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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1909

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Heft 1-2
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Folnesics, Hans: Die herzogliche Burg zu Wien im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26207#0021
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Hans Fot.nesics Die herzogliclie Burg zu Wien ira Miltelaller

30

In jüngster Zeit ist abermals der Versuch einer
zusammenfassendenDarstellungunternommen worden,
und zwar in einem nachträglich in der Monatschrift
der Wiener Bauhütte (1. Jahrg. Heft 4 und 5) im
Druck erschienenen Vortrage des Architekten Fkanz
Lepuschitz. Da diese Arbeit nicht auf eigener
Quellenforschung beruht, sondern sich nur an. bereits
Sichergestelltes, oder wenigstens bisher Geltendes
hält, mag es genügen, sie hier bloß erwähnt zu
haben.

I.

In der Geschichte der Wiener Burg ergeben
sich nebst zahlreichen Fragen von minderer Be-
deutung vier strittige Punkte von entscheidender
Wichtigkeit. Erstens die Frage nach der Gründungs-
zeit, zweitens die Feststellung des Umbaues unter
Ottokar von Böhmen und die Zeitbestimmung des
großes Brandes unter dessen Regierung, drittens die
Verhältnisse unter den ersten Habsburgern und
viertens der Neubau der Burgkapelle und die Grtin-
dung der Rudolfskapelle. Daran schließt sich noch
als weiteres wichtiges Moment der Aufstand von
1462 gegen Kaiser Friedrich III., als österreichischen
Herzog den V.

Was die erste dieser Fragen betrifft, so setzt
Wendei.in BoEHEm, der sich als letzter darüber ge-
äußert hat, die Erbauung der „neuen Burg“ — so
genannt im Gegensatz zu der alten Herzogsburg der
Babenberger am Hof — in die Zeit um 12193). Warum
gerade dieses Jahr gewählt wurde, ist nicht ein-
leuchtend. Als sicher kann nur gelten, daß der Bau
schon 1221 bewohnt war, wie aus einem im folgenden
noch zu besprechenden Dokument unzweifelhaft her-
vorgeht. Für die Annahme von 1219 mag vielleicht
entscheidend gewesen sein, daß in diesem Jahre
Herzog Leopold VI. der Glorreiche von dem 1217
begonnenen Kreuzzuge zurückgekehrt war. Es ist
aber keineswegs ausgeschlossen, daß Leopold noch
vor seinem Auszug in das heilige Land den Burg-
bau begonnen, ja selbst vollendet hat.

In dem Feldzuge4), den Leopold an der Seite
Philipps von Schwaben gegen den welfischen Gegen-
könig unternahm, hatte er bei der Belagerung von
Köln 1205 Gelegenheit, die damals eben fertig ge-
wordene Befestigung dieser Stadt kennen zu lernen5 6 7 *).

3) Geschichte der Stadt Wien, lierausgegeben vom
Wiener Altertumsverein I. Bd. 1897, S. 277. Ihm folgend
Adolf Kutzlnigg a. a. O., II. Bd., S. 291.

4) Über diesen Feldzug bei Hermann Krabho, Die
Versuche der Babenberger zur Griindung einer Landeskirche
in Österreicli, Archiv für österr. Geschichte, 93 Bd., 1905.

'j Also nicht erst bei dem Albigenser Feldzuge im
Jahre 1208, wie W. Boeheim glaubt (Gescli. d. St. Wien
ICunstgeschichtliches Jalirbuch der k. k. Zentral-Kommission 1909

In einem Briefe0) Papst Innozenz’ III. an Bischof
Mangold von Passau vom 14; April 1207’) heißt es:

„ . Wiennatn videlicet civitatem, cptae

post Coloniam una de melioribus Teutonici regni
urbibus esse dicitur, amoena flumine, situ praedita,
civibus populosa . .

Diese Stelle wird vori Krabbos) als eine, einerii
Briefe des Herzogs an den Papst entnommene, be-
Zeichnet.

Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß Leopold,
unter den neu gewonnenen Eindrücken stehend, so-
fort nach seiner Rückkehr Wien in ähnlicher Weise
befestigt und sich in den folgenden Jahren, die
er hier verbrachte, eine neue Burg gebaut hat
und daß Köln ihm bei der Befestung seiner neuen
Residenz vor Augen stand. Denn daß die von ihm
in Stidwesteri der bestehenden Stadt angelegte Vor-
stadt nicht — wie man bisher annahm — offen lag,
sondern schon von ihm mit einem Befestigungsgtirtel
umgebeu wurcle, werden wir aus clem Folgenden noch
ersehen.

Natürlich ist auch diese Annahme eine bloße
Vermutung, sie erhält aber wenigstens durch den
Brief an Innozenz III. eine gewisse psychologische
Wahrscheinlichkeit.

Aus einer Urkunde Leopolcl VI., durch welche
die Pfarrzugehörigkeit zu St. Michael ftir das Burg-
gesinde angeordnet wird, geht hervor, daß die Burg
im Jahre 1221 stand uncl bereits bewohnt war. Der
lateinische Originaltext, datiert vom nächsten Pfinc-
tage vor Katharina9 10) ist verloren gegangen. Die
spätere deutsche Übersetzung1") lautet:

„Wir Leupold Herczog ze Osterich und ze
Steyr tun chunt manigleich mit diesem brief, daz
wir in eren Got, unser Vraun Marie und sand
Michel Angeli baut ain chirchen dacz wienne, ze
nachst unser Neuburg und schaffen ze derselben

I, S. 277), wobei noch überdies die Teilnahme I.eopolds

an diesem Kriegszuge gar nicht erwiesen ist.

6) Potthast, Regesta Pontificum Romanorum,
S. 262, Nr. 3085.

7) Boeheim a. a. O. verschweigt wohlweislich das
Datum und spricht nur von einem bekannten Briefe
des Herzogs aus den Jahren 1207—1208, wo doch aus
obigem Datum mit Bestimmtheit folgt, daß der Brief des
Herzogs vor 14. April 1207 gesclirieben sein mul?, womit
Boeheims Theorie fiillt.

s) a a. O., S. . 21.

°) Also den 25. November.

10) Zuerst abgedr. bei Hormayr, Wiens Geschichte,
Wien 1823, II. Bd., 3. Heft, S. 183. Neuerdings bei
Lind, Ber. u. Mitt. d. W. Altertumsvereines, Bd. III, S. 1
u. Gesch. d. St. Wien, I, S. 454.
 
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