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Das Friedrichbild in der Mitte des 19. Jahrhunderts:

Der Fall Menzel

1. Die Popularität Friedrichs des Großen

Wenige Personen der Weltgeschichte haben Phantasie und Vernunft von Zeitgenossen
und Nachwelt so intensiv beschäftigt wie Friedrich der Große. Den meisten galt er als
charismatische Lichtgestalt, als Retterfigur mit zuweilen christomorphen Zügen,1 als Ver-
körperung eines Zeitalters, das als Alternative zur beklagten eigenen politischen und gei-
stigen Depravation hochstilisiert wurde. Schon zu Lebzeiten war er ein Dorn im Fleisch
des alteuropäischen Herrschaftssystems, was in der späteren Rezeption übermäßig und
verfälschend hervorgehoben wurde. Zum einen wagte er es, in den Schlesischen Kriegen
die traditionelle, vor dem Regierungsantritt Josephs II. ganz im Status quo verharrende
mitteleuropäische Führungsmacht Osterreich zu brüskieren. Zum anderen setzte er sich
entschieden für eine Rationalisierung und Säkularisierung des Staates ein. Damit errang
er vor allem die Aufmerksamkeit der aufgeklärten europäischen Intelligenz, für die stell-
vertretend der spätere französische Revolutionär Mirabeau stehen mag, der dem Aufge-
klärten Absolutismus preußischer Prägung eine begeisterte Darstellung widmete.2
Gleichzeitig wurde Friedrich in ganz Europa zum bewunderten Volkshelden. Als etwa
Goethe während der italienischen Reise bei seinem Aufenthalt in Sizilien vom Ableben
des Königs erfuhr, wollte er keinem der Einheimischen davon berichten, aus Furcht, die
Atmosphäre unter den selbst am Rande des Kontinents zahlreichen Verehrern unnötig zu
trüben.3 Nach Friedrichs Tod wuchs sein Renommee weiter. Vergessen schienen die
Repressionen und die politische Stagnation seiner späten Jahre, übrig blieb häufig nur die
Erinnerung an die heroischen Taten des Siebenjährigen Krieges und an eine Liberalität,
die man in der Rückschau verklärte.4 Das Freiheitliche seiner Regierung wurde dabei vor
dem Hintergrund des politisch restriktiven Gottesgnadentums seiner Nachfolger Fried-
rich Wilhelm II. und III. aus den Schriften des aufgeklärten Absolutisten extrapoliert
und meist unkritisch auch auf seine Regierungspraxis übertragen. Das galt verständli-
cherweise insbesondere für die Progressiven, die sich im Dunstkreis der 48er Revolution
zu einer Art Meinungsführerschaft aufschwangen und im Anschluß an die Prinzipien des
18. Jahrhunderts eine Chance erblickten, den seither aufgebrochenen Gegensatz von
Staat und Gesellschaft zu versöhnen.5

Daß die Identifikationspotentiale durchaus breiter angelegt waren, verkompliziert die
klare politische Zuordnung der Rezeption. Schon den Zeitgenossen des mittleren 19.
Jahrhunderts fiel auf, daß die Person des großen Königs mit jeweils wechselnder Be-
rechtigung von den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen vereinnahmt werden
konnte.6 Wo nämlich die Liberalen an den vorgeblich konstitutionellen Friedrich erin-
nerten, konnten die Konservativen immerhin noch den Selbstregierer loben und ihn dem
 
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