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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0462

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Wo die Lonne scheint.

Geschichte, Fanatismus und Unverstand gründlich „gesorgt".
Kein Wunder darum, wenn der Wanderer seinen Stab
bald weiter setzt, da für ihn das Land der Pharaonen
erst mit der Region der Pyramiden anfängt. Im griechischen
Mutterlande durch Komfort nicht grade verwöhnt, ent-
reißt man sich in der griechischen Kolonie doch schnell und
gern der prächtigen und luxuriösen Aufnahme; 's ist einem
nicht orientalisch genug; hinaus darum ins Land, wo
Kameelrcihen an den Kanälen hinziehcn und die frucht-
schwere Palme über Weligräbern nickt!

Vorsichtig wird zunächst ein kleiner Vorstoß gewagt
nach dem Badeort Ramleh. Eine niedliche, kleine, elegante
Birminghamer Eisenbahn führt hinaus, dem Zuge der
großen Düne folgend, auf der Alexandrien zwischen Meer
und Salzsee gelagert ist. Ängstlich wird Sonnenschirm,
Hutschleier und weißes Schuhwerk betrachtet, ob es auch
der zu erwartenden großen „tropischen" Hitze genügen
wird. Der schon lange feiernde Stift im Skizzenbuch
wird behutsam gespitzt, und fort geht's.

Hitze — nun ja, warm ist's wohl; aber die Wärme
ist von unsrer Wärme so verschieden wie Ozon von
gemeinem Sauerstoff; — Palmen; nun ja, Hunderte
stehen überall beisammen; aber nach zwei Minuten wußte
ich, daß in langen Reihen gleichmäßig aufmarschierte
Dattelpalmen die langweiligsten Bäume der Welt sind;
und Sand — je nun, es ist eben nicht mehr und nicht
weniger als an der Nordsee. Bekümmert forscht das
Künstlergemüt in wachsender Enttäuschung umher; wo
fasse ich hier „den Urquell alles Lebens"?

Da, hinter der Düne noch verborgen, donnert mir
der Ozean die alte Weisheit in die Ohren: „Dein Herz
ist zu, dein Sinn ist tot!"

Und indem ich, der Bahn entronnen, die Höhe
erklimme, richtiger: erwate, grüßt mich feiner Salz staub,
silberne Schleier im Sonnenlicht webend; und da schäumt
er nun vor mir, den ich gestern noch in banger Bedrückung
zugefroren oder hübsch mit Balken belegt gewünscht, da
feiern die majestätischen Wogen ein Fest von Silber und
Blau, breiten vor sich auf der weiten Ebene des köstlichen
Strandes azurne schimmernde Faltenschleier aus und ziehen
sie wieder graziös zurück, bleudendweiße Möven flattern
über der hoch herrollenden Flut, und ein einsames Schifflein
weit draußen segelt fernen Küsten zu. Und das alles
unter einem Himmel, dessen türkisgleiche Farbe von den
leichtesten, unschuldigsten Rokokowölkchen nur noch desto
reizvoller gehoben ist; im Strahl einer Sonne, die mit
der milden Energie eines göttlichen Überwinders seit Äonen,
sich selbst zur Freude, ohne Kampf und ohne Wandel hier
ewige Lichtfeste feiert.

Unbesiegliche Ruhe, ungeheurer Raum und rein-
ausklingende Entfaltung des einzelnen; dies der Charakter
des Orients! Wohlverstanden: der Landschaft. Wer
den Orientalen allein zu besuchen kam, hat sich des
Gegenteils zu gewärtigen.

Es mag darum jedem, „der da malet", verziehen wer-
den, wenn ihn im Anfang mehr die Landschaft und erst bei
längerem Aufenthalt die Figur in Anspruch nimmt, da ja
überall das Lebende erst daun Recht behält, wenn das Tote an-
fängt zu schweigen; und dies ist geschwätziger als man glaubt.

Bei „des nächsten Morgens Lichte" fand ich mich
mit obligatem „fröhlichen Gesichte" am Bahnhof des Thores
Moharrem Bey und bestieg den Zug, der mich schräg
über das fruchtreiche Holland Ägyptens, das Delta, führen

von R. v. Seydlih ZSZ

sollte. Mit ungebündigter Spannung durste ich heute
den Offenbarungen entgegensetzen, durch die mir wahres
Pharaonenland, wahrer Orient und wahrhaft Ungesehenes
enthüllt werden sollte.

Aber auch auf dieser Fahrt widersteht der Orient
dem Ungestüm des Reisenden, mit echt mohammedanischem
Phlegma weiß er ihn einen halben Tag hinzuhalten,
indem er ihn durch flache Unbedeutendheit hinschleppt, ihn
süßsaure Vergleiche zwischen Nil und Po, zwischen lom-
bardischer und ägyptischer Landkultur anstellen läßt und
ihm nur im Gewimmel der Vieh- und menschenvollen
Bahnhöfe eine erheiternde Abwechslung bietet.

Das Delta, ein fächerförmiges Stück Land von der
etwaigen Größe Belgiens, hängt an einem übermäßig
schmalen langen Bande, dem tempelberühmten Obcrägypten.
Beides zusammen liegt mitten in der von Westen her unauf-
hörlich mit ihren Sandmaffen drohenden libyschen Wüste,
die östlich des Nils, sozusagen diesen überspringend, eine
bergige Fortsetzung findet in der arabischen Wüste. Lilack
lAasr („das ägyptische Land") ist also nichts als ein in
den Wüstenboden eingerissenes, ganz flaches Thal, das
nordwärts in die ungeheuerste Schlamm-Muhre aus-
mündet, die sich die Phantasie ersinnen kann: das alt-
berühmte Delta, die einstige Kornkammer der antiken
Welt. Ich erwähne dies nur, um von vornherein vor
der Hoffnung auf bergige, ja nur auf hügelige Land-
schaftsmotive zu warnen. Die Ränder der — natürlich
höher liegenden — Wüste mögen dem Nilfahrer zuweilen,
wenn sie bogig zurückweichen oder, einem Seitenthale
Platz lassend, ihren einförmigen Zug unterbrechen, hie
und da als „Berge" erscheinen, aber außer der beschei-
denen Kuppe des Mokattam und der weit höheren, wohl-
geformten Silhouette der Berge um Theben wird der
in Europa durch sympathisch bewegte Horizonte verwöhnte
Wanderer keine Gebirge, sondern nur tafelförmige, äußerst
ausgedehnte Abstufungen erblicken. Ich atmete befreit
ans, als ich nach drei Monaten auf der Fahrt nach Suez
mich an dem der heimischen Benediktenwand gleichenden
Gebel Attaka erfreuen durfte.

Endlose Ausdehnung in die Breite und sorgfältige
Vermeidung lebhaft bewegter Höhenformation ist der
Charakter ägyptischen Landes, den dasselbe Bäumen wie
Bauten eingeprägt hat. Die heimischen Laubbäume, Leb-
bach und Sykomore, kriechen ängstlich und schlangenartig
umher, ohne einen gerade aufstrebenden Stamm zu wagen;
es bedarf schon des zähen Charakters und des legenden-
haft langsamen Wuchses der Palme, um, aller Umgebung
zum Trotz, schnurgerade zum Zenith aufzusteigen; aber
auch die südlich, in Oberägypten, anzutreffende Dum-
palme — ein wie aus der Kohlenperiode der Urzeit
übriggebliebenes Mischding von Dracäna und verästelten
Bäumen, windet und beugt sich unter dem Druck all-
gemeiner Breitenausdehnung umher. Auch der einge-
wanderte späte Sklave des Klimas und des Bodens, der
Mensch, baut flach und breit und weit; keine Boden-
feuchtigkeit treibt zur Erhöhung deT Fußbodens eben-
erdiger Wohnungen, und altägyptische Architekturwunder
befremden nicht sowohl durch ihre Höhe als durch wuch-
tige Breitenmassen. Nur der Obelisk im Altertum und
das Minaret der arabischen Zeit schießt palmengleich
kerzengrade auf: auch hier war es die zäheste Gewalt
des Geistes, die dem Baumeister diese Kühnheit einflößte:
die Macht der religiösen Idee.
 
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