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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 2
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Glaser, Curt: Gustav Doré
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0070

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GUSTAV DORE, HOLZSCHNITT AUS DEM „RABELAIS"

Hätte Dore nichts anderes hinterlassen als die
lithographischen Hefte und die drei Holzschnitt-
bücher, den Rabelais, die ,.,Sainte Russie" und den
Balzac, wäre er dreiundzwanzigjährig von der Bühne
abgetreten, so hätte der Historiker ein Recht, von
ungeheurer Anspannung der Kräfte zu sprechen,
wie sie oftmals den Jungverstorbenen nachgerühmt
wird. Aber Dore schuf weiter, und sein Ehrgeiz
begnügte sich bald nicht mehr mit den kleinen
Vignetten, er malte Bilder, er versuchte sich in der
Radierung, und das Format seiner illustrierten Bücher
wuchs. Statt der entzückenden Randeinfälle zeich-
nete er blattgrosse Illustrationen, anspruchsvolle,
bildmässig abgerundete Kompositionen. Es ist nicht
richtig, angesichts dieser Werke, deren Reihe mit
demBeginn der sechziger Jahre einsetzt, zu behaupten,
dass die Schaffenskraft schon des Dreissigjährigen
erlahmt sei. Man kann der Fülle der Bilderfindungen
seines Dante und Don Quichotte, seiner Bibel und
seines Lafontaine die gebührende Bewunderung
nicht versagen. Aber er spannte in den neuen
Aufgaben sein Talent zu Leistungen, die über seine
Kraft gingen. Er war nicht der Mann, einen „Faust"
als romantisches Märchen zu fassen, wie Delacroix

es gewagt hatte. Sein Respekt vor dem Dichtwerk
bekundet sich in einer ängstlichen Glätte, einer
konventionellen Anmut, unter der nur selten, wo
der Zufall des stofflichen Vorwurfes es erlaubt,
die alte krause Fülle sich hervorwagt. Es kommt
dazu, dass in den grossen bildmässigen Kompositionen
das Einzelne mehr und mehr der Willkür des Holz-
schneiders anvertraut wurde. Der Künstler gab nur
die Tonwerte an und überliess die Ubersetzung in
das lineare System den Handwerkern, und nicht
alle waren so verständnisvoll wie Pannemaker in
seinen besten Leistungen, die anderen neigen leicht
zu einer bequemen Egalisierung der Zeichnung, an
der man zumal die Arbeiten des Pisan nicht selten
erkennt.

Es scheint auch kaum, als sei bei dem Dante
und der Bibel Dore mit ganzem Herzen an der
Arbeit gewesen. Man fühlt den Gegensatz in der
„Atala" des Chateaubriand, wo das exotische Milieu
den Künstler reizte, wo er in der Fülle einer tro-
pischen Natur seinem Hang nach üppig wuchernden
Formen Genüge thun konnte. Auch der ewige Jude
war ein Thema nach seinem Sinn. Hier hat er
seine reichsten Kompositionen in grossem Formate

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