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Girr Dinternachmittagstramu.

(§r sprang auf und durchmaß mit hastigen Schritte» die enge weiß-
getünchte Zelle, i» welche durch das kleine vergitterte Fenster ein trübes
Dämmerlicht fiel; dann warf er sich wieder auf den Holzstuhl und versank
in dumpfes Brüten.

War cs möglich? War er cs selbst, der bewunderte Parteiführer und
Nedncr, der unermüdliche Gcsetzesfabrikant Eduard Lasker, der hier am
Strande des Plötzensce's gefangen saß?

Sie war erfüllt, die dunkle Wahrsagung deS Weisen von Meppen,
die er einst im Gefühle trügerischer Sicherheit verlacht hatte. Der »immer
ruhende Hammer war zum duldenden Amboß geworden; die Gesetze, die j
er selbst geschaffen, hatten ihn, wie undankbare Kinder, i»S Verderben gebracht.

Was hatte ihm die Bctheurung geholfen, daß er nichts Verbotenes,
nichts Ungesetzliches gewollt habe?

„Man kennt Ihre obfectiven Schnippchen!" — halte der Staats-
anwalt ihm höhnisch erwidert.

Und welche Arbeit hatte man ihm zugewiesen, dem Manne, der doch
auch auf das Prädicat geistiger Begabung Anspruch machen durfte! Ver-
zweiflungsvoll starrte er auf den Tisch: da lagen Haufen von Heiligen-
bildchen, die er mit Unterschriften zu versehen und sauber einznrahmen
hatte; da standen in Kiste» Tausende von Exemplaren einer Broschüre
Majunke's über das fünfundzwanzigjährige Jubiläum der Blutungen der
Louise Lateau, über die er einst mit seinem Freunde Birchow gottlose
Scherze gemacht hatte; und jedes Heftchen wollte zierlich geheftet und
beschnitten sein!

Und arbeiten mußte er, sonst wurde ihm zu der verweigerten Selbst-
beköstigung auch »och die Sträslingsatzung entzogen.

Er stützte das heiße Köpfchen in die Hand. Das war dieselbe Hand,
die einst so oft in der starken Rechten des gewaltigen Kanzlers gerubt
hatte! Ach! Wo war Er geblieben, der Allmächtige, Unnahbare? Wo
war der Riesenbau, den er mit Gigantenarme» gethürmt hatte?

AIS Deichoberst a. D. fristete er ein freudloses Privat-Dasein an der
Küste der Ostsee, schon halb vergessen von dem lebenden Geschlecht.

Und wie sah es in der Welt aus!

Pius IX. hatte kürzlich seinen hundertsten Geburtstag gefeiert
und befand sich besser als je — fast so frisch wie Wrangel. Von den

Alpen biS zur Enge von Messina erstreckte sich der Kirchenstaat,
während der alternde Victor Emanuel als Herzog von Sicilien sich in
einer Schlucht deS Aetna mit Mühe gegen die Angriffe der Briganten
behauptete.

Der König Don Carlos von Spanien war bei feiner Rundreise
durch Deutschland an allen Höfen auf das freundlichste aufgcnommcu.
und wurde an der französischen Gränze in Cöln von seinem königlichen
Vetter, dem legitime» Herrscher und Wiederhcrstcller des Frankenreichs
empfangen.

Das Alle» hatte der Zellensträfling in der „Germania" gelesen,
dem einzigen Blatte, welches im Gefängniß gehalten wurde. Das bairische
„Vaterland" erschien nicht mehr, seit I)r. Sigl zum Cultusminister
des unabhängigen bavarischcn Reichs ernannt war.

Und was hatte er heut in jenem Blatte gelesen?

In dieser Stunde mußte im Abgcordnetenhause der Präsident Windt-
horst dem Abgeordneten Reichensperger das Wort ertheilcn zur 2!c-
gründuug seines Antrags auf endliche Aufhebung der Maigesetze,
welchem Antrag eine Majorität von lfi/u aller Stimmen gesichert war.

Verzweifelnd brach er in den Ruf auS: „O Windthorst, Windt-
horst, Windthorst, wie wahr hast du einst gesprochen!" Er schmetterte
daS Haupt auf die Tischplatte nieder. Dann fuhr er empor. WaS war
das? Täuschte ihn ein Traum aus vergangenen Tagen? Er saß ja gar
nicht in einer Zelle: er befand sich mitten in dem wohlbekannten Saal,
und rechts und links saßen die alten Freunde. Da war ja auch der gelbe
Kragen des Kanzlers; Forckenbeck präsidirte und führte eben eine Prise
zur Nase, während Windthorst mit geröthetem Antlitz die Tribüne ver-
ließ. Einer der Frei-Conscrvativen aber rief ihm leise scherzend zu:
„Mittagsschläfchen wohl bekommen?"

So war Alles nur ein fürchterlicher Traum gewesen, verschuldet durch
den bösen, bösen Vertreter des frommen Meppen?

Noch zweifelte er; dann aber sprang er rasch empor und meldete sich
zum Wort.

Als er die eigene Stimme in alter Weise durch den Saal schallen
hörte, schwand jeder Zweifel, und gewandt und entschieden redete er für die
Bewilligung der Summen für das neue Reichs-Justizamt.

KlaMmMst.

Allel. Hast d» i
■r(t [fl «nltflg jel'tcl"
bei Do

kjajil?

kchultze. Za wol;

'Miller. WaSmo
gtulfe. Mschloß

jfnlkr. Schade!
>4ul&f. Schade
Aller. -)la denn
ifalfe. Dorum


Ja Kür.(öcu gcsch
Steffl unb öffentliche»
Ei iturk kürzlich !

6AZ) Offenes ZMchrcilmi an den denttzen Rcichsffaiisier Arsten von Kisviarck.


Nur indem Weihnachten so dicht vor der Thür ist und ich mir vor-
stelle, daß Sic — da Ew. Durchlaucht doch kein offenes Geschäft haben
jetzt mehr mit Zeit versehen sind, wage ich es, Ihnen mit diesen Zeilen
zur Last zu falle». Es betrifft nämlich den bevorstehenden Venus-Durch-
gang, über den im Allgemeinen wie im Besonderen im Unklaren und in
Besorgniß zu sein ich nicht umhin kann.

Zunächst möchte ich mir die Frage erlauben, ob eS sich nicht dabei
lediglich um einem Mißverständnisse handelt! So viel ich mir nämlich
auf der letzten Kunstausstellung überzeugt habe, ist nicht Venus, sondern
vielmehr Tannhänser Derjenige, welcher mit Dnrchgangsgedanken umgeht.
Venus vielmehr, wenn ich mir recht erinnere, beschwört ihm, vorher wenig-
stens alles zu reguliren. Wie viel das ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß
nicht, wie thcucr der Perlmutter en gros ist; nach dem aber, was die kleinen
Knöpfchen kosten, kann cs sich um keine ganz geringe Summe handeln.

Um diese Sachen^werdcn ja aber die Gelehrten der Sternwarte besser
Bescheid wissen als wie-ich, eine einfache Frau aus dem Volke. Abgesehen
davon möchte icb Ihnen entre no„s die Frage vorlcgcn, ob der Durchgang
der Venus ein Vorgang ist, welcher schicklicher Weise von ernsthaften und
ehrbaren Leuten beobachtet werden darf? Ist dies ein Vorgang, der noch
extra in fünf oder sechs unbekannten Ländern beobachtet werden muß — für
dessen Beobachtung die -ungeheuerlichsten Summen ohne Weiterem auf die
Milchstraße geworfen werde» müffeu? Und dieses in einer Zeit, wo
Plessner nur gegen Baar-Entschädigung als Macnlatnr angenommen

Wie ich durch den öffentlichen Blättern erfahre, handelt cs sich bei der
ganze», meiner Ansicht »ach nicht durchaus sauberen Erscheinung ui» der

Feststellung der Parallaxe. Ist nun wohl die Parallaxe nicht etwas,
wo doch daS Geld anderweitig noch viel nützlicher augeweudet werden
könnte?

Ich will nichts dazu sagen, wenn die Astrologen von dergleichen
Unregelmäßigkeiten entzückt sind; im höchste» Grade tadclnSwerth finde ich
cs aber, daß solide berliner Bürger den angeblichen Durchgang der
Venus zu einem Gelage in der Restauration zur Rcichspost bei
Böhms in der Leipziger Straße benutzen. Wohin — unter uns gesagt
— soll das führen? Es wird natürlich dahin führen, daß jede Mond- oder
Sonnenfinsterniß, jeder Komet, zuletzt jede Sternschnuppe als Vorwand für
ähnlichen Ausschweifungen benutzt werden wird. Denn darin, Durchlaucht,
kenne ich die Männer!

Zur Steuerung eines derartigen Unwesens wende ich mir vertrauens-
voll au Ihnen, indem die astronomischen Vorgänge doch gcwiffermaßen zum
auswärtigen Fach gehören, in welchem Ew. Durchlaucht schon so groß-
artige Resultate errungen zu haben sich schmeicheln I c

Um schleunigster Antwort in dieser und in der billigeren Fleisch-
frage, wie zugleich um Beifügung Ihrer Photographie und eines kleinen
Zuschusses zur WcihnachtSbcschcerung ersuchend,

ewig die Ihrige
Clarissa Tannebohm,

Vorsteherin des Vereins der empörten Hausfrauen der
Luisenstadt.

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