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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0089

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gustav dore, holzschnitt aus dem „rabelais"

zu bedauern, als wir keinen anderen Kunstschriftsteller
von dieser fast weiblichen Fähigkeit zur Hingabe, zur
produktiven Verliebtheit haben, als er darin eine Klasse
für sich ist. Trotzdem kann man die neuen Kapitel
über Ingres, Corot, Delacroix, Daumier, Coubet und
andere Franzosen vorzüglich und einzig in ihrer Art
nennen, wenn man grundsätzlich die sentimentalische
Art zu werten, von allem exakt Biographischen abzu-
sehen und auf eine klare Formenkritik zu verzichten, in
einer Entwicklungsgeschichte gelten lässt. Weniger gut
suid einige der Kapitel über deutsche Maler. Es zeigt
Slch, dass Meier-Graefes Urteilskraft leicht getrübt wird,

ihm6] SlC^ Um *^nst'er semer Nation handelt, die neben
j „e. • Hier sind viele Urteile in der ersten Auf-
Buch C.r' Unhefangener und „richtiger". Das erste
war ein Erlebnis, war in jeder Zeile naiv, es hatte,
bei allen Fehlp™ j n j- * a

'ern, den grossen Aug; diese neue Aurlage

ist gemacht«. Meier-Graefe war vor zwölf Jahren
nie t so erfahren, aber er war jünger, liebenswürdiger
un , m Paris, weniger berührt von jener politischen

Voreingenommenheit, die den Geschichts-
schreiber besonders schlecht ansteht. Die-
ses Politische zeigte sich peinlich zum Bei-
spiel in den neuen Kapiteln über Marees
und Corinth einerseits und über Lieber-
mann und Slevogt andererseits. Die beiden
ersten Künstler erscheinen überschätzt.
Nun, das mag hingehen. Zu grosse Liebe
hat nie geschadet und jeder Mensch fast
hat seinen Ölgötzen. Die beiden letzten
Maler sind unterschätzt, und das ist weni-
ger entschuldbar, weil eine kunstpolitische
Tendenz gar zu deutlich mit durchschim-
mert. Bleiben wir dabei, dass die zweite
Auflage, ebenso wie die erste, eine Mani-
festation des Subjektes Meier-Graefe ist
und dass es gar nicht anders sein kann.
Schade ist es dann nur, dass der Subjek-
tivismus jetzt nicht mehr so reines Herzens
anmutet. In den Kapiteln über Liebermann
und Slevogt und auch anderswo wird der
Geschichtsschreiber zum harten Urteils-
sprecher. Auch das mag hingehen; es ist
kaum zu vermeiden von einem, der eine
Geschichte darstellen will, die er selbst
machen hilft. Der Urteilssprecher aber
erteilt seine Verdikte so, dass man nicht
umhin kann ihn parteiisch zu nennen. Und
das wirkt so ärgerlich, dass man alles in
allem die erste Auflage der zweiten vor-
zieht. Ein Kunstrichter kann nur dann
fordern, öffentlich gehört zu werden,
wenn er fähig ist den besten Freund dem
zu opfern, was'er für wahr hält, und wenn
er selbst dem ärgsten Feind Gerechtig-
keit widerfahren lässt. Nur dann steht
er, selbst wo er irrt, auf festem Boden. Dieser Charak-
terzug eines überpersönlichen Strebens nach Gerechtig-
keit fehlt leider gewissen Partien der neuen Auflage.
Was Meier-Graefe über Liebermann, Corinth, Slevogt
geschrieben hat, gehört der Stimmung des Augenblicks;
es hat in einem Geschichtswerk kein Daseinsrecht. Es
ist unmöglich einen Künstler wie Corinth, der in der
ersten Auflage für den Verfasser noch gar nicht
existierte, der nach seiner Meinung also auf die
deutsche Kunst noch keinen Einfluss gewonnen hatte,
als Liebermann bereits als Repräsentant einer ganzen
Generation bezeichnet wurde, jetzt über Liebermann
zu stellen. Und es ist Meier-Graefes unwürdig, Slevogt
als Zeichner aufs höchste zu preisen und ihn als
Maler wie einen Kitschier zu behandeln. Es genügt
nicht die Behauptung, eine Künstlerpersönlichkeit gebe
sich in einer Technik als grosses Talent und in der
anderen als ein Charlatan, dieser unmögliche Wider-
spruch der Natur will erklärt, will:. bewiesen sein.
Nicht dass Meier-Graefe seine Meinungen gewandelt

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