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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Heilbut, Emil: Etwas über Radierungen
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Z76

Etwas über Radierungen, von kserman kselferich

führte, ohne es doch dahin zu bringen, selber der Meister
einer zu sein, die wirklich auf der Höhe steheu, so
hat die Radierung uns alle Reize, deren sie fähig ist,
erst nach dem Auftreten William Ungers, des größten
deutschen Radierers, den wir in der letzten Vergangen-
heit erhalten haben, vorgeführt, unsre Augen sind erst,
nachdem Unger sie gebildet hat, dessen gewahr geworden,
was Frankreich und England produziert haben und was
auf einer noch höheren Entwicklungsstufe steht. Seien
wir nicht ungerecht gegen den Pfadfinder, aber lernen
wir dennoch kennen, was West-Europa aus dieser Technik
zu machen verstanden, und es ist vielleicht recht, in einer
Epoche, die, wie vorher in mancher Kunststadt, auch in
München Künstlerklnbs zum Zwecke des Radierens ent-
stehen sieht, eine kurze Rückschau zu halten über die
Historie dieser Technik im Verlaus unsres Jahrhunderts.

Es ist nicht gar zu lang her, da wir uns noch der
Lithographie erfreuten. Lang auch ist es noch nicht her,
daß jene schrecklichen Stahlstiche aufkamen, welche von
England importiert wurden und den Verlegern so theuer
waren, weil sie sich nicht abnutzten. Doch als der Erweckcr
der Radierung für uns, William llnger, aufkam, weckte
sich der Sinn für Farbigkeit und für das Vibrierende
in der Reproduktion und wir begannen für die schöne
Wärme feinen Tones zu schwärmen. Indessen findet sich,
daß Frankreich das klassische Land der Radierungs-
Wiedererweckung gewesen ist und hier nicht allein die
schöne Wärme, sondern auch die schwer zu erreichende
größte Korrektheit erstrebt ward und ferner neben der in
wirklich weit höherem Grade erreichten Korrektheit in
der Wiedergabe von alten Gemälden, auch die selbständige
Radierung, die Malerradieruug ihren Ausgangspunkt
nahm, jene Malerradierung, welche in neuester Zeit bei
uns so begabte Vertreter in Klingcr, Stauffer-Bern und
Geyger gesunden.

Als der jetzt in Wien lebende und lehrende Unger
in die Reihen der ersten Radierer Europas cintrat, ein
Platz, den er deshalb verdient, weil sein Geschmack ein
reizender, ein anmutiger, ein decenter ist, weil seine
Radierungen im allgemeinen einen so erfreulichen Ein-
druck geben, während erst eine spätere Nachprüfung zeigt,
daß die Arbeiten liebenswürdig, fast genial skizzierten,
indessen etwas oberflächlich waren — fand er französiche
Radierer vor, von welchen ein Teil sich dem zuwandte,
was die alte Kunst an Verlockendem besitzt, um cs zur
Reproduktion zu verwerten; ein andrer Teil dagegen
hat subjektiv sich ansleben wollen und das Element der
Radierung für den Dienst der eigenen Laune ange-
wandt. Dieser Kreis von Künstlern formte sich in den
ersten Jahren der Zeit Napoleons des Dritten; cs
war eine so große Zahl von bedeutenden Talenten jetzt
vereint, daß eine Periode der Radierung eingelcitet wurde,
die man als die zweite Aera bemerkenswerter Art auf
dem Gebiete der Radierung bezeichnen muß.

Die erste ist natürlich die Periode Rembrandts.
Es waren etwa zweihundert Jahre früher als das zweite
Kaiserreich die Holländer zusammen, aus deren Mitte
Adriaan von Ostade seine Szenen des holländischen Klein-
bürgertums so köstlich ins Leben rief, van Dyck jene
glänzenden Bildnisse in Kupfer radierte, welche wir von
ihm besitzen, und auch in einzelnen Kompositionen seine
Stadel meisterlich malerisch führte. Erst Rembrandt aber
war es doch Vorbehalten, nicht nur die allerschönstcn Reize,

die das Helldunkel gewährt, und nicht nur jedes Hülfs-
mittel der Technik zu erschöpfen, sondern auch das höchste
seines Genius in der Radierung niederzulegen. Mit
Rembrandts letzter Arbeit war die Periode der guten
Radierung aus.

Freilich erschienen hier und da, in England zumal,
wohl Künstler, die sich mit der Radierung in künstleri-
scher Weise befaßten, bereits vereinzelt im Anfang unsres
Jahrhunderts. Wilkie machte einige sehr gute Radie-
rungen; dieser Maler, der auch in der Malerei so viel
eklektisches Talent zeigte, und Geddes, der der letzten
Manier Rembrandts folgte, brachten eine Reihe von Ar-
beiten mit der kalten Nadel hervor, die vorzüglich sind,
nämlich sehr malerisch, wenn auch recht manieriert. Wenn
dann Cotmans Radierungen seine Distingiertheit und
Grazie aufweisen, so wollen des genialen Landschafts-
malers Turner Radierungen nicht eigentlich Werte an
sich, sondern nur „Präparationen" des Meisters sein.
Aber in der Mitte des Jahrhunderts, wie gesagt, tritt
fest und stetig die Radierung neu auf und als ihr Apostel
Charles Msryon in Paris; was vorher Delacroix und
Tecamps radiert hatten, steht wegen der technischen Un-
zulänglichkeit hinter ihm zurück.

Meryon ist der Sohn eines englischen Arztes und
einer französischen Tänzerin gewesen; er war für die
Marine bestimmt und machte eine Reise um die Welt.
Tann, als er Künstler werden wollte, fand er sich durch
seine Farbenblindheit abgchalten, zur Malerei überzu-
treten und kam so in das Atelier eines Kupferstechers,
eines Herrn Blöry, der in seinen Leistungen unbekannt
geblieben und von dem man keine Platte zu bezeichnen
weiß. Immerhin lernte Möryon bei ihm das Handwerk-
liche, welches er durch eigene Erfahrung weiter aus-
bildete, um dann an die für ihn wie geschaffene Auf-
gabe heranzutreten, von Paris darzustellen und in die
Erinnerung zurückzurufen was am charakteristischsten an
Paris erschien. Vieles von Paris hat er gezeichnet und
verewigt, was später durch die baulichen Arbeiten des
Seineprüfekten Haußmann vernichtet wurde; doch weit
über ihr gegenständliches Interesse hinaus werden diese
Radierungen durch die Klassicität ihrer Formensprachc
gehoben, sie, die die vielleicht klassischste Durchdringung
von Inhalt und Form in der Anzahl der modernen Ra-
dierungen bedeuten. Diesen Arbeiten gegenüber stehen
wir in einer Bewunderung, die für das, was vielleicht
nicht aus dem Herzen mitwirkt, durch die Tauer des Ge-
fühls entschädigt, da in diesen Leistungen die Hülfsquellen
der Radierung alle und in der zartesten Weise heran-
gezogen worden sind; es sind Werke, die nicht veralten.

Ein ganz andrer Radierer ist Millct. Seine Ra-
dierungen sind nicht zahlreich, sind nicht beim ersten
Blick anziehend, aber in ihnen hat doch der große Maler
der Felder von seiner Seele und Intuition einen Teil
ausgedrückt. Ansgeführt in sehr männlicher Weise, sind
sie zumeist ohne jene Subtilität behandelt, die die mehr
geübten Radierer von Fach haben, doch sieht man auch
in ihnen des herrlichen Künstlers Kunstvcrstand und na-
türliches Handwerksvermögcn offenbart, diese Fähigkeiten,
die die Grenzen und das Gebiet einer jeden Kunsttechnik
so leicht erfaßten. Sehr expressiv sind einige Radierungen;
gefühlteste Linien der Äste sieht man, gcfühlteste Bewe-
gungen von Tieren, die Gänse, die watschelnd einen Ab-
hang herunterkommen, in einigen Strichen kräftig angelegt
 
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