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der Großen Passion

räters am Haupte des Verratenen, und schon ist dieser mit Stricken gefesselt, und
die wilde, lärmende Rotte schickt sich an, das Opfer fortzuzerren, das in diesem
schrecklichen Augenblick, wo die Erfüllung des Leidensgeschickes zur Tatsache wird,
einen hilfeflehenden Blick menschlichen Entsetzens zum Himmel sendest So be-
greiflich wie nutzlos erscheint der grimme Zorn des Petrus, der das Schwert über
dem mit Ungestüm zu Boden geschleuderten Knecht Malchus schwingt (Abb. 77).
Die beiden anderen neuen Kompositionen bilden den Schluß der Passion' Christi
Hinabfahrt zur Hölle und Auferstehung. Mit gewaltiger Dichterkraft führt uns

der Zeichner in die Vor-
hölle, wo Christus unter
dem ohnmächtigen Toben
greulicherTeufelsgestalten
die Seelen der Väter aus
einem tiefen Verlies her-
vorholt; hinter den Be-
freiten sieht man das of-
fene Tor der Hölle, das
dem Blick nichts weiter
enthüllt, als ein grenzen-
loses schwelendes Flam-
menmeer, dessen ausstrah-
lende Glut die Sieges-
fahne des Erlösers empor-
wehen macht. Nicht min-
der großartig ist das Auf-
erstehungsbild. Eine starke
Wache von Bewaffneten
umgibt das Grab. Einige
von ihnen schlafen. Ein
alter Kriegsmann schüt-
telt unsanft einen der
Pflichtvergessenen; einer
erwacht eben und öffnet
gähnend die Augen, er
steht, ohne noch zu begrei-
fen; andere aber erken-
nen das Wunder, das sich
vollzieht. Über dem ge-
schlossenen Steindeckel der
Gruft, an der man das
von der Obrigkeit ange-
legte Siegel unverletzt
sieht, schwebt der Heiland
empor, von einer Wolke ausgenommen und von Cherubimscharen begrüßt. Er
hebt das von dem dreiteiligen Lichtschein der Gottheit umstrahlte Antlitz zum
Himmel empor, in der Linken hält er die Siegesfahne, mit der Rechten segnet er
die durch das vollbrachte Leidenswerk erlöste Welt (Abb. 78).
Die Zeichnung, welche Dürer der Apokalypse als Titelbild hinzufügte, stellt
den Evangelisten Johannes dar, dem die Mutter Gottes als das mit der Sonne
bekleidete Weib der Offenbarung erscheint.
Es ist bemerkenswert, daß Dürer für den Druck des Textes zum Marten-
leben und zur Passion — es waren lateinische Verse, die der ihm befreundete
Benediktiner Chelidonius verfaßt hatte — die neu aufgekommenen Schriftzeichen
der Renaissance, die von den italienischen Druckern der alten römischen Schrift

Abb. 84. Madonna mit der angeschnittenen Birne
Ölgemälde von 1Sl2. In der Gemäldegalerie zu Wien
Aufnahme I. Löwy, Wien <Zu Seite 84)


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