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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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der neuen deutschen Baukunst eine einflussreiche Stel-
lung erobert und sich fähig gemacht hat, als Leiter der
Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums
eine neue Schulorganisation durchzuführen, die, wie im-
mer man darüber denken mag, der Energie, Intelligenz
und der kühnen Konsequenz Pauls ein glänzendes Zeug-
nis ausstellt. Es ist nichts Kleines um den Weg, den
dieser Künstler zurückgelegt hat aus eigener Kraft, eine
günstige Zeitkonjunktur mit ehrgeizigem Willen und
klarer Einsicht nützend. Um so höher treibt er selbst
aber auch die Forderungen des Kunstfreundes hinauf.
Und vor diesen hohen Forderungen versagt er dann
wieder in wesentlichen Punkten.

Die herrschende Eigenschaft des Architekten Bruno
Paul ist die Intelligenz. Er hat seine Form kritisch aus
der Tradition und aus den verschiedenartigsten An-
regungen der Zeit gewonnen. Eine schöpferische Natur
ist er nicht; er ist auch kein gestaltendes Temperament,
und ein origineller Geschmack oder ein starker Emp-
finder ist er auch nicht. Seine Intelligenz versteht das
Verwickelte zu klären, sie ist im besten Sinne kritisch
und versteht es ausgezeichnet zu resümieren. Paul ge-
hört zu den Neuerern, er war einst revolutionär; aber
er hat sich immer innerhalb des Möglichen bewegt. Er
hat das neue Kunstgewerbe der deutschen Grossbour-
geoisie schmackhaft gemacht. Seine formale Neigung
begegnet jener in den Kreisen der Berliner Plutokratie
herrschenden Neigung, mit Hilfe klassizistischer Bau-
formen aristokratisch zu erscheinen. Er baut zugleich
modern und im Sinne der Überlieferung, er ist modisch
und traditionell in einem, in seinem Stil kreuzt sich
das Parvenuhafte mit dem Patrizierhaften. Es gelingt
ihm nicht, Bauten zu schaffen, die Organismen sind,
aber sie haben in hohem Maasse oft den Schein des
Organischen. xVIan sieht, was ein von der Intelligenz
geführtes Talent leisten kann. Der Sinn für das Ver-
hältnisleben der Teile ist nicht hoch entwickelt. Die
Formenzusammenhänge sind meistens konventionell,
das Räumliche ist nicht so sehr gefühlt als vielmehr
verstanden; doch meistert die Intelligenz jede Masse
und jede Einzelheit, keine Lehre der Zeit ist ungenutzt
geblieben, in alles hat Paul sich hineingearbeitet, jede
Aufgabe wird mit einer gewissen imponierenden Über-
legenheit angefasst und mit kultivierter Disziplin zu
Ende geführt. Verwandte Talente aus dem Berliner
Kunstgewerbemuseum finden sich hinzu und es ent-
steht eine Stileinheit, deren Künstlichkeit nur noch
dem tiefer Blickenden offenbar wird. Die Unarten des
modernen Kunstgewerbes: die Materialprotzerei, die
Selbstherrlichkeit der dekorativen Wirkung, die Ver-

deckung des Mangels durch Aufwand usw. sind keines
wegs überwunden, doch ist der architektonischen For-
menwelt Bruno Pauls eine gewisse Reserve eigen, die
diese Unarten nicht zu sehr aufkommen lässt. Diese
Reserve selbst ist freilich etwas prunkhaft, die Vor-
nehmheit ist nicht im höchsten Sinne vornehm. Die
Kunst erscheint ganz durchgereift und ist doch wie
über Nacht geworden. Kurz, es ist eine wunderliche
Sache, um diesen persönlichen Baustil, der so allgemein-
gültig aussieht und der doch nicht einen einzigen selb-
ständigen Baumeister erziehen wird.

Das Buch enthält Lösungen vieler verschiedener
Bauaufgaben. Grosse Landhäuser, Ausstellungsbauten,
Schiffsräume, schlossartige Gebäude, Bürohäuser,
Sanatorien, viele Innernäume, Grabmale, Einzelmöbel
und Typenmöbel. Es könnte dem Architekten, der vor
fünfzehn Jahren noch Zeichner des „Simplizissimus"
war, der Bau einer ganzen Stadt, einer Kirche, eines
Museums übertragen werden: er würde jede Aufgabe
mit einer gewissen äusseren Überlegenheit lösen.
Immer denkt man an Empire und Biedermeier, an
Palladio und an das Afterrokoko von 1860, an Messel,
Peter Behrens, Olbrich und viele andere Quellen,
immer aber ist die Anregung auch verdaut. Das Aka-
demische erscheint revolutionär und das Revolutionäre
akademisch. Es ist das Geheimnis Bruno Pauls den
Formen einerseits das Persönliche und andererseits das
Schulmässige zu nehmen. Darin liegt sein Erfolg. Er
ist etwas wie ein Fantin-Latour der neuen Baukunst.
Scheinbar unbedingt und doch ganz konziliant, sehr be-
wusst dem Bauherrn gegenüber und doch nachgiebig,
wenn's darauf ankommt. Ein glänzender Verstand und
ein kaltes Herz; stets wachsam über sich selbst und von
starkem Verantwortlichkeitsgefühl, aber letzten Endes
gleichgültig der Kunst gegenüber. Das alles ist von
den Abbildungen abzulesen, wenn man sie durch An-
schauung vor den erreichbaren fertigen Bauten ergänzt.
Der Verfasser des Textes meint in der Einleitung, für
eine Stadt wie Berlin sei Bruno Paul ein wahrer Segen.
Vielleicht hat er soweit recht, dass Berlin solcher
Männer wie Paul bedarf, die Erfolg zu haben verstehen,
die dem Schwanken ein Ende machen und sich ent-
scheiden, mag das Wertvollste auch unter den Tisch
fallen. Aber „ein Segen"?

Vielleicht wird diese Frage nach zwanzig oder
dreissig Jahren einmal, wenn man .klarer sehen kann,
in einem Buch über die Baukunst unserer Zeit ent-
schieden. Von einem Mann, der auf zehn Seiten mehr
zu sagen weiss, als in diesem äusserlich so stattlichen
Band auf zweihundertfünfzig Seiten gesagt worden ist.

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