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Einmaligen,.dem Personenhaften in dem Sinn, wie es
jeder eigentlidi mittelalterlichen Kirche eigen, nicht
nur einer Bischofskirche wie Straßburg — um Beispiele
aus dem Oberrheingebiet zu wählen —, sondern auch
den von den Städten und den älteren Mönchsorden er-
richteten Gotteshäusern: Freiburger Münster; Kolmar,
St. Martin; Schlettstadt, St. Georg; Rufach, St. Arbo-
gast; Weißenburg, St. Peter und Paul u. a. Denn in der
mittelalterlichen Auffassung dessen, was eine Kirche
ist, besitzt jede Form, jedes Bauglied ein ganz anderes
Schwergewicht. Der Bau, das Fiaus Gottes, das den in
der Hostie gegenwärtigen Leib Christi umsdiließt, ist
selbst eine Form und Gestalt des Gottesdienstes, wie
dieser unmittelbar auf ein Überirdisches bezogen. Wie
in der Messehandlung das Göttlidie vergegenwärtigt
und verwirklicht wird, so audi im Bau selbst. Jede ein-
zelne Form enthält in sich diesen sakralen Charakter,
jedes einzelne Glied hat sein Gewicht und seinen Sinn
durch diesen Zusammenhang, den es miterschafft und
zur Darstellung bringt. — Die großen Predigthäuser der
Bettelorden wcrden nicht mehr von diesem alles er-
greifenden Zusammenhang bestimmt. Der Raum trägt
in sich nicht mehr den Sakralgehalt der Bischofs- und
Pfarrkirdien, sondern dient einem rational festgelegten
Zweck66. Nur darum kann der Bau nun ohne alle Um-
stände, als ein großes Haus unter den übrigen Häu-
sern der Stadt, an die Ecke einer Straße, eines Platzes
oder an die Stadtmauer gerückt werden67, nur darum
kann man seine Ausführung städtischen Handwerkern
übertragen — etwas, das bei den Zisterziensern unmög-
lich wäre und ihre grundsätzlich verschiedene Auffas-
sung von Kirche noch einmal erhelle darum allein
kann auch der einmal gefundene Typus so gleichmäßig
wiederholt werden. — Innerhalb dieses Typus aber ist
nun die Einzelform in einer neuen Weise beliebig und
frei auswählbar, weil sie nicht mehr unmittelbar wie

in der Gotik etwas bedeutet. (Vgl. etwa die ganz un-
gewöhnlichen Sockelformen in der Schaffhausener 24
Franziskanerkirche oder in der Augustinerkirche in
Freiburg i. Ü.; oder das plötzliche Auftreten spitz-
bogiger Obergadenfenster statt der Okuli in Schlett-
stadt, während im übrigen der üblicheTypus mit hohen
Seitenschiffen völlig beibehalten ist.) Die Einzelform
erscheint fast unabhängig von dem Ganzen, das ja
nicht mehr von ihr getragen wird, nicht mehr ein
System ständig sich beziehender und ineinandergrei-
fender Einzelglieder darstellt, sondern gleichsam vor
den Einzelformen besteht als bestimmter Raumtypus
im Innern (in dem selbst die Stützenform: Achteck-
oder Rundpfeiler, in gewissem Sinne auswechselbar
erscheint), als feste Blockform im Äußeren, die sich aus
den Wandbegrenzungen des Innenraumes ergibt. Die-
sem eigentümlich lockeren Verhältnis zwischen Typus
und Einzelform entspringt die neue Art, die in dieser
Architektur, die ihrem Typus nach so einförmig er-
scheint, ein eigner, individueller Charakter des ein-
zelnen Baues gewonnen werden kann. Dies geschieht
nicht mehr wie in der Gotik in einer eignen Art der
Anlage oder des Aufbaues, sondern vielmehr unab-
hängig vom Konstruktiven, einem Aufbau ganz un-
verpflichtet: etwa in dem fein abgewogenen Verhält-
nis der Strebepfeiler zur Fensterhöhe am Außenbau
eines Chores, in der Herumführung eines Gesimses, in
der Anordnung der Entlüflungslöcher, in der Zeich-
nung eines Arkadenprofils oder in der größeren oder
geringeren Schlankheit eines Rundpfeilers. Die Mög-
lichkeit dieses freien Auswählens und Abwägens der
Formen und damit eine neue Art der künstlerischen
Individualität dcutet sich in den Bauten der zweiten
Hälffe des 13. Jahrhunderts erst gerade an; in den fol-
genden großen Bauten des 14. Jahrhunderts tritt sie
klar zutage.

IV. Die großen Bauten in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts

In der ersten Hälffe des 14. Jahrhunderts entstehen
eine Reihe bedeutender Bauten, die, obwohl auch sie
in dem bis 1300 entwickelten und ausgebreitetenTypus
begründet sind, eine ganz neue Freiheit und Selbstän-
digkeit zeigen. Deutlich tritt eine Scheidung in eine
hallenmäßige und eine basilikale Richtung hervor. Wir
beginnen mit der ersteren.

26 Das Langhaus der Freiburger Franziskaner-
kirche wurde im 1. Viertel des 14. Jahrhunderts er-
richtet1. Die Anlage der Basilika, die allen voraus-
gehenden Kirchen, audh Rufach, das entscheidende Ge-
präge gab, ist hier nicht mehr das Bestimmende. Das
Gemeindehaus ist ein mächtiger weiter Raum. In ihm
sind zwei Reihen von Bögen auf dünne, röhrenhafte,
hohe Rundpfeiler gestellt, die als lose Reihe in
weiten Abständen die Grenze zwischen Mittel- und
Seitenschiff bezeichnen. Über ihnen und zwischen ihnen
hindurch werden überall die das Innere fest und ein-

deutig abschließenden, rechtwinklig auf einandertreff en-
den Wände und Decken sichtbar. Die sdimalen Wand-
stücke, die im Hauptschiff zwischen Arkadenbögen
und Decke verbleiben, sind wegen ihrer geringen Höhe
nicht geeignet, das Mittelsdiiff als geschlossenen Raum
von den Seitenschiffen abzusetzen, zumal sie durdi
große Spitzbogenblenden — diese enthalten im unteren
Teil zwei kleine spitzbogige öffnungen, darüber die
Okuli als Obergadenbeleuchtung2 — um ihre konti-
nuierliche und raumabschließende Flächenwirkung ge-
bracht werden3.

Blickt man auf die vorausgehenden Bauten zurück
und hier speziell auf die Rufacher Franziskanerkirche, 22
die in Raumanlage und Obergadengliederung wohl
den unmittelbaren Ausgangspunkt für die Freiburger
Kirche des gleichen Ordens darstellt, so wird die große
Kühnheit und Radikalität des Freiburger Baues gegen-
über Rufach, das dagegen normal und gleichmütig

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