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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 4
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Boehn, Max von: Das Bühnenkostüm in Mittelalter und Neuzeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0147

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DER SÄNGER JEHIOTTE ALS PYGMALION IN DER GLEICHNAMIGEN
OPER VON RAMEAU. 1748

gesungen wird, sich vier Brüder ankleiden sollen.
Der eine soll eine Alba anziehen, (ein massig weites,
langes, weisses Ärmelhemd) und mit einer Palme
in der Hand sich in die Kapelle setzen, die das
Heilige Grab vorstellt. Die drei anderen sollen ihre
Schultertücher (grosse, länglich viereckige Leinen-
tücher) über den Kopf nehmen und als die drei
Marien mit Weihrauchfässern in der Hand sich dem
Grabe nähern, so, als ob sie Jesum suchten. Von
einer Verkleidung ist hier also noch keine Rede.
Den drei Schauspielern, wenn man sie so nennen
darf, dienen ihre geistlichen Gewänder nur zur An-
deutung der Personen, die sie vorstellen. Es wird
dem Auge der Zuschauer noch keine Illusion ge-
boten. Es war schon ein weiterer Schritt nach der
Richtung der Kostümierung hin, wenn ein Kleider-
wechsel angeordnet wurde. So sehen einige Offi-
zien vor, dass Christus der Maria Magdalena, die
in dieser Szene am Grabe zurückbleibt, als Gärtner
erscheint mit einem Spaten in der Hand. Andere,
dass er dann verschwindet und nochmals zurück-
kehrt, diesmal als Auferstandener in einem Chor-

MLLE. PURIGUE ALS GALATHEA IN DER OPER PYGMALION VON
RAMEAU. 1748

rock mit der Kreuzesfahne in der Hand. Gustav
Cohen hat aus einer französischen Handschrift die
genaue Beschreibung des Kostüms dieser Szene bei-
gebracht, wie es in Orleans getragen wurde: eine
weisse Dalmatika, [langes hemdfürmiges Überzieh-
kleid mit langen Ärmeln) der Kopf mit weissen
Binden umwickelt, an denen köstlich gefasste Amu-
lette hängen. In der Rechten die Kreuzesfahne und
in der Linken ein Evangeliarium. Auch bei dem
Gang nach Emmaus, der bei dem Vesper-Gottesdienst
des Ostermontags dargestellt wurde, sah das Offi-
zium des Klosters Fleury für den Herrn einen drei-
maligen Wechsel des Anzugs vor.

Lange Zeit genügten diese priesterlichen Ge-
wänder für die Kostümierung der handelnden Per-
sonen. Erst als die Zahl der Darsteller grösser
wurde und sich besonders aus weltlichen Charak-
teren ergänzte, begann man nach einer Differenzie-
rung des Anzugs zu trachten. Diese Absicht deckte
sich mit der ganz natürlichen menschlichen Eitel-
keit und dem Wunsche bei einem öffentlichen Auf-
treten möglichst passend und schön gekleidet sein

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