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Theoretische Zusammenhänge, kunsthistorische
Kontexte und Einflußlinien: Die Geschichtsmalerei
im Rahmen eines erneuerten Kunstbegriffs

i. Zur Unterscheidung von Historien- und Geschichtsmalerei

Die Geschichtsmalerei steht seit langem im Ruf völliger Antiquiertheit, sie ist Inbegriff
dessen, wovon sich die reine Malerei der Avantgardebewegungen des 19. und auch noch
20. Jahrhunderts distanzierte; im populären Horizont wird mit ihr gewöhnlich der
Begriff des »Historienschinkens« assoziiert, ein Synonym für übermäßige Größe bei
gleichzeitig nichtssagender Leere. Das war nicht immer so, galt doch in dem spezifischen
historischen Zusammenhang des nachromantischen Deutschland die Geschichtsmalerei
selbst als eine avantgardistische Gattung.

Die Geschichtsmalerei als künstlerisches Konzept zu bestimmen, setzt zunächst einmal
voraus, daß man sie von ihrem bedeutendsten, häufig mit ihr vermischten Alternativ-
entwurf abgrenzt, der Historienmalerei.1 Letztere hatte sich traditionell vornehmlich
biblischen und antiken Stoffen zugewandt, Themen nämlich, die vor allem den Zweck
hatten, exemplum virtutis oder dessen Gegenteil zu sein, allemal aber der moralischen
Erbauung des Betrachters dienen wollten. Eine derartige Funktion erfüllte die Historien-
malerei gewöhnlich, indem sie ihre Werke in vielfältiger, vorzugsweise pyramidal
strukturierter Weise hierarchisierte und den Tugendhelden im Zentrum oder an der Spit-
ze einer solchen Komposition plazierte.2 Dort, wo Themen aus der nachantiken
Geschichte veranschaulicht wurden, kamen sie gewöhnlich in idealisiertem, das heißt an-
tikisierendem Gewand daher. In jedem Fall aber ging es bei den retrospektiven Visualisie-
rungen nicht um historisch präzise Rekonstruktionen, sondern um Aktualisierungen mit
zeitgenössischem Interessenhintergrund oder verallgemeinernde Erinnerungen, die nur
Vergangenheit, aber keine exakt situierbare Vergangenheit suggerierten. Im Mittelpunkt
standen bei diesem Typus geschichtlicher Darstellungen dementsprechend nicht einzelne
Ereignisse in ihrer Singularität, vielmehr wurde darauf hingewirkt, sie als Fallbeispiele
einer Totalität erscheinen zu lassen, gleichsam als Emanation eines feststehenden Prin-
zips, das eben seinen höchsten Ausdruck in der - biblischen wie heidnischen - Antike ge-
funden hatte.

Geschichtliche Ereignisse nicht mehr als Exempel einer übergeordneten Dauer, son-
dern als gewordene Ergebnisse einer zeitlichen Entwicklung zu betrachten, gilt als Er-
rungenschaft des späten 18. Jahrhunderts. Erst mit der Aufklärung entstand der moderne
Geschichtsbegriff, erst als Resultat einer tiefgreifenden Säkularisation verlor die historia
ihre Funktion, magistra vitae zu sein und gewann die Eigenschaft, Gegenwart als einmali-
gen, komplexen Endpunkt einer Vergangenheit und ebenso komplexen Quellpunkt einer
Zukunft zu fassen.3
 
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