairisten: nämlich die, seine Leutchen in einer Be-
leuchtung zu malen, in der man sich notwendigerweise
die Augen ruinieren muß: von der einen Seite dämmerndes
Tageslicht, von der andern — die angezündete Lampe!
Aber einfaches Lampen- und Kerzenlicht genügt heutzu-
tage nicht. Wir sind im Zeitalter der Elektricität; die
würdigste Aufgabe der Malerei ist jetzt möglichst realistisch
den Unterschied zwischen Glüh- und Bogenlicht womöglich
in einem Bilde uns vorzuführen, während man sich
bisher nur bescheiden begnügt hat, die Bilder rosig zu
beleuchten, indem man den Lampenglocken das berühmte
Matinöhänbchen von rosa Crepe aufsetzte. Wahrlich,
nun fehlen nur noch Bilder mit bengalischer Beleuchtung,
an deren Aufkommen in der Malerei ich nicht zweifle,
nachdem ich den „Hamlet" im „deutschen Theater" (zu

Berlin) auch vom Standpunkt des Pleinairismus aus
mit ziehenden Wolken und wechselnden Lüften jüngst
dargestellt gesehen!

Wenn dergleichen Beleuchtungsprobleme beim figür-
lichen Bild heutzutage in den Vordergrund treten, wie
viel mehr Bedeutung wird ihnen in der Landschaft ein-
geräumt, mit deren Wesen sie naturgemäß eng verknüpft
sind. Gerade in der Landschaft Platzen darum die Ge-
gensätze von heut und ehedem am schroffsten aufeinander:
früher die komponierte, die heroische Landschaft — heute
das Stimmungsbild. „Licht- und Lufteffekte wurden
eher gemieden als gesucht", berichtete einer unsrer guten
Altvordern. Und doch liegt in dem echt modernen Zug
nach Luft und Licht, gleichviel, ob er im Figuren- oder
Landschaftsbild auftritt, der lebenskräftigste Zug unsrer
heutigen Kunst. Licht und Luft, die Freude an der
Farbe sind nur das äußere, sinnliche Element dieser
Richtung; der Pleinairismus vergeistigt, vertieft, wird
zum Stimmungsbild —- in seinen besten, edelsten Trägern
bringt er im nebeligen Herbstdunstkreis der Atmosphäre,
im glühenden Zittern der Sonnenfleckcn des Waldesgrüns
das bewegliche Spiegelbild unsrer Seele zum Ausdruck —
nicht der Gedanke dominiert heut in der Kunst, wohl
aber das Gefühl!

„Rom" war das Zauberwort, das vor Jahren
alles, was den Pinsel schwang, nach dem Süden trieb —
per pocies opostuloi'nm trat man meist die Reise an;
Respekt vor den Meistern der Vergangenheit, Achtung
vor den lebenden älteren Kunsthäuptern, hieß die Jugend
dort emsig in den Galerien studieren. Traf man dann
abends in der bescheidenen Osteria zusammen, so genierte
man sich nicht einzugestehen, daß man von den Alten
doch auch etwas lernen könne. Anders heutzutage!
Paris ist das Eldorado unsrer jungen Generation, nach
welchem sie in einem Schlafkoupee des Blitzzuges hin-
saust, nicht um dort zu studieren, das gibt sie wenigstens
nicht ehrlich zu, sondern um sich dort die „Mache" der
Franzosen abzusehen. Während früher „der Maler nicht
zu maleu brauchte und es für das untrüglichste Zeichen
eines Genies galt, weder einen Kopf, noch eine Hand
zeichnen zu können", dominiert heut der Spachtel, mit
einem Wort, die Technik. — Respekt vor irgend etwas
in der Welt ist auch unmodern: mau muß heut L tont
xrix originell und individuell sein; da das doch schlechter-
dings leider nicht jedem gegeben, so verheimlicht der
Tnrchschnittskünstler entweder sorglich die Quellen seiner
Anregung und Anlehnung: er hat „alles aus sich"! öder-
er sucht eine ganz absurde Übertrumpfung der Absonder-
lichkeiten eines großen Zeitgenossen — er versucht zu
überböcklinisieren oder noch mehr auf Pappe zu malen
als Lenbach! —

Mit einer Respektlosigkeit vor dem Künstler und
der historischen Vergangenheit der Kunst ist ein Kultus
für die Natur verknüpft, daß man das Motto für ein
echtes Exemplar eines Künstlers ü In irrockv wählen
möchte: „nur für Natur hegte er Sympathie". Was
würde unser guter Ludwig Richter, welcher von seiner
Zeit bereits berichtet, „die neue Richtung schiene ihm
aus der Rückkehr des Manierismus in die Natur zu be-
stehen, heut dazu sagen, daß wir seine Natur so furcht-
bar unnatürlich finden!?

Dieser Hang nach „Natur" hat als ein neues do-
minierendes Element die „Momentaufnahme" in unsre
 
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