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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Heilbut, Emil: Malende Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0416

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326

Malende Dichter. Von kj. Kelferich

und Schüler ihrer Periode. Prosper Mörimee, der die
geschliffenen Novellen schreibt, der kühl-klare Meister der
Prosa und der Satire und ein Lebenskünstler und ein
feiner Genußmensch, ist auch Autor vorzüglicher Karika-
turen von Thakeray'scher Art; Victor Hugo aber ist ein
gewaltiger Dramatiker der Landschaft.

Viele seiner Zeichnungen sind auf seinen Manu-
skripten entstanden; deren mächtige blaue Bögen zeigen
nur auf den Hälften der Seiten Beschriebenes; auf den
andern sieht man häufig Skizzen, die im Fluge ent-
standen, von verwegener, sicherer Hand ausgeführt,
flammende Landschaftsblicke, Landschaften vielleicht mir
einige Bäume an einem Teich darstellend, schmettert er
mit der Trompete des jüngsten Gerichts hervor, er ist
auch in diesen Randglossen, in diesen in halber Geistes-
abwesenheit, über dem Nachsinnen bei der schriftstellerischen
Arbeit entstandenen Kritzeleien ein Dichter, der im Stil
der Sybille von Nachtgesichten redet. In seinen selb-
ständigen Arbeiten aber tritt diese zu einem machtvollen
Ausdruck hindrängcnde Ader noch weit stärker hervor.
Auch diese Arbeiten sind übrigens selten mehr als Tusch-
zeichnungen, wie aber das Licht in ihnen schimmert und
das Düster zerfetzt ist, wie man Lichtmeere da anstauchcn
sieht und dann daneben wieder das tiefdunkelste Chaos
—- spricht sich der Dichter Hugo in diesen Landschaften
fast ganz wie in seinen Schriften aus, als ein glänzender
Rhetoriker und Künstler der Prachtwirkung. Ritter und
versunkene Städte hat er so gemalt, Burgen und Kruzifixe,
Ansichten aus Belgien und Spanien. Es ist eine Mischung
von Delacroix, viel Delacroix, — mit einem Gran
Rembrandt, glänzende Radiererphantasien zum Teil!
Vieles ist auf der Reise entstanden, während der Fahrt,
in Spanien wurden die merkwürdigen Dinge, wie man
sie sah, skizziert, abends aber in der Herberge der knappe
Umriß Phantastisch ausgelegt, mit Licht und Schatten
gehöht und geschmückt und das einfache Natnrbild
wandelte sich zum romantischen Schrcckensbilde. Je mehr
man aber von diesen Bildern sieht, desto mehr löst sich
ihr Schrecken auf: da sie nur wie aus himmlischer Helle
und Tcufelsdüsternis romantisch zusammengesetzt er-
scheinen, hellstes Weiß, tiefstes Schwarz die fast einzigen
Pigmente sind, nichts einfach, nichts so natürlich wie es
war, geblieben erscheint, vielmehr alles die Form von
Hugos Geiste, also etwas monoton Subjektives an-
genommen hat. Was wäre so eintönig, wie eine Ver-
zerrung, die über alles sich verbreitet, und was in letzter
Instanz so leer, wie ein sich nur gleich oder ähnlich
bleibendes Prinzip des Clairobscur, wenn dieses Prinzip
nicht im Kopfe eines Malers ersten Ranges seinen Sitz
hatte? In dieser Instrumentierung seiner Ansichten aus
Stadt und Land liegt es, daß seine talentvollen Arbeiten
absolut nicht modern mehr wirken. Sie sind aus der
allerdings kräftigen und glänzenden Periode von 1830
hervorgegangen, sie haben nichts mit unsrer Arbeit, mit
unsrer Anstrengung gemein. Hugo „arbeitete" über-
haupt nicht, er ist ein Seher, seine Stadt ist ihm die
Lichtstadt, er ihr Poet-König. Streng genommen sind
seine Landschaftszeichnungen barock und unnütz, schnörkel-
haft und luxuriös; da aber die Kunst ein schöner Luxus
ist und Hugo ein kräftiges Temperament auch in der
Kunst zu bethätigen vermag, ist es eine Freude, die-
jenigen seiner Bilder zu betrachten, in welchem ein so
raffinierter Romantismus ist, wie man ihn bei diesem

das Malen nur dilettantisch Betreibenden gar nicht mut-
maßt. Man liebt diese raffinierten romantischen Stücke
am stärksten, da sie seine Persönlichkeit am stärksten
atmen; die Stücke dagegen, die mehr der Natur sich an-
nähern, haben etwas weniger bedeutendes an sich und
man fühlt, daß ihnen der Accent fehlt und ohne daß
man ihn liebte, wünscht man ihn her, den Accent und
den Effekt mitsammen.

Eitel war Hugo in hohem Grade; so sind auch
unter den raffiniert romantischen seiner Landschaften
diejenigen mit der größten Liebe ausgeführt, auf denen
er vorne seinen Namen in unglaublich großen Lettern
über die ganze Breite des Bildes hingeschrieben hat.
Solche Bilder erscheinen wie Variationen über den
Namen Victor Hugo; die Buchstaben tanzen wild und
einzeln vor Rheinufern im Hintergrund und vor Burgen,
Bergen und Sturmhimmeln; Hugo kor svcr — die
Eitelkeit Hugos ist wie eine notwendige Kehrseite der
künstlerischen Subjektivität, die die Romantiker im all-
gemeinen ausgezeichnet hat und bei nicht wenigen von
ihnen auch in maßloser Jchvergöttcrung hervorgetrcten.
Denn an Dichtern hat es der Romantik keineswegs ge-
fehlt, die Shakespeare im Herzen, Goethe im Kopf und
Calderon und Lope in der Phantasie zu vereinen glaubten,
und so sieht Hugo die Welt, sieht er Natur, Wälder
und Bäume, das Zeitalter der Gotik und Philister und
Zwerge — alles nur im Hintergründe; und läßt vorne
die Buchstaben seines Namens im leeren Raume schaukeln.
Zu seiner Entschuldigung sei bemerkt, daß diese Zeich-
nungen meistens Widmungen darstellten, Aufmerksam-
keiten für Freunde, gleichsam Stammbuchblätter; und
dann läßt man gerne den Namenszug gelten — nur
Hugo schrieb ihn auch sv gerne, widmete sich so gern!

Der Kuriosität halber sei noch hinzugefügt, daß ich
seinerzeit auch Mobilien gesehen habe, die Hugo geschnitzt
hat: sozusagen amerikanische Phantasien! Holzschnitzereien
von einem grotesken, barbarischen, heidnischen, greulichen,
doch kräftigen Wesen; nnd mit dem allen vergleiche man
des viel größeren Dichters Goethe Zeichnungen: ihr
Maßhalten und den Mangel an eigentlichem Maler-
tcmperament in ihnen; Goethes Zeichnungen, saubere,
ziemlich angenehme nivellierte Landschaften, Hugos Land-
schaften manchmal unerträglich und lästig, doch manchmal
wahrhaft groß — wenn auch nur im pittoresken Sinne
groß — gesehen, zitternde Aspekte vom Mondlicht,
Landschaften wie solche, in denen sich die drei Hexen des
Macbeth wahrscheinlich zu versammeln pflegten, wenn sie
der Häßlichkeit der Gegend und des Wetters mit ihren
Gesichtern ein Paroli bogen, Profile von scharfer Häß-
lichkeit, der Gesichtszug in einem heftigen großen Stile
festgestellt, mit der Feder oder einem Rotstift. In
Andernach zeichnet er eine gehauene Inschrift über einer
Thür nach, rätselhafte Buchstaben, Monogramme . . .,

äessins/ erzählt er von einer Rheinreise aus
Heidelberg seinem Freunde, dem Maler Louis Boulanger,
- <m st ln clss ftarncjN68 <pui out clu st^'Ivund er
zeichnet einen Hügelrücken, über dem eine Wolke dräut,
ein Detail einer Thür oder eines Fensters, irgend einen
Turm, wenn er verfallen ist, mit einem kühn gewählten
Lichteffekte, und immer halb die Wirklichkeit, halb eine
Vision. Und wie er die Blätter hervorbringt! mit der
breiten Gänsefeder, die in die Tinte getaucht ist und
diagonal über das Papier geführt die Wolkenzüge
 
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