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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 9.1932

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Nr. 2 (Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43625#0087
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DER KREIS

Zeitschrift für künstlerische Kultur
IX, Jahrgang

Februar 1932

Zweites Heft

Stadt und Landschaft^
Von Adolph Wittmaack

ielleicht kann man nicht das Verhältnis zwischen Stadt und


v Landschaft auf eine so einfache Formel bringen, wie sie schon
manchmal von Eindeutigkeits-Fanatikern erfunden worden ist,
die da behaupten: Alle Berliner kommen aus Breslau, alle Wiener
stammen aus Linz oder alle Hamburger sind in Vierlanden ge-
boren, Das geht zu weit. Aber wie alle Übertreibungen trägt auch
diese einen Kern der Wahrheit in sich, der darin besteht, daß in
der Tat die Stadt des unaufhörlichen Zustromes aus der Landschaft
bedarf, wenn sie nicht allmählich aussterben soll. Und zwar von
allen drei Gesichtspunkten aus gesehen: biologisch, wirtschaftlich
und geistig, Großstädte fressen Menschen, Nicht nur Berlin, Lon-
don und New York, sondern auch Hamburg, Chicago und Amster-
dam. Sie fressen Menschen aller Kategorien sozusagen: Preisboxer,
Generaldirektoren und Ausüber geistiger Berufe, Der weitaus
größere Prozentsatz der erfolgreichen Großstädter in der ganzen
Welt stammt in der letzten oder vorletzten Generation vom Lande,
Die Familien blühen auf, halten sich ein oder zwei Menschenleben
lang auf der Höhe und versinken wieder in der dritten oder vierten
Geschlechterfolge, Mit wenigen Ausnahmen, wie sie etwa die
Fugger oder die Rothschilds bilden, gibt es erfahrungsgemäß keine
Kontinuierlichkeit wirtschaftlicher Gipfelstellungen, Im Körper-
lichen ist es ähnlich. Die besten Turner, Leichtathleten und Sports-
leute stammen zwar in der Mehrzahl aus der Großstadt. Aber sie
haben sich fast alle noch nicht weit von dem Zeitpunkte entfernt,
an dem sie selbst oder ihre Vorfahren zugewandert sind. Es ist
als ob die Stadt die frischen Energien aus der Landschaft nähme,
sie durch eine Beimischung größerer Beweglichkeit und Formungs-
kraft zur höchsten Leistung führte und dann wieder allmählich in
der großen amorphen Masse untergehen lasse.
Was nun die Geistig-Schöpferischen anbetrifft, so kann man
ebensowenig von ihnen mit Bestimmtheit sagen, sie kämen aus der
*) Vortrag, gehalten auf dem Kongreß der deutschsprechenden P.E.N.-Clubs
im Haus der Presse, Berlin. Auszugsweise bereits in der Vossischen Zei-
tung erschienen.

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