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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 24.1875

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Heft 5/6
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Steinhausen, W.: Ueber die Natur in der Verzierungskunst
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Jahresbericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.7030#0026

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2

tief) Willkürliche des echten Ornaments erst recht deutlich.
Man soll in keiner Kunst mit dem nackten Verstand überlegen.
Wer mit diesem herausbekommen will, ob er mit dem Griffel
rechts oder links fahren soll, irrt gewiß und es wird rechts und
links herum verkehrt!

Man muß aber unterscheiden geordnete Ornamente, die wie
eine Reihe von Zahlen sich wiederholen, dazu die geometrischen

— diese begreifen die bequemen Schablonirer am besten — und
dann die frei wachsenden. Doch in allen diesen Formen lebe
man der Natur nach, die sie überall zeigt und vereinigt ■—
so an dem schwanken Stengel der Pflanze die gezirkelte Knospe
und die regelrechten Figuren der Samenbehälter!

Es gehört also zum künstlerischen Schaffen ein Mitleben
mit den Erscheinungen. Die ganze Außenwelt muß zu unserer
Innenwelt gehören; diese nimmt von jener die Sprache, um sich
zur Erscheinung zu bringen — und ihre Ansdrucksmittel sind die
Farbe und der Ton, das Handwerkszeug und die Hände sowohl
wie das Wort. Eine jüngere und kindlichere Welt sieht und
hat auch alle Gegenstände viel näher an ihrem Herzen. Das
Kiird gießt seinen Geist in alle Blütenkelche hinein. So sind
ihm denn alle Wesen belebt und es sieht sich überall wiederholt.
Ist dann aber das heitere Glück der kindlichen Unschuld getrübt,
dann bilden die eigenen Schatten auch in der Außenwelt fremde
und die ganze Schaar der Dämonen begleitet nun den geängst-
igten Menschen. Im Paradiese, was mußte der Mensch da für
Engelsbilder gesehen und wie mag er mit ihnen gespielt haben!

Doch folgt dem Menschen lange noch der Traum der Kind-
heit. Ganze Völker leben noch in ihm; ihre Religionen sind
an diese Traumgestalten geknüpft. Aus ihren religiösen Ge-
sichten holte sich die Phantasie der Griechen für ihre Kunstwerke
immer neue lebendige Gestalten. Ein Volk ’ wie die Chinesen
sieht noch immer für die spielenden Phantasiestücke auf seinen
Teppichen und Vasen die Vorbilder draußen leben. Wenn der
Chinese aus seiner Werkstatt den Blick über die Straßen und
Gärten lenkt — seine Drachen, seine guten und bösen Geister
hängen ihm noch sichtbar vor der Nase. Ein ganzer Geister-
haufen sitzt in allen Thieren und Pflanzen. Er wird so Thiere
und Pflanzen mit in seine Beschäftigungen ziehe!!, er mag wollen
oder nicht!

Wie geht es uns dagegen? Statt des vielleicht un-
sinnigen Wechsels von.Drachenschildern und Papierfahnen rc. re,
sehen wir die schönen leeren Flächen unserer Kasernen-Straßeu

— statt der lebendigen Natur sehen wir Herbarien und mine-
ralogische Sammlungen und dergleichen — Dank unserer Bil-
dung und unserm fortgeschrittenen Wissen. Wir haben Sammel-
werke und Dorlegeblätter im Kopfe. Wir finden dann das natür-
liche Terrain vor uns unbrauchbar, weil es mit dem eingebildeten
im Kopfe nicht stimmt. Geister zu sehen ist keinem mehr erlaubt.
Ist es ein Wunder, daß die Phantasie, die der Zierrath-bildende
Handwerker täglich braucht, nur höchst spärlich und nur hier
und da in einem sich regt und da schafft?

Man wäre fast versucht sehr über diese Zeit zu klagen —
aber das Buch aus dem frühere Zeiten lasen, liegt immer
noch vor uns und was wir auch an plastisch gestalteten guten
und bösen Geistern verloren haben, wir haben eine reinere Er-
kenntniß der Schöpfung dafür gewonnen.

Wir spüren und fühlen tiefer das Seufzen der Creatur;
wir sehen auch in dem Verweslichen ein Vorbild des Unverwes-
lichen, womit es überkleidet werden wird: Wir haben für den
Geister-Stoff einen durchgeistigten bekommen. Unsere Seele liest
und versteht seelische Zeichen — ihr wird die Welt ein Symbol.—

Aber meine praktischen Leser möchten bis jetzt die soge-
nannten praktischen Winke vermißt haben und nach dem Nutzen
so vieler vorausgegangenen Gedanken für die ornamentale Kunst
fragen? Aber steckt nicht z. B. schon in dem Einen Schlußwort
„Symbol" eine ganze Fülle von ornamentalen Linien und Fi-
guren? Wer kennt nicht das einfachste volksthümlichste und

schon lange von uns in allen Arten der Verzierungskunst ver-
wendete : das Kreuz? Und die Rose und die Lilie, die Henne
mit den Küchlein!

Und so hoffe ich, mag doch noch manches brauchbar sein
und der Zweck dieser Zeilen wäre erfüllt, wenn sie dazu helfen
würden, dem oder jenem Herz und Phantasie lebendig zu machen
— denn diese braucht man auch, um zu — ornamentiren!

s Jahresbericht.

(Auszug aus dem von dem ersten Vorstande v. Miller der Generalversamm-
lung vom 29. April 1875 erstatteten Bericht und aus dem Protokoll der
Generalversammlung.)

Der von der Generalversammlung am 15. März 1874 ge-
wählte Ausschuß constituirte sich am 22. Mai und wählte zum
I. Vorstand Herrn Erzgießerei-Jnspector v. Miller, zum II.
Vorstande Herrn Etui-Fabrikanten und Buchbinder Schreibmayr.

Es wurde im Bericht zuerst der verstorbenen Vereinsmit-
glieder ehrend gedacht, dann constatirt, daß der Verein am Schlüße
des Jahres 1874

918 ordentliche —

12 außerordentliche und
4 Ehrenmitglieder zählte.

Die Geschäfte wurden in zahlreichen Ausschußsitzungen er-
ledigt, wobei wieder die höchst löbliche und gewiß für die Ver-
einszwecke nützliche Einrichtung stattgefunden hat, daß alle Ver-
einsmitglieder mit berathender Stimme mitzuwirken das Recht
hatten; ja es wäre nur zu wünschen, daß eine größere Anzahl
von Mitgliedern von diesem Rechte Gebrauch machte; denn ge-
rade dieser ständige persönliche Verkehr, dieser directe Meinungs-
austausch zwischen Künstlern und Handwerkern ist einer der
wirksamsten Hebel für gegenseitige Belehrung und Verständigung

— und diejenigen Vereinsmitglieder, welche diese wöchentlichen
Versammlungen häufiger besuchten, werden bestätigen müssen,
daß sie selten, ohne irgendeine Erfahrung reicher, selten ohne
einige Befriedigung in ihre Werkstätte heimgekehrt sind.

Die Vorträge von Director Hefner Alteneck — Uhr-
macher Jagemann — Oberbaurath v. Neureuther — Prof. Dr.
Sepp — Bürgermeister D. Gehring — Architect v. Schmädl

— v. Miller bereiteten manch hohen Genuß. —

Von dem Vereinsvorstande v. Miller wurde dem deutschen
Reichstage eine Petition um ein Musterschutzgesetz, welche von
den bedeutendsten süddeutschen Vereinen und von hervorragenden
kunstindustriellen Firmen unterzeichnet war, übergeben und im
Petitions-Ausschuß von ihm persönlich befürwortet. Es dürfte
die bereits veranstaltete Vernehmung von Sachverständigen die
Hoffnung rechtfertigen daß diese Petition in Berlin nicht wirk-
ungslos bleiben werde. —

“ Ein mit dem artistischen Vertreter des Vereins, Herrn v.
Schmädl, abgeschlossener Vertrag führte zu einer Ersparniß von
jährlich 400 fl. und gestattet bessere Controle der Bibliothek und
Vereinssammlung. Unter Leitung dieses artistischen Vertreters
wurden in dem Zeichnungssaale in diesem Jahre 375 Blatt
kunstindustrieller Entwürfe geliefert, die sämmtlich ausgeführt
wurden; bezahlt wurde für diese Entwürfe fl. 1480, so daß ein
Blatt durchschnittlich 4 st. kostete — es dürfte dies unsere Mit-
glieder ermuntern, bei ihren Arbeiten sich des in unserem Zeich-
nungssaal gebotenen künstlerischen Beistandes und Rathes noch
häufiger als bisher zu bedienen.

Unser Ausstellungs-Saal hat sich in diesem Jahre zwar
lebhaften Besuches, auch des Besuches der allerhöchsten Herr-
schaften erfreut, doch müßten die materiellen Erfolge sich noch
günstiger gestalten, wenn die Ausstellung noch reicher mit her-
vorragenden Werken beschickt würde.

Die Abendschule hat unter der trefflichen Leitung des Herrn
 
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