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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 4
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Boehn, Max von: Das Bühnenkostüm in Mittelalter und Neuzeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0146

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MOLMKE ALS SGANARELLE IN SEINEM LUSTSPIEL ECOLE DES MARIS. 1661

abendländischen, in der die Anfänge dramatischer
Entwicklung nicht über das zehnte Jahrhundert hin-
aus zu verfolgen sind. Man hat sich zuerst damit
begnügt, die in den Evangelien und Episteln der
Hauptfeste gegebenen Anregungen der Texte auf
verschiedene Personen zu verteilen und zu Wechsel-
reden auszunutzen. Eingefügte Tropen verbreiterten
die kirchlichen Gesänge und mögen dazu beige-
tragen haben, dass der Zwang der hergebrachten
Liturgie, war er schon durch poetische und musi-
kalische Zusätze unterbrochen, auch rituell freier
gehandhabt wurde. Die ältesten uns bekannten
Tropen dieser Art stammen aus dem Kloster St.
Gallen und gehören dem Anfang des zehnten Jahr-
hunderts an. Sie werden auf den Mönsch Tutilo
zurückgeführt. Dadurch, dass man mit den Lita-

neien der Karwoche Zeremonien der
Kreuzigung, Grablegung und Auf-
erstehung verband, selbst wenn sich
diese anfänglich auch nur in sym-
bolischen Andeutungen bewegten, ge-
schah der erste Schritt zur Gestaltung
einer dramatischen Form. In schneller
Folge that nun der theatralische In-
stinkt das seine, um durch Einschal-
tung weltlicher Personen in die heilige
Handlung den Gottesdienst in das
Schaustück des Mysteriums umzu-
wandeln. Damit veränderte sich auch
der Charakter der Aufführung, er
verliess die Bahnen des Gottesdienstes
und wurde zum weltlichen Theater
ausserhalb der Kirche. Immerhin sind
einige Jahrhunderte darüber verflos-
sen, ehe aus der Messe das zyklische
Mysterium geworden war. Die erste
Periode wird man vom zehnten bis
zum zwölften Jahrhundert rechnen
dürfen; seit Beginn des dreizehnten
Jahrhunderts waren die Aufführungen
aus der Kirche verwiesen und eine
neue Epoche des mittelalterlichen
Theaters hebt an. Diesen grossen
Abschnitten der Entwicklung ent-
sprechen die Texte und in ihrem
Rahmen Inszenierung und Kostüm.
Solange der Schauplatz der Auffüh-
rung das Gotteshaus selbst, vorzugs-
weise wohl der Chor war, begnügte
man sich mit Andeutungen, die um
so allgemeiner verständlich sein
mussten, als allen Zuschauern der Gang der Hand-
lung und die Bedeutung derselben völlig vertraut
war. Als' das Mysterium sich ausserhalb der Kirche
eine Bühne suchen musste, wuchsen die Ansprüche
an Szenerie und Ausstattung in beträchtlichem
Maasse und wurden zusehends theatermässiger.

Diese Entwicklung vollzieht sich in Deutsch-
land, Frankreich und England in parallelen Bahnen,
war es doch überall der gleiche Ritus mit den
gleichen Symbolen und Geheimnissen, aus denen
heraus das Drama erwachsen ist. Die älteste An-
weisung zur Aufführung am Ostersonntag während
der Matutin zwischen dem Responsorium und dem
Tedeum, die wir kennen, stammt von Bischof
Ethelwold von Winchester zwischen 959 und 979.
Der Bischof giebt an, dass, während die dritte Lektion

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