VIERTES KAPITEL.
Die bildende Kunst.
Der plastische Sinn der Neapolitaner — ihre Leiftungen in der schönen Kunst — Das Teatro San Carlo und Angelo
Carasale — ein gefangener Künstler auf der Festung und die Karthäuser—die Künstler, welche die Karthause ausgeschmückt
haben — die Krippe von San Martino — das Museum von San Martino und die Majolikensammlung — berühmte
neapolitaner Künstler, deren Werke nicht in Neapel find (Bernini, Salvator Rosa) — Künstler, deren Werke in Neapel,
die aber keine Neapolitaner sind (Ribera, Domenico Fontana) — wirkliche neapolitaner Schulen (Masuccio I und II,
Andrea Ciccione, Antonio Solario lo Zingaro) —- San Severino, die Cappella de’ Sanseverini und die Cappella Sansevero
— der Cavaliere Cosimo Fansaga und Francesco Solimena.
I.
ie Neapolitaner scheinen vom ersten bis zum letzten ungemein viel plastischen Sinn
zu haben. Fainello sieht seinen Freund Carta-carta vorübergehen: er will sagen,
Carta-carta soll warten: er sagt das nicht, er erhebt nur seinen Arm. Der Cavaliere
Falangola will andeuten, dass sich zwei Personen nahestehen, z. B. Bruder und
Schwester sind: er legt die beiden Zeigefinger an einander; er betrachtet seine beiden
Hände als Geschwister, genau so wie Signora Francesca, die schöne Tänzerin in den
Bädern von Lucca, ihre beiden Füsschen in die Höhe streckte und sie wie Puppen agiren,
von einander Abschied nehmen, sich mit den Spitzen küssen und die zärtlichsten Dinge
||| sagen liess: der blaue Fuss stellte den Abate Checco, der rothe Francesca selber vor.
Sw Man will den Herzog Maddaloni besuchen und fragt, ob er zu Hause ist? Der Diener
beginnt sich mit dem Finger Hals und Kinnlade bedauerlich zu kratzen; versteht man die
Grimasse nicht und fragt noch einmal, so kratzt der Unselige nur noch mehr; fragt man immer
wieder, so kratzt er weiter, gerade als ob er stumm geboren wäre. Bereits oben hatten wir Gelegen-
heit, diese affenartige Beweglichkeit des Volkes zu berühren, sie machen sich oft förmliche Berichte,
erzählen sich ganze interessante, umständliche Geschichten, wenn sie entfernt stehen und ihre saloppe,
quabbelige Zunge aus irgend einem Grunde im Zügel halten müssen.
Ja, nicht blos der gemeine Mann ist in Neapel Meister der Pantomime, nein, auch der
vornehme und selbst Seine Majestät. Der Exkönig beider Sicilien, Franz II., der sogenannte
Re Bomba gab dereinst bei einem Volksaufstand eine glänzende Probe davon ab. Er stand auf
seines Schlosses Zinnen und wollte sich der Menge verständlich machen. Zuerst machte er mit
beiden Händen eine Geste, wie wenn man etwas niederschlagen oder beschwichtigen will; das hiess:
Seid ruhig. Hierauf deutete er auf seine eigene Person und spitzte den Mund; das bedeutete:
Hört auf mich. Als er so ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, schlug er die Hände seitwärts
aus einander, wie wenn man etwas zerstreuen will, das war soviel als: Geht aus einander. Nun
handelte es sich darum, ihnen das verhängnissvolle Sonst zu versinnlichen; er that’s, indem er die
Achseln einzog und die Hände flach in die Höhe hielt, wie man etwa thut, wenn man etwas
Furchtbares erblickt und erschrocken zurückprallt. Sonst, wollte er sagen, werde ich euch
durch den Polizeidirector Ajossa, der ihrer schon fünftausend eingesperrt hat, ebenfalls hinter Schloss
4i
11
Die bildende Kunst.
Der plastische Sinn der Neapolitaner — ihre Leiftungen in der schönen Kunst — Das Teatro San Carlo und Angelo
Carasale — ein gefangener Künstler auf der Festung und die Karthäuser—die Künstler, welche die Karthause ausgeschmückt
haben — die Krippe von San Martino — das Museum von San Martino und die Majolikensammlung — berühmte
neapolitaner Künstler, deren Werke nicht in Neapel find (Bernini, Salvator Rosa) — Künstler, deren Werke in Neapel,
die aber keine Neapolitaner sind (Ribera, Domenico Fontana) — wirkliche neapolitaner Schulen (Masuccio I und II,
Andrea Ciccione, Antonio Solario lo Zingaro) —- San Severino, die Cappella de’ Sanseverini und die Cappella Sansevero
— der Cavaliere Cosimo Fansaga und Francesco Solimena.
I.
ie Neapolitaner scheinen vom ersten bis zum letzten ungemein viel plastischen Sinn
zu haben. Fainello sieht seinen Freund Carta-carta vorübergehen: er will sagen,
Carta-carta soll warten: er sagt das nicht, er erhebt nur seinen Arm. Der Cavaliere
Falangola will andeuten, dass sich zwei Personen nahestehen, z. B. Bruder und
Schwester sind: er legt die beiden Zeigefinger an einander; er betrachtet seine beiden
Hände als Geschwister, genau so wie Signora Francesca, die schöne Tänzerin in den
Bädern von Lucca, ihre beiden Füsschen in die Höhe streckte und sie wie Puppen agiren,
von einander Abschied nehmen, sich mit den Spitzen küssen und die zärtlichsten Dinge
||| sagen liess: der blaue Fuss stellte den Abate Checco, der rothe Francesca selber vor.
Sw Man will den Herzog Maddaloni besuchen und fragt, ob er zu Hause ist? Der Diener
beginnt sich mit dem Finger Hals und Kinnlade bedauerlich zu kratzen; versteht man die
Grimasse nicht und fragt noch einmal, so kratzt der Unselige nur noch mehr; fragt man immer
wieder, so kratzt er weiter, gerade als ob er stumm geboren wäre. Bereits oben hatten wir Gelegen-
heit, diese affenartige Beweglichkeit des Volkes zu berühren, sie machen sich oft förmliche Berichte,
erzählen sich ganze interessante, umständliche Geschichten, wenn sie entfernt stehen und ihre saloppe,
quabbelige Zunge aus irgend einem Grunde im Zügel halten müssen.
Ja, nicht blos der gemeine Mann ist in Neapel Meister der Pantomime, nein, auch der
vornehme und selbst Seine Majestät. Der Exkönig beider Sicilien, Franz II., der sogenannte
Re Bomba gab dereinst bei einem Volksaufstand eine glänzende Probe davon ab. Er stand auf
seines Schlosses Zinnen und wollte sich der Menge verständlich machen. Zuerst machte er mit
beiden Händen eine Geste, wie wenn man etwas niederschlagen oder beschwichtigen will; das hiess:
Seid ruhig. Hierauf deutete er auf seine eigene Person und spitzte den Mund; das bedeutete:
Hört auf mich. Als er so ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, schlug er die Hände seitwärts
aus einander, wie wenn man etwas zerstreuen will, das war soviel als: Geht aus einander. Nun
handelte es sich darum, ihnen das verhängnissvolle Sonst zu versinnlichen; er that’s, indem er die
Achseln einzog und die Hände flach in die Höhe hielt, wie man etwa thut, wenn man etwas
Furchtbares erblickt und erschrocken zurückprallt. Sonst, wollte er sagen, werde ich euch
durch den Polizeidirector Ajossa, der ihrer schon fünftausend eingesperrt hat, ebenfalls hinter Schloss
4i
11