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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Pecht, Friedrich: Die Münchener Jahres-Ausstellung von 1891, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0411

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Z22

Die Münchener Lahres-Ausstellung von loyl

bemerkt man nun selbst in der dänischen Ausstellung, deren größtes Bild, Kroyer's „Komiteesitzung der
französischen Ausstellung in Kopenhagen" den Künstler sogar ganz zur Granmalerei übergegangen zeigt.
Es ist durch solche übermäßige Anwendung von Lufttönen in einem geschlossenen Raum, trotz des interessanten
Stoffes, der Gelegenheit zur lebensgroßen Darstellung einer Reihe der berühmtesten französischen Meister bot,
dennoch koloristisch ziemlich reizlos und monoton geworden, wofür selbst die wohl meist nach Photographien
nicht ohne Feinheit gemalten Köpfe kaum entschädigen können, da das Individuelle unter dieser übermäßigen
Betonung der Luft- und Lichtwirkungen nicht zu seinem Rechte kömmt. Die „Soiree in der Glyptothek von
Ny Karlsberg" desselben Künstlers, die uns den reichen Bierbrauer, der mit Aufopferung von ein paar Milli-
onen diese Sammlung geschaffen, umgeben von Künstlern und Gelehrten zeigt, wirkt aus gleichem Grund
koloristisch auch nicht besser. Beide Bilder zeigen deutlich, wie Recht die Alten haben, wenn sie sowohl den
Lusttönen als den Reflexen möglichst aus dem Wege gehen. Kann man denn ernsthaft glauben, daß ein
Titian oder Corregio sie gar nicht gesehen hätten? Die Eigenschaften der altdänischen Kunst findet man dagegen
am glänzendsten ausgeprägt bei einem Begräbnis auf hoher See von Sundt-Hansen. Das ist in seiner
ebenso energischen als fein durchgebildeten Charakteristik der tief ernst um den Sarg herumstehenden Seeleute
— eine Charakteristik, die sich aber nicht auf die Köpfe beschränkt, sondern die individuelle Haltung der Ein-
zelnen, ihre Hände, Füße, Röcke sogar, nicht weniger frappant wiedergiebt — ein Meisterstück ersten Ranges,
das in jeder Galerie seinen Platz selbst neben den besten Alten behaupten würde. Fast ebenso gewissenhaft
bis in's Kleinste durchgeführt und dabei von köstlichstem Humor getragen ist Helfted's Versammlung von
meist alten Fräuleins, bei denen ein junger Geistlicher die Rolle des Fuchses übernimmt, der den Gänsen
predigt. Es müßte wunderbar zugehen, wenn sie ihm nicht wenigstens die Hälfte ihres Vermögens „zu
frommen Zwecken" vermachten! Dabei ist jede einzelne der Damen so individuell gegeben, daß man ihre
Lebensgeschichte nach dem Bilde schreiben könnte. Ich wüßte, die Menzel'schen Gemälde ausgenommen, in der
ganzen Ausstellung nichts, was sich an Feinheit und Lebendigkeit der Charakteristik mit diesen beiden Meister-
werken messen könnte, die in Kopenhagen von den Jüngeren wahrscheinlich auch schon als „überwundene
Standpunkte" betrachtet werden. Als wenn das wahrhaft Gute jemals veraltete oder gar der Wert der Bilder
von ihrer Technik allein bestimmt würde! Dabei hat übrigens das letztere Bild eine Kraft der Farbe und
Klarheit des Helldunkels, wie man sie sonst nur bei den alten Niederländern trifft. Außer diesen hier genann-
ten Hauptstücken sind dann noch Henningsen's „Dänisches Volksfest" ob trefflicher Charakteristik, Otto Bache's
„Husaren", Fischer's „Ny Carlsberger Glyptothek", besonders aber des oben erwähnten Helsted „Vorzimmer
eines Arztes" ebenfalls wegen der scharfen Charakteristik zu erwähnen. Derselbe Vorzug zeichnet auch die
Frauenbildnisse des Frl. Krebs sowie des Frl. Wegmann aus, ebenso Tuxen's Bild der Frau Jakobsen.
Ja selbst in der Tiermalerei erstellt das scharfe Erfassen des Individuellen in Verbindung mit energischer
Färbung, und die lebensgroßen Ochsen des Haslund suchen ihresgleichen in der Ausstellung, wie die Kälber
des Mols, so daß man diesen dänischen Saal einen der wohlthuendsten nennen kann, da sich doch wenigstens
die größere Hälfte der Künstler ihre nationale Selbständigkeit zu erhalten gesucht hat.

Durchweg den extremsten Naturalismus findet man dagegen bei den meist in Paris oder München
gebildeten Norwegern, die deshalb auch lange nicht die interessante Eigenart der Dänen herausbilden konnten,
trotz der verhältnismäßig großen Zahl ihrer Künstler, von deren Werken viele freilich gar 'zu bunt und roh
erscheinen. Sind sie meistens Landschaft- und Tiermaler, so excelliert hier Sinding durch seine großartig
wahren, wenn auch etwas nüchtern kolorierten Schaf- und Rinderbilder, wie durch seine originellen Landschaften.
Ein Phänomen in seiner Art ist dann Fritz Thaulow durch die Kühnheit seiner beiden Winterbilder, die
er in zwei Pastellen von Strandscenen an Glanz und eigenartiger Auffassung sogar noch weit überbietet. Etwas
anderes als mächtig zwingende Stimmung darf man freilich in diesen Werken nicht suchen. Sehr mannigfaltig
begabt erscheint dann Petersen, der sowohl ein meisterhaftes Männerporträt, als gute Landschaft- und Sitten-
bilder gebracht hat. Unter den letzteren ragt Werenskiolds Banernbegräbnis durch die Gewalt der
Stimmung wie der nüchternsten Wahrhaftigkeit vor allen hervor. Berg giebt dann eine eisstarrende Land-
schaft aus den Lofoten nicht ohne wilde Großartigkeit wieder und Ekenaes erstellt durch die schlichte Wahrheit
seines „Fischfanges auf dem Eise". Erweisen sich diese Skandinavier in ihrer Ehrlichkeit bei einer gewissen
Armut der Phantasie als die echten Söhne ihrer rauhen Heimat, so erfreuen sie auch durch die schöne Treue,
mit der sie, großenteils im Ausland lebend, doch immer an ihr hängen. —

Die Engländer

Wie die Nation als solche und die ungeheure Mehrzahl der einzelnen Britten, so machen auch ihre
Künstler vor denen aller andern Völker den selbständigsten Eindruck. Von der Wut der Deutschen, alles
Mögliche und Unmögliche nachzuahmen, zeigen sie in ihrem ruhigen Selbstgefühl auch nicht die leiseste Spur
und selbst von dem heute in der Kunst aller übrigen Nationen spukenden französischen Naturalismus scheinen
sie kaum berührt. Seit Hogarth, Wilkie, Reynolds und Constable haben sie dagegen sehr oft auf andre
 
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