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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 24.1875

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Heft 11/12
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Jagemann, Johann: Entstehung von Zeitmessern überhaupt, sowie Entstehung der ersten Räderuhren, deren Construction und Entwickelung, [2]: Vortrag gehalten im Kunstgewerbeverein
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https://doi.org/10.11588/diglit.7030#0050

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besonderen Orten der Erde auch eine gewisse Länge haben müssen.
In Folge dessen bestimmte Huyghens die Länge des Sekunden-
pendels für Paris auf 3 Fuß, 8Vz Paris. Lin. Einen wich-
tigen Einfluß auf den Gang der Pendeluhren hat auch die
Veränderung durch Kälte und Wärme, welcher das Pendel aus-
gesetzt ift.

Man machte die Bemerkung, daß Uhren im Sommer lang-
samer, im Winter schneller gingen. Diesem Uebel half der Eng-
länder Graham durch Erfindung des Compensationspendels ab.
Das Compensatiouspendel ist in Folge seiner Construction und
Zusammensetzung aus verschiedenen Metallstäben, weder durch
Kälte, die zusammenziehend, noch durch Wärme, die ausdehnend
auf Metalle wirkt, einer Veränderung unterworfen und bleibt
immer gleich lang. Dieses Pendel, welches später vielfach ver-
bessert und abgeändert wurde, dann die Erfindung und Verbes-
serung neuer Hemmungen, deren wesentlichste die Erfindung der
Ankerhemmung durch beit Engländer Clement 1680 ist, sowie
die genaueste Anwendung der Grundsätze höherer Mathematik
und Mechanik, unterstützt durch die best construirten Hilfsma-
schienen ermöglichten es, in unserer Zeit Pendeluhren herzustel-
len , die zu astronomischen Zwecken benützt werden und deren
Zeitabweichung im Laufe eines Jahres auf die geringste Diffe-
renz sich beschränkt.

Eine Art Uhr verdient hier der Vollständigkeit halber noch
Erwähnung, nämlich die Taschenuhr. Diese sehr wichtige Er-
findung wurde im Anfänge des 16. Jahrhunderts u. zw. von
einem Nürnberger, Peter Hele gemacht, der die erste derartige
Uhr fertigte. Diese Uhren waren nach ihrer eiförmigen Gestalt
unter dem Namen Nürnberger Eieruhren bekannt und zeichneten
sich dadurch aus, daß ihre bewegende Kraft kein Gewicht, son-
dern eine Stahlfeder war, die hier zum ersten Male ihre An-
wendung fand. Unter Feder versteht man einen dünnen, schma-
len Streifen Stahl, der eine gewiße Härte (Elasticität) und
eine spiralförmige Windung hat. Eine solche Feder wird in
ein rundes Gehäuse, Federhaus genannt, hineingewunden und
das eine äußere Ende derselben vermittelst eines Hackens im
Federhause befestigt, während das andere Ende au der Welle
des Aufziehzapfens eingehängt ist. Dadurch nun, daß man mit
Hilfe des llhrschlüssels den Aufziehzapfen umdreht, windet sich
die Feder um denselben immer enger herum. Durch vollständige
Aufwindung der Feder wird in Folge der Elasticität der
Feder eine Kraft erzeugt, durch welche jene die Neigung hat,
in ihre ursprüngliche Lage zurückzukehren. Da aber das eine
Ende am Federhause befestigt ist, während der Aufziehzapfen
vermittelst eines Sperrades und Kegels festgehalten wird, so
wird das Federhaus durch diese sich entwickelnde Kraft mit
herumgedreht. Diese Kraft mit dem Räderwerk in Verbindung
gebracht, setzt dasselbe in Bewegung und es war durch diese
Erfindung möglich, Uhren herzustellen, die in der Tasche getra-
gen werden konnten.

Ein großer Nachtheil der ersten Taschenuhren im Vergleiche
zu den Gewichtsuhren bestand darin, daß dieselben sehr ungenau
gingen und zwar deswegen, weil die Kraft der Feder eine un-
gleiche ist, was bei einem Gewichte, das immer die gleiche Kraft
auf das Räderwerk ausübt, nicht der Fall ist.

Vollständig aufgewundeu äußert die Feder ihre rückwirkende
Kraft auf den Mechanismus einer Uhr am stärksten, während
beim weiteren Ablaufe dieselbe allmälig schwächer wird. Da-
durch wurden Anfangs schwächere und später langsamere Schwin-
gungen der Unruhe hervorgebracht, was ein Vor- und Nachge-
hen der Uhr zur Folge hatte. Um dieser Ungleichheit der Schwin-
gungen und den dadurch entstandenen Zeitabweichungen entgegen-
zuwirken, wurde etwas später eine sehr sinnreiche Erfindung,
nämlich die der Schnecke gemacht. Die Schnecke oder das Schne-
ckenrad hat die Gestalt eines abgekürzten Kegels und ist mit dem
Federhause durch eine Kette verbunden, welche in schneckenförmigen

Windungen um dieselbe herumläuft. Bei den ersten Uhren
benützte man eine Darmsaite. Die Kraft der Feder wird durch
die Kette dem Schneckeurade mitgetheilt, und letzteres steht in
Verbindung mit dem übrigen Räderwerke.

Die Anwendung eines solchen Schneckenrades beruht
aus dem mechanischen Grundsätze, daß mit Hülfe eines laugen
Hebels mehr Kraft erzeugt wird, als mit einem kurzen Hebel.
Die Wirkung der Feder ist daher folgende: Ganz aufgewunden
übt dieselbe ihre stärkere Kraft auf den oberen, schmäleren Theil
des Schneckenrades aus, welcher einen kurzen Hebel bildet, wo-
durch also die stärkere Kraft vermindert wird; mit der Abnahme
der Federkraft nimmt allmälig die Windung des Schneckenrades
zu; es bildet sich also ein längerer Hebel, wodurch die schwä-
cher werdende Kraft ersetzt wird. Dadurch, daß also die ver-
schiedenen Wirkungen der Feder durch die allmälige Erweiterung
des Schneckenrades in Einklang gebracht wurden, beseitigte mau
auch die bisher ungleichen Schwingungen der Unruhe, und so
war es bei späteren Verbesserungen möglich, Uhren zu einem
gleichen Gehen zu bringen. Die Anwendung des Schneckenrades
hat sich bis in unser Jahrhundert bei den sogenannten Spin-
deltascheuuhreu erhalten und fiel erst dann weg, als durch neu
erfundene Constructionen der Hemmungen eine flachere Form
der Uhren bedingt war. Bei diesen so verbesserten Uhren hatte
die ungleiche Federkraft auf den Jsochrouismus (Schwingungen
von gleicher Dauer) der Unruhe keinen so großen Einfluß mehr.
Nach Erfindung der Feder und deren ersten Anwendung auf
Taschenuhren, benützte man dieselbe auch zu größeren Uhrwerken
und fertigte Uhren, die zum Stellen, statt wie früher zuni Hän-
gen geeignet waren. Auf diesem Gebiete kamen im 16, 17. und
18 Jahrhundert die herrlichsten Kunstwerke zum Vorschein, die
heute noch Werthstücke von Museen und Kunstsammlungen bil-
den, welche durch ihre künstliche und sehr fleißig ausgeführte Arbeit
sowohl, als auch durch ihre schönen Formen, unsere Verwun-
derung erregen und mit Recht als Meisterwerke damaliger Zeit
zu bezeichnen sind.

Was das Aeußere dieser Uhren anbelaugt, so bilden die-
selben, abgesehen von den verschiedensten architektonischen For-
men, viele Motive für den Künstler. Vor Allem sind cs der
Mythologie entnommene Stoffe, die Anwendung finden. So
figurirt Saturn (Chronos) als Personification der Zeit; außer-
dem finden sich für den Sonntag: Sol, Montag: Luna, Dien-
stag : Mars, Mittwoch: Merkur, Donnerstag: Jupiter, Frei-
tag: Venus, Samstag: Saturn. Für die Monate kommen die
12 Himmelszeichen vor. Figürliche Darstellungen der 4 Jahres-
zeiten, der 4 Menscheualter und dgl. wechseln mit auf die Zeit
bezüglichen Sinnsprüchen ab.

Die Herstellung der Taschenuhren geschah Anfangs durch
Handarbeit, mit theilweiser Benützung mangelhafter Hülfsma-
schinen. Erst im 18. Jahrhundert, wo man hinsichtlich der Er-
findung und Verbesserung von Hülfsmaschiuen große Fortschritte
machte, wurde die Verfertigung von Uhren fabrikmäßig betrie-
ben und in dieser Beziehung hat die Uhrenindustrie in der
Schweiz die größte Ausdehnung gewonnen. In Bezug auf bil-
lige Herstellung von Taschenuhren wird die Schweiz von keinem
andern Lande übertroffen und die ganze Welt wird von hieraus
mit Uhren versorgt. Es werden jährlich über 2 Millionen
Uhren fabricirt, von denen allerdings ein Drittel als gute, zwei
Drittel als mittelmäßige und geringe Waare zu bezeichnen ist.

Der Hauptsitz der Schweizer Uhrenfabrikation ist der Jura
und zwar vorzüglich die Orte Locle und Chaux de Fonds,
deren Umgebung öde und unfruchtbare Bergthäler bilden. Der
Umstand, daß der Anbau des Bodens nicht lohnend ist, wirkt
fördernd, auf die Uhrenfabrikation. Der Schweizer mit seiner
praktischen Thätigkeit, mit seinem nach Erwerb strebenden Sinne
und Unternehmungsgeist, sucht durch Fleiß und Sparsamkeit das,
was ihm die Natur versagt hat, in lohnender Arbeit zu erwer-
 
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