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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Pecht, Friedrich: Die Münchener Jahres-Ausstellung von 1891, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0471

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Z70 Die lNünchener Jahres-Ausstellung von >89;

natürliche Alleinstehen, welches wohl zum Wohlthäter, aber nicht zum Freund oder gar Kameraden sich eignet, das
ist hier merkwürdig ausgesprochen. Noch eine ganze Reihe solcher hochinteressanter Büsten, so die des Großherzogs
von Weimar, der Frau Clara Schumann, des Frl. Brewster, mehrere Kinderbilder zeigen alle diese merkwürdige
Vertiefung in den dargestellten Charakter, wie die reizvolle und doch schlichte, jeder Bravour, in Haaren u. dgl.,
sorgfältig aus dem Wege gehende Formbehandlung. Eine Reihe jugendlicher Gestalten in Marmor und Bronze
zeigt uns dann den Künstler den besten griechischen Antiken dieser Art näher gekommen, als wir das irgend einem
Modernen sonst nachzurühmen wüßten. Aber nicht nur äußerlich, wie Thorwaldsen, sondern mit einem tiefen Ver-
ständnis und einer Feinheit des Formstudinms, die den antikisierenden Künstlern sonst am allerseltensten eigen.
Bei seinem „schlafenden Hirtenknaben", der besten dieser Figuren, glaubt man den Körper atmen, die vom Schlaf
gelösten Glieder erschlaffen zu sehen, aber auch bei allen andern ist die naive Anmut der Antike ohne ihr ge-
legentliches Posieren vollkommen erreicht. An diesen vortrefflichen Werken, die unsrer deutschen Kunst zur
Ehre gereichen, kann man am auffälligsten sehen, was es wert ist, wenn der Künstler seinen Geschmack und
sein Stilgefühl vom Besten läutern läßt, statt es einfältigerweise zu ignorieren, wie so viele Naturalisten jetzt
thun. Hat es den großen Renaiffancekünstlern, den Ghiberti, Verrochio, Luca della Robbia, Michel Angelo,
oder dem Leonardo und Rafael etwa an der Originalität geschadet, daß sie die Antike studierten? Oder hat
es die des Rubens, Rembrandt und Murillo beeinträchtigt, daß sie jene Vorgänger in sich aufnahmen? Die
schönste Blüte moderner Kultur, die Kunst der Renaissance, ist ja überhaupt vollkommen undenkbar ohne den
läuternden Einfluß der Antike. Und das, obwohl sie sich zu ihrer besten Zeit wohl hütet, je zu antikisieren.
Was unsre moderne Kunst aber bis jetzt Treffliches erreicht hat, ist ohne diese Kunst der Renaissance undenkbar;
Rembrandt, Dürer und Holbein sind nicht weniger von ihrem Geist erfüllt, als sie in Delacroix oder Delaroche,
Gallait oder Cornelius und Rethel, ja selbst in Menzel wirksam war! Ohne Tradition ist überhaupt jede
vollendete Kunst unmöglich, und nur die Allerneuesten haben die Thorheit, die Malerei, die eine längst er-
fundene Kunst ist, von neuem erfinden zu wollen! Das ist aber die tief in allen nordischen Völkern steckende
Neigung zur Barbarei, und keineswegs eine solcher Stützen nicht bedürftige Schöpferkraft, die es bis jetzt
denn auch nirgends zu harmonischen Kunstwerken, dafür aber um so häufiger zur abschreckendsten Häßlichkeit ge-
bracht hat. — Davon findet man nun auch unter unfern Bildwerken nur zu viele Spuren bei allen Nationen.
Macht die direkte Nachahmung der Alten leicht kalt, wie es an der älteren antikisierenden Schule zu sehen,
so wirkt dafür der Naturalismus nur zu oft roh in einer Kunst, die schon durch ihre meist monumentale Be-
stimmung, wie die Sprödigkeit ihres Materials, auf strengen Stil und rhythmische Durchbildung der Form
angewiesen ist. — Nichtsdestoweniger scheint gerade an der Münchener Akademie jetzt der Naturalismus sehr
vorzuherrschen, wie eine Menge da entstandener Figuren beweisen, deren Nacktheit dann regelmäßig beleidigend
- wirkt, während man dieselbe bei guten Antiken ganz selbstverständlich findet. Mehr Haltung zeigt die Berliner
Schule, nicht nur in den schon erwähnten, oft etwas harten Siemeringschen Figuren, sondern noch mehr
in Einzelgruppen, so in Hundriesers vortrefflichem „Frieden", wo er dem jugendlichen Genius desselben
auch noch Mohn in die Hand gegeben hat. — Sehr viel mehr antikisiert dann Herters Hermes, dessen
Gestalt aber die schöne Durchbildung der Form zum Gott doch nicht vermissen läßt. Unmittelbarer und
genialer mutet Geigers Figur der „Arbeit" an, ein kräftiger Mann im Schurzfell, mit dem Hammer in der
einen, einem Metallgefäß in der andern Hand. — Durchaus realistisch und doch von unbestreitbarer Großartig-
keit ist des Prager Myslbeks Gekreuzigter, der hängt wirklich und steht nicht blos auf dem Kreuz. Leider
ist es ganz unmöglich, den Kopf zu sehen. Ein Ungeheuer von Nüchternheit ist dann des Spaniers Querol
„Sage", die er zu einem sehr häßlichen, kleinen alten Weibchen gemacht hat, die zwei halbverhungerten Gassen-
jungen ihre Schauergeschichten erzählt. Nicht naturalistisch, aber im höchsten Grade manieriert, ist ein im
weiten Gewände dasitzender Christus, der die Kleinen zu sich kommen läßt, von Heinr. Mayer, einem trotz
alledem offenbar talentvollen Münchener. Auch geziert genug gebahrt sich die übrigens mit großem Reiz durch-
gebildete Bronzefigur einer Frau, die eine wunderbar studierte Klapperschlange um den Arm geschlungen zeigt,
während sie in der Hand ein Vogelnest trägt, auf das die Schlange Jagd macht. Hier muß man jedenfalls
die Virtuosität des Machwerks bewundern, die der offenbar ganz zum Pariser gewordene Elsässer Ringel
d'Jllzach an diese Gestalt gewendet. Ebenso naiv und unschuldig, als die Ringelsche Dame das Gegenteil
davon, erscheint ein jugendlicher Martin Luther von Beer in Paris, offenbar als Kurrendeschüler gedacht, aber
als solcher gut ausgeführt. Warum aber Roeßner in Nürnberg seinen Martin Behaim als geharnischten
Ritter gegeben, während er doch nicht als solcher, sondern als Geograph merkwürdig geworden, ist schwer ab-
zusehen, wenigstens vervollständigt es gewiß nicht die Charakteristik. — Nicht ohne malerisches Talent ist dann
Vas Modell zu einem Denkmal des Schriftstellers Coster von Samuel in Brüssel, oder des hl. Ludwig —
offenbar von der Klasse der wunderlichen Heiligen — von Dillens ebendort. Von Grabmonnmenten ist das
bedeutendste das Krupps von Lang, München, auch Gamp bringt ein sehr schön empfundenes Grabrelief.
Mehr gemalt als modelliert, aber dennoch sehr interessant ist Benlliures Grabdenkmal eines Komponisten.
Unter den eigentlichen Porträtfiguren fällt ein sitzender Victor Hugo von Trentanove in Florenz durch
 
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