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war, in die Augen fällt. Wollen wir
uns von der urſprünglichen Wirkung der
Kompoſition eine Vorſtellung machen,
ſo müſſen wir eine alte Abbildung zum
Vergleich heranziehen; es gibt deren
mehrere: eine Kopie in Blfarben be-
findet ſich im Palazzo Corſini zu Florenz,
eine — freilich nicht ſonderlich ſchöne —
Tuſchzeichnung im Muſeum zu Orford
Abb. 48).

Den anmutig idylliſchen Madonnen-
bildern reiht ſich das durch die gleiche
Fülle von Lieblichkeit ausgezeichnete
Bild der heiligen Katharina an, das
ſich in der Londoner Nationalgalerie
befindet (Abb. 49). In etwas mehr
als halber Figur dargeſtellt, ſteht die
jungfräuliche Heilige in einer freien, von
einem Fluß durchſtrömten Landſchaft;
den linken Arm hat ſie auf ihr Marter-
werkzeug, das Nad, geſtützt, die Rechte
— eine unvergleichlich ſchöne Hand —
legt ſie auf die Bruſt, wie um ihre Glau-
Abb. 38. Stizze zur, Madonna mit dem Stieglig“. bensfeſtigkeit und ihren Opfermut zu be-

Federzeichnung. Im Muſeum zu Oxford. teuern, und mit einer Seitwärtsbewegung

(3u Geite 36.) des Kopfes wendet ſie den Blick dem

vom Himmel herabſtrahlenden Lichte zu.

Im letzten Jahre ſeines Aufenthaltes in Florenz hatte Raffael noch einmal
Gelegenheit, zu Ehren der Jungfrau Maria, die er ſo oft in jenen lieblichen
Bildern, welche die ſchönſte Zierde der Gemächer frommer Kunſtfreunde bildeten,
verherrlicht hatte, ein großes Altargemälde zu ſchaffen; das Florentiner Geſchlecht
der Dei beſtellte bei ihm ein ſolches für ihren Familienaltar in der Kirche
S. Spirito. Vorher aber, im Jahre 1507, vollendete Raffael ein anderes großes
Altargemälde, zu deſſen Ausführung er ſich ſchon bei Gelegenheit ſeiner Anweſen-
heit in Perugia verpflichtet hatte. Eine Dame aus dem Geſchlecht der Herrſcher
von Perugid, Frau Atalanta Baglioni, hatte ihn beauftragt, für die dortige
Kirche S. Francesco eine Beweinung Chriſti zu malen. Atalanta hatte ihren
beſonderen Grund zur Wahl dieſes Gegenſtandes; in den blutigen Familien-
zwiſten, die damals faſt jede italieniſche Stadt durchtobten, war ihr Sohn
Griffone der Blutrache zum Opfer gefallen; in ihren Armen hatte er ſeinen
Mördern verziehen. Dem jungen Meiſter aber fiel damit eine Aufgabe zu, die
von ihm die Vertiefung in ganz andere Empfindungen verlangte, als diejenigen
waren, denen er in ſeinen holdſeligen Madonnenbildern Ausdruck verlieh. Es
ſcheint denn auch, daß Raffael bei der Bewältigung dieſes ſeinem Weſen ferner
liegenden Stoffes große Schwierigkeiten zu überwinden hatte, um zu einem end-
gültigen Ergebnis zu gelangen. Wenn wir eine im Muſeum zu Oxford bewahrte
flüchtige Federzeichnung (Abb. 50) als den erſten Entwurf Raffaels zu dem
Bilde für Atalanta Baglioni betrachten dürfen, ſo erfahren wir, daß es eine
vollſtändige Umgeſtaltung durchgemacht hat, ehe es zur Ausführung kam. Auf
dieſem Entwurfe ſehen wir, wie dem vom Kreuze abgenommenen Leichnam das
erſte liebevolle Lager bereitet worden iſt, bevor zur Beſtattung geſchritten wird;
das Haupt Chriſti ruht im Schoße ſeiner Mutter, die, vom Übermaß des Schmerzes
bewältigt, in die Arme ihrer Begleiterinnen ſinkt; die Beine des Heilandes liegen
auf dem Schoße der Magdalena, die mit gerungenen Händen den Blick von dem
 
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