Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Realistische und phantastische Kupferstiche

Zerknirschung und welcher Inbrunst dieser Mensch
schrieb Dürer einmal, „ist inwendig voller Figuren,
wäre, daß er ewiglich lebte, so hätte er aus den inneren Ideen
allzeit etwas Neues durch die Werke auszu-
gießen." Holzschnitt undKupferstich gaben ihm
Gelegenheit, aus der Fülle der Ideen mehr
auszugießen, als in durchgeführten Gemälden
möglich gewesen wäre. Mehr noch als der

die Hände an, mit welcher
betet! (Abb. 22.)
„Ein guter Maler/
und wenn's möglich


Abb. 42. Johannes der Täufer
Flügelbild eines unvollendet gebliebenen
Altarwerkes, von 1S04. In der Kunsthalle
zu Bremen <Zu Seite 49)

Holzschnitt, bei dem immerhin in der Rück-
sichtnahme auf die Volkstümlichkeit der Dar-
stellung eine Beschränkung lag, gestattete ihm
der Kupferstich, seinen künstlerischen Einfüllen
zu folgen und Gegenstände zu bearbeiten, die
ihm nicht gewichtig genug erschienen als Vor-
würfe für Bilder, oder die ihrer Natur nach
die immer mit einer gewissen Stofflichkeit be-
haftete Ausführung in Malerei nicht zuließen,
oder die sich nach den allgemeinen Anschau-
ungen der Zeit nicht zu Gemälden eigneten.
Denselben Meister, der in den apokalyptischen
Bildern das Erhabenste und übernatürlichste
so eindringlich zu schildern wußte, sehen wir
gelegentlich in das volle Menschenleben hinein-
greifen und die alltäglichsten Dinge künstlerisch
wiedergeben. Dürer hat mehrere gestochene
Blätter von sittenbildlicher Art veröffentlicht,
volkstümlicheEruppeu und Einzelfigureu, voll
von schlagender Lebenswahrheit, bisweilen
von köstlichem Humor (Abb. 31 u. 34). Auch
Stiche mythologischen, sinnbildlichen und phan-
tastischen Inhalts gab er neben seinen zahl-
reichen religiösen Blättern heraus.
Den Einfällen seiner frei dichtenden Phan-
tasie zu folgen, hat einen ganz eigenen Reiz.
Vorstellungen, die die Einbildungskraft des
deutschen Volkes bewegten und erregten, spie-
geln sich in solchen Schöpfungen. Der erste
mit einer Jahreszahl bezeichnete Kupferstich
Dürers, von 1497, zeigt vier nackte Weiber,
die durch einen heransausenden Teufel als zur
Ausfahrt bereite Hexen gekennzeichnet wer-
den. Wenn man das wohl schon einige Jahre
früher entstandene Blatt betrachtet, dem die
Kupferstichsammler die Benennung „Der Raub
der Amymone" gegeben haben, so braucht
man nicht erst bei Ovid oder anderswo nach-
zusuchen, um die Berechtigung oder Nicht-
berechtigung dieses Namens zu ermitteln. Da

ist ein bärtiger Nöck, der in einem großen Flusse aus einer Schar badender Frauen
eine herausgegriffen hat und auf seinem Fischrücken davontrügt. Die Tritoneu der
antiken Mythe in ihrer Mischbildung von Mensch und Fisch hatten als künstlerische
Vorstellung das ganze Mittelalter hindurch fortbestanden, und die Gestalt dieser
„Meerwunder" übertrug sich allmählich auf die in der deutschen Volksphantasie

36
 
Annotationen