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Kleinpaul, Rudolf; Heinrich Schmidt & Carl Günther [Mitarb.]
Neapel und seine Umgebung: mit 142 Illustrationen — Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.55172#0074
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und Riegel bringen lassen. Wie führte er das aus? Er hielt die gespreizten Hände kreuzförmig
vor’s Gesicht, wodurch ein Gitter abgebildet wurde.
Als dann im Jahre 1860, am Vorabend der Madonna di Piedigrotta Garibaldi in Neapel
einzog und das Königreich beider Sicilien durch Decret vom 15. October für einen Bestandtheil
des einen und untheilbaren Italiens erklärte, wurde wieder dies eine Italien von den Unterthanen
plastisch dargestellt — schon vor 1864 dargestellt, wo man es an der Nordseite des königlichen
Palastes in Marmor abbildete. Am 21. October fand eine allgemeine Volksabstimmung über
die Annexion statt: die Neapolitaner hatten mit Staunen einen einzigen Mann, nur von fünf
oder sechs Soldaten begleitet, unerschrocken in eine Stadt kommen sehen, wo noch sechstausend
Prätorianer eines absoluten Königs standen: die lebhaften Lazzaroni begeisterten sich für einen Muth,
der ihnen so ferne lag; sie durchzogen lärmend die Strassen und riefen aus Leibeskräften: Italia una!
Italia una! — Sie brüllten, bis sie nicht mehr konnten; um aber ihren Einheitsbestrebungen fort
und fort beredten Ausdruck zu geben, hielten sie den Zeigefinger in die Höhe. Die Einheiten
der Zahlen werden ja fast immer durch ausgestreckte Finger versinnlicht, namentlich Fremden
gegenüber, die nicht gut Italienisch sprechen — eine uralte Zählmethode, auf welche schon die
römischen Ziffern zurückzuführen sind: die Fünf (V) hat die Form einer geöffneten Hand, die
Zehn (X) die von zwei Händen.
Man sollte also meinen, die Neapolitaner müssten grosse bildende Künstler sein. Vor
allem Schauspieler, weil sie alles so gut nachmachen können. Ein grosses Theater haben sie
allerdings, das 7500 Menschen fasst;1) indessen wir wollen hier nicht zusehen, was in dem Theater
gemacht wird, beiläufig gesagt, nur Oper und Ballet, sondern wie das Theater selbst gemacht
ward. König Karl III, der während seiner Regierung (1734/59) so viel für die Erweiterung und
Verschönerung der Stadt gethan hat, wollte ein neues grosses, prachtvolles Theater haben, weil
bis dahin nur wenige und kleine existirten, und zwar sollte der Prachtbau wie durch ein Wunder
über Nacht hervorgezaubert werden, das heisst, in möglichst kurzer Zeit. Den Entwurf lieferte
Giovanni Medrano, ein Sizilianer, die Ausführung wurde dem neapolitanischen Architekten Angelo
Carasale anvertraut, einem Manne aus dem Volke, der sich durch ausserordentliche und kühne
Leistungen einen Namen erworben hatte. Er wählte den Platz an der Nordseite des königlichen
Palastes und liess viele Häuser niederreissen, damit die Bühne weiter ab- und für die Vorführung
grosser, figurenreicher Scenen, z. B. von Schlachten, Wagen und Pferden Raum entstünde. Carasale
begann sein Werk im März 1737 und vollendete es im October desselben Jahres: am 4. November,
dem Feste des heiligen Carlo Borromeo und dem Namenstag des Königs Karl, konnte zum
ersten Mal gespielt werden. Es war ein prachtvoller Anblick, das ganze Innere mit Spiegelglas
belegt, der Widerschein der unzähligen Lampen blendend und zauberhaft. Als der König in
das Haus hineintrat und die grosse, reichgeschmückte königliche Loge sah, klatschte er vor Freuden
in die Hände, während das Volk dem König zujubelte, der Neapel ein so herrliches Gebäude
geschenkt hatte. Mitten im allgemeinen Applaus liess der König Carasale rufen, legte ihm die
Hände auf die Schultern und lobte ihn öffentlich, wofür dieser ehrerbietig dankte. Hierauf bemerkte
ihm der König, das Theater stosse mit der Rückseite an den Palast, und es wäre bequem
gewesen, wenn sich die königliche Familie durch einen Corridor aus dem einen Hause in’s andere
hätte begeben können. Der Baumeister schlug die Augen nieder und der König entliess ihn mit
den Worten: Wir werden dran denken (ci penseremo). Nach Schluss der Vorstellung fand der
König beim Ausgang aus der Loge Carasale: er bat Seine Majestät, durch den gewünschten
Corridor in den Palast zurückzukehren. In drei Stunden hatte der Architekt dicke Mauern
Dies ist meines Wissens mehr als irgendwo; die höchste Zuschauerzahl in Deutschland, welche das Münchener Theater aufweist,
beträgt 2500; die Scala in Mailand nimmt 3600, das grosse Theater zu Petersburg 4000 Personen auf.

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