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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Liebermann, Max: Anschauung und Idee
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0056

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Ich bin auch von wohlwollender Seite — die
übelwollende Kritik übergehe ich, denn sie will
nicht überzeugt werden, sondern sie will nur
schimpfen, — scharf angegriffen worden, weil ich
in „Die Phantasie in der Malerei" geschrieben habe,
dass alle Kunst der Anschauung entspringe. Ich habe
damit nicht etwa den ideellen Ursprung der Kunst
leugnen wollen, sondern ich wollte sagen, dass nur
die von Anschauung geschwängerte Idee zeugungs-
fähig sei, die Idee muss den Keim zur Gestaltung
in sich tragen. Wenn Delacroix in seinem Tage-
buch Ideen zu Bildern notiert, die ihm bei der Lek-
türe gekommen sind, so sind sie ebenso der An-
schauung entlehnt, als wenn er den Löwen, den er
im zoologischen Garten sieht, malen will. Nur
kommt ihm in diesem Falle die Idee aus der direkten
Anschauung der Natur, in jenem aus der indirekten,
das heisst aus dem Gedächtnis. Aber — und hierauf
kommt es in einer ästhetischen Untersuchung allein
an — die Idee wird erst zu einer künstlerischen,
wenn sie im Kopfe des Künstlers plastischen Aus-
druck gewonnen hat, wenn die Empfindung Form
geworden ist.

Leibniz, der Philosoph, fügte dem Diktum der
Scholastiker „nihil est in intellectu quod non fuerit
in sensu" nisi intellectus ipse hinzu, aber Lionardo
schrieb auf einer Zeichnung, die in den Uffizien
aufbewahrt wird „ogni cognizione comincia da
sentimenti." Der Maler erschaut die Natur, er
durchaut sie, und sofern er ein Künstler ist, ist sein
Schauen ein schöpferisches: aus der Nachahmung
der Natur wird in der Form seiner Nachahmung
eine neue Schöpfung, denn sie giebt nicht nur den
Geist der Natur sondern auch den Geist des Künstlers
wieder. Und gerade das Schöpferische ist die unüber-
brückbare Kluft, die den Kunsthandwerker vom
Kunst-Maler trennt: dieser schafft aus der Natur ein
Neues, noch nicht Existierendes, jener, indem er die
Natur kopiert, höchstens einen Abklatsch der Natur.
In der schöpferischen Auffassung der Natur unter
scheidet sich der Maler von dem geschickten Hand-
werker, der ihm in Kunstfertigkeit oft genug über ist.

Die schöpferische Phantasie ist allen Künsten
gemeinsam, aber sie wird erst gestaltend, wenn sie
zugleich mit der Idee die Ausführung für die Idee
erfindet: die dichterische Phantasie erfindet für die
Sprache, die musikalische für die Töne und die
malerische für Form und Farbe.

Schon die Alten nannten die Malerei stumme
Poesie, präziser könnte man sie stumme Lyriknennen,
da in ihr das subjektive Empfinden des Künstlers

am klarsten zum Ausdruck kommt, und insofern
muss jeder Künstler — ob Dichter oder Musiker
oder Maler, — Lyriker sein. Das hat mit dem
Stoffe, den er behandelt, nicht das geringste zu
schaffen. Rembrandts geschlachteter Ochse im
Louvre ist ebenso ein lyrisches Gedicht wie die
Geburt der Venus von Raffael; der grössere Maler
wird auch der grössere lyrische Dichter sein, dem
die grössre, stärkere „Phantasie für die Wahrheit
des Realen" verliehen ist.

Aber der Künstler schafft nicht nur die Form,
sondern auch die Wirklichkeit, denn er sieht sie
ja nicht wie sie ist, sondern wie sie ihm erscheint.
Mit dem Auge des Künstlers die Natur anschauen,
bedeutet also, dass er sein Bild als Wirklichkeit in
der Natur sieht.

Die Kunst ist nicht, wie die Ästhetik lehrt,
das Spiegelbild der Natur, sondern sie ist das Spiegel-
bild des Künstlers, oder, wie Plotin es wundervoll
ausdrückt: „der Marmorblock wird zum Götterbild,
indem sich die Gestalt, die im Geiste des Künstlers
gegenwärtig ist, dem Stoffe eindrückt." Die Form
liegt im Kopfe des Künstlers fertig, bevor das Werk
durch irgend einen äusseren Umstand ans Licht der
Welt kommt. Das gilt vom grössten Idealisten wie
vom grössten Realisten, von Raffael und Rembrandt
ebenso wie von Menzel oder Manet, denn wodurch
anders als durch den Geist ihres Schöpfers unter-
scheidet sich das Werk des einen von dem des
anderen, da doch alle Werke die sie gleicherweise
umgebende Natur wiedergeben.

Zwischen dem schöpferischen und dem repro-
duzierenden Künstler ist ein Art- und nicht ein
Gradunterschied, wie sogar noch Goethe annahm,
wenn er sagt: „die Malerei ist die lässlichste von
allen Künsten, weil eine technische, obgleich geist-
lose Ausführung den Ungebildeten ,wie den Ge-
bildeten in Verwunderung setzt, so dass sie sich also
nur einigermassen zur Kunst zu steigern braucht,
um in einem höheren Grade willkommen zu sein."
Nein, das fehlende schöpferische Genie lässt sich
durch kein noch so erhöhtes Handwerk ersetzen.
Dafür ist Goethes eigenes Schaffen bester Beweis. In
seinem Hause zu Weimar hängen zwei Zeichnungen
Goethes, Christiane schlafend und die andere, wie
der Herzog und sein Gefolge von der Jagd heim-
kehrend sich auf Betten und Sofa niedergeworfen
haben. Beide Zeichnungen stehen technisch durch-
aus auf der Höhe der damaligen Produktion, aber
wenn wir es nicht wüssten, dass sie von Goethe
sind, würden wir ihren Verfasser nicht daran
 
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