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Die Dominikanerinnenkirchen von Kolmar-Unterlinden und Basel-Klingental

Sehr überraschend ist das Auftreten eines sieben-
jochigen Chores mit ®/8-Schluß schon kurz nach der
Mitte des 13. Jahrhunderts in der Kolmarer Domi-
nikanerinnenkirche von Unterlinden1. Mit
dem Langhaus wurde 1252 begonnen; da es verhältnis-
mäßig kurz ist (vier Joche) und nur ein Seitenschiff
besaß, ist es wahrscheinlidh, daß es zur Zeit des Ab-
iasses, den Papst Alexander IV. 1258 für die Kirchen-
besucher erließ (Ingold Nr. 16), bereits vollendet war2.
Der Chor wurde 1269 durch Albertus Magnus ge-
weiht3.

Die altertümlichen Formen des Chores entsprechen
einer Entstehungszeit in den sechziger Jahren. Die Fen-

62 ster sind klein und zweiteilig mit dem einfachsten Maß-
werk von zwei Bogen, die einen Kreis tragen. Die
Strebepfeiler, ungestufte, schmale, viereckige Klötze,
haben nur am oberen Ende ein ganz umlaufendes Ge-
sims, über dem die Abdedkung — schräges Pultdach an
den Langseiten, kleine Giebel mit Kreuzblumen im
Chorhaupt — ansetzt. Da weder Wasserschläge, die in
ihrej Verteilung eine Beziehung zu den Fenstern her-
stellen könnten, noch ein verbindendes Gesims vorhan-
den sind, gehen Strebepfeiler und Fenster merkwürdig
unbezogen nebeneinander her. Zudem sind beide ganz
auffallend niedrig; oben bleibt bis zum Dachansatz ein
hohes Stück ungegliederter Mauer, so daß der feste und
selbständige Charakter der straffen Strebepfeilerklötz-
chen, die nur wie an den Chor herangeschoben erschei-
nen, noch besonders hervorgehoben wird. Nur in den
westlichen Jochen der Längsseiten wird durch die run-
den Entlüftungslöcher, die wie kräffige Punkte einzeln
in die Abschnitte zwischen den Strebepfeilern gesetzt
sind, eine Art Jocheinheit betont.

6] Die Gliederung des Inneren erscheint elastischer und
gespannter durch die engeFolge derschmalen Gewölbe-
joche, doch läßt schon die Anordnung der Fenster, die
klein und schmal in den Wandabschnitten sitzen, kei-
nen Zweifel an der frühen Entstehung. Das Gewölbe
mit einfach abgefasten Rippen wird in den Ostjochen
von blockartigen, glatten Pyramidenkonsolen, nach
Westen hin durch sehr lebendig gcstaltete Blattkon-
solen4 getragen. Nur im Chorhaupt steigen die Dienste
mit flachen Tellerbasen vom Boden auf. Der Chor-
schluß ist durch eine geringe Einziehung abgesetzt, der
erste Dienst auf beiden Seiten ruht auf einer halb acht-
eckigen Rücklage auf. Den Blattschlußsteinen, meist

mit offenem Ring in der Mitte, sind an den Westseiten
plastische Köpfe vorgesetzt (vgl. Freiburg i. Ü., Fran-
ziskanerkirche; Luzern, Franziskanerkirche u. a.). Das
Auftreten eines Chores von solch erstaunlicher Länge
ist um so merkwürdiger, als auch in der Unterlinden-
kirche die Nonnenempore vorhanden war5, die in allen
mittelalterlichen Frauenkirchen den Nonnen als Auf-
enthaltsort diente, da diese sowohl von den Laien im
Langhaus als von den Priestern im Chor getrennt sein
mußten. Besonders in Zisterzienserinnenkirchen hatte
dieser Nonnenchor im Westen des Langhauses eine
großartige Ausbildung erfahren, und die Nonnen-
kirchen der Bettelorden, auch Unterlinden, folgten die-
ser Anordnung. — Da nun in den Frauenkirchen nur
ein kleiner Priesterraum für die wenigen Mönche nötig
war, die den Gottesdienst bei den Nonnen versahen,
wurde der eigentliche Chor meist sehr kurz gebildet:
vgl. die Zisterzienserinnenkirchen von Frauenthal,
Gnadental, Heiligkreuztal, Himmelpforten, Nieder-
viehbach u. a.; in Marienstern (Kr. Kamenz) fehlt er
gänzlich. Auch die Kirdien der weiblichen Bettelorden,
die häufig dem einschiffigen Zisterzienserinnentypus
folgen, besitzen meist nur einen kurzen Chor: vgl. die
Clarissinnenkirche von Pfullingen um 1250; die Domi-
nikanerinnenkirche von Kirthberg bei Sulz (gegründet
1237), die Dominikanerinnenkirche von Stetten (zweite
Hälfte des 13. Jahrhunderts), und die des Steinen-
klosters zu Basel. Die Pforzheimer Dominikanerinnen-
kirche aus der zweiten Hälfte des iy. Jahrhunderts be-
saß überhaupt keinen Chor, nur eine Westempore; das.
gleiche findet sich bei österreichischen Nonnenkirdien:;
so sind die Dominikanerinnenkirche von Tulln
(1280—1290) und die Wiener Clarissinnenkirche (nach
1303-1349), beides dreischiffige Hallen, chorlos, fer-
ner die einschiffige Wiener Dominikanerinnenkirche
aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts.

Dieser üblichen Reduzierung des Chores tritt der
siebenjochige Chor von Unterlinden als etwas völlig
Neues gegenüber. Seine außerordentliche Länge kann
nicht nur auf die Größe und Bedeutung dieses Frauen-
klosters zurückgeführt werden, sondern muß in einem
Wandel des Zwecks und der Bedeutung des Chores be-
gründet sein. Scherlen berichtet, daß außer dem Hoch-
altar im Chor noch ein Jakobsaltar, ein Altar zu Ehren
der elftausend Jungfrauen und ein Margaretenaltar
bestanden. Es scheint, daß der Chor nicht mehr allein

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