Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 27.1911-1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.13090#0256
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Utitz, Emil: Was ist Stil?, [1]
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| WAS IST STIL?
J. PENNEL RADIERUNG
persönliche Eigenart des Künstlers ist nichts Persönlichkeiten versteckt; aber es bleibt eben
ein für allemal Festgelegtes, Unveränder- ein Maskenspiel: Panoptikumfiguren und nicht
liches, nein im Gegenteil etwas Entwicklungs- Gestalten, die erfüllt sind vom glühenden Odem
fähiges, jedenfalls Wandelbares. Allerdings schwellenden, drängenden Lebens,
bewegen sich diese Wandlungen innerhalb ge- In einem ganz anderen Sinne — und da-
wisser Schranken, welche die Entfaltungsmög- mit kommen wir auf den zweiten Bedeutungs-
lichkeiten des Ichs setzen. Immer haben wir typus zu sprechen — redet man von Material-
isier unter Stil die charakteristische Eigenart Stil, etwa dem Stile der Bronze oder dem des
des Künstlers zu verstehen, seine persönliche Marmors. Von diesem Gesichtspunkt aus
Handschrift, wenn ich mich so ausdrücken heißt Stil die Erfüllung oder Berücksichtigung
darf. Fassen wir Stil in dieser Bedeutung, all der durch das betreffende Material gegebenen
verliert naturgemäß die Forderung nach einem Bedingungen im Kunstwerke. In jedem Ma-
allgemein einheitlichen Stil jeden sachlichen terial schlummern eben bestimmte künstle-
Wert, ja wird völlig sinnlos. Denn sie würde rische Möglichkeiten, und es ist Aufgabe des
nichts anderes erheischen, als daß alle Künst- Künstlers, sie zu voller Wirkung, zu gestei-
ler in Hinblick auf einen führenden Meister gertster Entfaltung zu bringen. Sache der kon-
dessen charakteristische Eigenart und persön- kreten Kunstwissenschaften ist es nun aber, )
liehe Note nachahmen und nachäffen. So ent- die Kenntnis dieser Materialeigentümlichkeiten
steht jedoch nur trauriges, schwächliches Epi- und der besonderen Gesetze, die auf sie zu-
gonentum; Modeströmungen vielleicht, aber rückgehen, zu vermitteln und so einem Kunst- i
niemals eine echte, starke Kunstbewegung, erfassen die Wege zu ebnen, das tief ein- j
Ein derartiges Schaffen gleicht einem traurigen dringend und verständnisinnig all die Werte (
Karnevalsscherz, wobei künstlerisches Unver- auskostet, die das Kunstwerk uns beschert. (
mögen sich hinter den Masken bedeutender Mit Materialstil hängt der Bedeutungstypus:
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J. PENNEL RADIERUNG
persönliche Eigenart des Künstlers ist nichts Persönlichkeiten versteckt; aber es bleibt eben
ein für allemal Festgelegtes, Unveränder- ein Maskenspiel: Panoptikumfiguren und nicht
liches, nein im Gegenteil etwas Entwicklungs- Gestalten, die erfüllt sind vom glühenden Odem
fähiges, jedenfalls Wandelbares. Allerdings schwellenden, drängenden Lebens,
bewegen sich diese Wandlungen innerhalb ge- In einem ganz anderen Sinne — und da-
wisser Schranken, welche die Entfaltungsmög- mit kommen wir auf den zweiten Bedeutungs-
lichkeiten des Ichs setzen. Immer haben wir typus zu sprechen — redet man von Material-
isier unter Stil die charakteristische Eigenart Stil, etwa dem Stile der Bronze oder dem des
des Künstlers zu verstehen, seine persönliche Marmors. Von diesem Gesichtspunkt aus
Handschrift, wenn ich mich so ausdrücken heißt Stil die Erfüllung oder Berücksichtigung
darf. Fassen wir Stil in dieser Bedeutung, all der durch das betreffende Material gegebenen
verliert naturgemäß die Forderung nach einem Bedingungen im Kunstwerke. In jedem Ma-
allgemein einheitlichen Stil jeden sachlichen terial schlummern eben bestimmte künstle-
Wert, ja wird völlig sinnlos. Denn sie würde rische Möglichkeiten, und es ist Aufgabe des
nichts anderes erheischen, als daß alle Künst- Künstlers, sie zu voller Wirkung, zu gestei-
ler in Hinblick auf einen führenden Meister gertster Entfaltung zu bringen. Sache der kon-
dessen charakteristische Eigenart und persön- kreten Kunstwissenschaften ist es nun aber, )
liehe Note nachahmen und nachäffen. So ent- die Kenntnis dieser Materialeigentümlichkeiten
steht jedoch nur trauriges, schwächliches Epi- und der besonderen Gesetze, die auf sie zu-
gonentum; Modeströmungen vielleicht, aber rückgehen, zu vermitteln und so einem Kunst- i
niemals eine echte, starke Kunstbewegung, erfassen die Wege zu ebnen, das tief ein- j
Ein derartiges Schaffen gleicht einem traurigen dringend und verständnisinnig all die Werte (
Karnevalsscherz, wobei künstlerisches Unver- auskostet, die das Kunstwerk uns beschert. (
mögen sich hinter den Masken bedeutender Mit Materialstil hängt der Bedeutungstypus:
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