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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Pecht, Friedrich: Die Münchener Jahres-Ausstellung von 1891, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0451

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Z5H Die Münchener Iahres-Ausstellung von ^891

studiert, sondern auch oft erreicht, was sie ihm dadurch dankten, daß sie ihn zu einem unsrer besten

modernen Koloristen reifen ließen. Und in der That, wer könnte besser beweisen als er, oder Lenbach und
Kaulbach, daß es immer noch fruchtbarer sei bei Titian oder Velasquez, als bei Herrn Manet in die
Schule zu gehen? Merkwürdigerweise zeigen denn auch blos die Deutschen jene sonderbare Wut, die
Malerei immer wieder von neuem erfinden und eine Art Volapük aus ihr machen zu wollen. —- Die

Ergebnisse davon sieht man dann mit Schrecken in vielen unsrer Säle. — Was würde man aber von

einem Dichter sagen, der weder Homer noch Shakespeare, und noch weniger Lessing, Goethe und Schiller je
gelesen hätte? Glücklicherweise kommt das überhaupt nicht vor, nur in der Malerei müssen wir Ähnliches
erleben. Das hatte aber diesmal die Wirkung, daß man über den abschreckenden Früchten dieser Richtung
unsrer Kunst sehr leicht das viele Treffliche übersieht, was unsre Ausstellung daneben enthält, denn niemand

kann Holzäpfel und Orangen mit einan-
der genießen. Übrigens fällt mir nicht
ein, damit behaupten zu wollen, daß nicht
eine gute Zahl derer, die heute noch zu
den Naturalisten gerechnet werden, wirk-
lich achtbare Arbeiten gebracht, ja selbst
dem Reich der Kunst neue Provinzen
erobert hätten. Nur wird man bei ihren
Werken alsbald die Bemerkung machen,
daß sie sich kaum viel von den seither
üblichen unterscheiden und daß das Neue
meist nur in der Wahl der Stoffe liegt.
So hat z. B. die Historienmalerei alten
Stils ganz ausgehört und die Könige und
Fürsten jeder Art, selbst die im Reiche
des Geistes, haben einem höchst uninter-
essanten, weil physiognomielosen Prole-
tariat Platz gemacht. Daß aber überhaupt
so oft schmutzige Proletarier an die Stelle
des einst so charakteristischen Bürger- und
Bauernstandes getreten sind, daß die
tragische Muse jetzt in Lumpen statt auf
dem Kothurn einherschreitet, das ist offen-
bar nur eine Mode, denn Hunger und
Elend sind an sich noch nicht tragisch,
sie können nur bei hervorragenden Cha-
rakteren dazu gesteigert werden und diese
sind dann eben keine Proletarier mehr,
so wenig als Vollmar, Bebel oder Lieb-
knecht es sind. Die vollständige Ab-
neigung gegen alles Große und Erhabene,
die Unfähigkeit, es darzustellen,, ist aber
ohne Zweifel ein Charakterzug unsrer
neuesten Kunst, die von der Sozial-
demokratie offenbar tiefer beeinflußt ist,
als sie selber ahnt oder will. Das Bedeutende hat sich daher meist ins Bildnis geflüchtet, wo aber auch eine ganze
Reihe hochachtbarer Schöpfungen vorliegt. So von Lenbach, dessen Virchow und Döllinger hier obenan
stehen als in ihrer Art unübertreffliche Charakterbilder eines modernen Gelehrten und eines katholischen
Theologen. Weit weniger klassisch muten seine verschiedenen Damenbilder an, und nur bei ein paar Kinder-
köpfen hat er es wieder zu scharfer Charakteristik, wenn auch nicht zu der reizenden Unbefangenheit der Jugend
gebracht. Auch Friedrich August Kaulbachs Damen, obwohl den Lenbachschen vorzuziehen, erreichen sein
Bildnis eines Jägers, des Baron Wolfskeel, doch nicht an künstlerischer Vollendung, ja der Idealist Böcklin
übertrifft sie beide mit dem Bilde seiner eigenen Frau an Schärfe der Seelenmalerei. Mit sehr viel gemeineren
Naturen gelingt das dann auch Leibl, dessen zeitungslesender Dorfbürgermeister sowie Bauer und Tochter in
der wunderbaren Objektivität der Wiedergabe dicht an Holbein Hinstreifen, während er bei seinem mit ge-
spanntem Gewehr lauernden Wildschützen einen merkwürdig unheimlichen Eindruck hervorbringt. Beide Bilder
zeigen uns aber nur zu deutlich, wie tief unsre Staatskunst diesen für Deutschland wichtigsten Stand
 
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