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154

Schreiben des Rarons von Prudetwitz an den Raron
von Slrudetwih.

Cher Baron! Was Alles seit letzten Brief passirt! Attentat, Milz-
brand, Verhaftungen, Hanssuchungcn, Anerkennung von Spanien, Komet,
Vorzeichen von Weltuntergang! Kan» Gedanken nicht loswcrden, daß Ko-
met in Zusammenhang mit Wcltereignisse. Ist immer so gewesen, hat
immer Krieg, Pest, Rebellion, Heu- »nd andere Schrecken und Ungeziefer
gebracht. Ist, wie schon Mönch in Wallenstein sagt, Ruthe, die le bon
Bien drohend an Himmelsfenster ausstcckt. Aber Welt achtet nicht Ruthe,
will gezüchtigt sein und wird — nous le verrons — mit Skorpione gegei-
ßelt werden. Scrrano, co traiire, dieser JudaS, der Königin geküßt,
um zu verrathen, dieser Matador, der legitimem Königthum Todesstoß ver-
setzt, dieser I'arvenu, brutale Abenteurer und Pavianische Crcatur, von
europäische Mächte anerkannt! Dies— commenccment de Ia (in! Und edler
Don Carlos als Rebell gcbrandmarkl, obgleich jeder Dccimcter ein König,
obgleich sich mit famoses Manifest an christliche Mächte als legitimer Roy
inanifcstirt, obgleich sagt, daß Armee schon vor Thore von Madrid,
obgleich auf Ehre versichert, daß wegen Grausamkeit infam verleumdet
worden und aus Barmherzigkeit höchstens Paar hundert Gefangene hat
fusillircii lassen! Mit Hauptmann Schmidt hat sich allerdings, was
krampfhaft bedaure, etwas übereilt; aber ist nicht verzeihlich? Hat nicht
österreichisches Blatt Recht, wenn behauptet, daß Preußen ebenfalls ZeitungS-
reporter anno 66 in Ketten gelegt hat? Und dann — was ist an einem
Fall gelegen? Erstens war Schmidt ja nur Bürgerlicher, und dann—
warum ist unter Literaten gegangen und hat sich unnütz in Gefahr gestürzt?
Hätte, wenn klug gewesen wäre, cinsehen müssen, daß Muth, Begeisterung,
Idee, Vorthcil, Religion, Beute und wahrhaftes kriegerisches Plaisir nur
aus carlistischc Seite. O daß nur Paar Jahre jünger wäre, eher Baron!
Würde mit Freuden Don Carlos Degen aubieten und an Seile von
Aifonjo und edle Gemahlin für Thron und Altar kämpfen. Welch ein
Weib diese Donna, von antike Größe, eine heilige Mcssalina — auf
Taille! Und welch exquisite Umgebung in Nähe von carlistische Majestät!
Hier, je vous I'assnre, die Creme von europäische Aristokratie, hier Sym-
pathie von gebildete Welt, hier enlin „letzte Ritter" von verstoßene
Legitimität. Oder haben niemals gefragt: Wie ist möglich, daß kleines
Häuflein zu reguläre Armee anwachsen konnte? Wo nimmt Mittel her,
glorreichen Krieg zu führen? Antwort, sollte meinen, tres simple: Hier
ist Strafgericht von Geschichte, wo alle schmählich von Thron Gestoßene
ihr Recht fordern; hier Schlachtfeld zwischen Monarchie und Liberalismus;
hier heiliger, von Papst gesegneter, in ganze Welt gesammelter „Rcp-
tilicnfondö". Ja, ja, eher Baron, soll gewissen Leuten doch sehr schwer
werden, diesem Fonds beizukommen: Deutsches Reich wird noch bitter
bereuen, daß gegen angestammte Legitimität intervenirt. Freilich — wie ist
Schutz von alte 'I'rackllions zu erwarten, wo tapferste Vorkämpfer wie
— bitte, Ausdruck zu verzeihen — wie alte Pferde ausrangirt werden?
Wenn edlen Hengst habe, der nicht mehr leistungsfähig, so gebe entweder
Gnadcnhafer oder schieße Kugel vor eerveille, aber dulde nicht, daß
in Sandkarren gespannt wird. War kürzlich in Iffezheim, wo nobler
Freund Marmordenkmal für treues Roß mit goldnes Kreuz darauf — denn
war frommes Pferd — gesetzt hat. So handelt Ritter. Was aber soll
dazu sagen, daß alter, braver, unerschütterlicher, biederer Rundschau er,
stahlscharfer Traber, vollblütiger, feurigster Rcactionsheugst, plötzlich von
Posten entlassen wird? — Abgedankter Mohr, anSgequelschte Citronc, aus-
getretene Trester, abgebrühte Trüber, Maculatur, schwarzer Undank! Doch
darüber Weiteres bei nächstem Kendez-vons! Für heut nur auf Frage, wo
Sommer zugcbracht kurze Antwort: in Harzburg, woselbst durch magni-
pcrbes Gestüt von Herzog und gute Gesellschaft zurückgehallcn worden. Und
auf weitere Frage, wie mich befinde, die Versicherung, daß zwar niemals
spanische Regierung, wohl aber Sic, eher Baron, stets als treuesten Kamerad
anerkenne als Ihr

_ Prudelwitz.

IkgraGcti ober UcrGrciincn?

Diese brennendste aller Fragen der Gegenwart scheint endlich der Ent-
scheidung nahegcrückt zu sein. Nachdem einer der berühmtesten Gelehrten,
Herr Professor Mohr in Bonn, in No. -14 des „Daheim" „das Lcr-
brenncn der Leichen für unstatthaft und schädlich.erklärt, weil dadurch
der Atmosphäre zu viel Ammoniac entzogen würde, waren sämmtlichc
Leichenverbrennungs-Vereine schon im Begriff — sich begraben
zu lassen. Glücklicher Weise hat noch rechtzeitig ein hosfnungsvoller junger
Chenlikcr herausgercchnet, daß der vorerwähnte Ammoniac - Verlust durch
die colosialen Masse» von Guano, welchen die „Germania" und Herrn
Sigls „Vaterland" nebst Eompliccn täglich producircn, mehr als hin-
reichend gedeckt werde.

Der Raron von Sirubelmih an ben IRaron
von Prubelivih.

Lieber Freund! Vollständig entleibt von Ki ssingen zurückgekehrt, finde
Ihren griesgrämlichcn Brief. Kann Ihnen nur rathen: reißen sich los von
Scholle und stürzen in Strudel! Noch ist Zeit, noch ist Welt voll von
Wanderlust. Habe selten solche Völkerwanderung gesehen. Ueberall, wohin
gekommen, Sommerfrischliuge, Villeggiatouristen, Extrazügler, Hundtagöhjtz.
linge, Fcricnschnappcr, Uilaubfrösche, unpolitische Flüchtlinge, Strich- und
Zugvögel, Wander-Ameisen, Dädckerle, Fichtenschwärmer u. s. w. Bairische
Gebirge wiiumcltcn von Proccssionsraupen, sentimentale Wald-
mcnschcn, abgclaufene Blaustrümpfe, ausgcstopfte Tyrolcr, vertrocknete
Schulmeister, abgebalgte Gymnasiasten und mondsüchtige Backfische. Ufer
dc4 Rheins hallten wieder von Quartettschnarcher, Gröhlnicicr und Falsct-
jodler. In allen Bädern, wo gewesen, stolze Podagriculturmenschcn neben wilden
Sohn aus Walachei, orientalischer Hausse-Bauch neben blutarme Millioneselin,
gallsüchtiger Dompfaff neben hysterische Jungfrau. Unbegreiflich, wo Mensche»
Herkommen! Obgleich leider Poesie von Bäder kor ever dahin, seitdem Banken
aufgehoben, doch überall voll, und je» ganz en sccret blühend — so in
Wiesbaden, Homburg, Emö und selbst in Schweiz. Also hinein,
eher ami, ins volle Menschenleben! Wo ihr's auch greift, da ist's inter-
effant - auf Kaftan! Fehlt ja nirgend zu Abwechselung an Unterhal-
tung mit schönes Geschlecht. Wo nur plaltfüßiger Ctadtmensch, märkisches
Wüstcnkamcl, aufgedunsener Geldprotze, hypcrämischer Eommissionsralh sich
nicderläßt, da sammelt sich auch Schaar von überfütterte Gänschen, ver-
Icsenc Küchlein, verzogene Mutterkälbchcn, licbcdurstige Bleichsüchtigc; da
ist, selbst für Cavalier in unsre Jahre, galantes Abenteuer leicht zu entriren,
da dürfen uns erholen von politische Sorge. Also rasch an Busen von
Natur, oder, s’il est possible, an einen noch jugendlicheren geeilt und Trau,
von Verjüngung aus Lethe gclrunke»! Merken denn gar nicht, eher ami, daß
sogenannter Eulturkampf schon viel an Intensität verloren? Noch paar
Wochen oder Monate, und Bischöfe werden klein bcigeben und Lethe
trinken. Also gehet hin, eher ami, und thut desgleichen! Was könnten —
je vons le demanile — Besseres thun? Wozu ewig daran denken, daß vor
lange Jahre nach GaLta als Ehrenschildbürger gcwallfahrtct, daß früher
unS für Welf und Chambord, für Nassauer und Dietrich cchaussirt?

— Lethe! Lethe! Tempi passati! Habe, parole il’honneur, keine Lust,
fahrenden Ritter von Legitimität zu spielen. Schließe mich neue Zeit an.
Und, en effel, wenn Rußland von Thron steigt und Serrano Hand
drückt, wenn 01<> England sich von Carlos abwendet und Haus HabS-
burg nicht vor Anerkennung erschrickt, dann können, ohne Ehre zu com-
promittircn, diplomatische Beziehung zu madrider Regierung anknüpse».
Was brauchen überhaupt uns um hohe Politik zu kümmern? Mögen Diplo-
maten sehen, wie fertig werden! Ist jetzt nicht köstliche Zeit? Kein Parlament
auf weite Golteswclt — kein Acrgcr über lajkcrhafte Enthüllungen — Börse
sangt an. pd, zu erholen — Laura wieder lustig — Flora in Besserung

— Hibernia wieder flott — Georges-Marie in Wollust schwimmend

— Marie consolidirt — Mägdesprung gestiegen, und nur die arme
Constantia bis auf 4 gefallen! Audi Theater fängt an wieder aufzulcben.
wenn and, nur sehr langsam. Scho» hat Aladin Zaubcrlampc wieder on-
gcflickt und geflockt und Huon Wunderhorn geblasen, um aüfzuwecken. Crm •-
weilen aber herrscht Nachbauer bei Kroll als sicgreid,er Tenor-Präten-
dent. DaS ist legitimer Tenor, den selbst Großmächte anerkennen müssen.
Und ist von Primadonnen umgeben, die mir lieber als blutdürstige spanische
Donnen — müßten sehen und hören, eher ami, diese Donna
Schmidt, Donna Meyer, Donna Dcichmanu und Donna Sautet-
bach! Wie gern möchte singen: Bei Lautcrbach habe Strumpsband
verloren! Auf Taille!

_Strudclwitz.

Die „Germania" beginnt, sich unter ihrem eigenen Namen ungcmülb-
lich zu fühlen. Um die Flagge zur Ladung in das richtige Verhältnis! zn
bringen, soll sie sich nmtaufcn und mit dem nächsten Monat unter dem
Titel: „Die Lüge" crsd,cincn wollen.

Der Stiftsprobst I)r. von Döllingcr in München erläßt im
„Dcutsd>en Mcrcur" eine Einladung zu der am 14. September in Bon»
abzuhaltenden Eonfercnz, weld,e eine Wiedervereinigung der christ'
lichen Confessionen anstrebcn soll.

In Auerkennuug seiner Bestrebungen in dieser Sache wurde der IM'
würdige Herr jüngst zum Ehrcnmitgliedc zweier gelehrter Gesellschalten
ernannt, von denen die eine die endliche Auffindung der Quadratur de---
Kreiscs, die andere die Herstellung eines möglichst einfachen und dauer-
haften Perpetuum mobile „anstrcbt."
 
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