DOI Heft:
Nr. 4 (April)
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.43625#0227
DER KREIS
Zeitschrift für künstlerische Kultur
IX. Jahrgang
Viertes Heft April 1932
Frühling?
Zu der Ausstellung der Hamburger Sezession*)
Von Ludwig Benninghoff
T n diesen Heften ist oft von der Sendung Hamburgs für die Kunst
-®- im weitesten Sinn gesprochen. Schließlich bangt man vor der
Gefahr einer Überbetonung. Nun kommt die Ausstellung der Ham-
burger Sezession, und mit einem Schlage überzeugt die Tat, die
Leistung jeden, der Augen hat, zu sehen.
Die Kritik haben inzwischen die Tageszeitungen besorgt, und dar-
über noch zu reden tut kaum not. Denn Bedeutung und Qualität des
Ganzen wird mit einer Einstimmigkeit hervorgehoben, die man sel-
ten findet.
Worin liegt diese Überzeugungskraft? Man sieht keine Sensa-
tionen, keine genialischen Geberden, keine neue ,,Richtung“, keine
Aktualität, keine Tendenz, keine Wirkung eines Bazillus, der, auf
dem Nährboden Kunst gezüchtet, als Ismus Kunsthysterie und Ober-
flächenbildung verseucht. Man sieht Bilder und Plastiken, die von
der Stille verantwortungsvoller Arbeit sprechen, Werke, die, anstatt
auszuladen, nach innen zurückhalten. Sie trumpfen nicht auf, sie
wollen Proben von den Stadien des Ringens um die Kunst sein, die
lang, endlos ist, gegen die ein einzelner, ein kurzes Leben in seiner
Ver gänglichkeit verschwindet. Vielleicht ist diese Bescheidenheit
der Ehrfurcht vor der Kunst das Erste, was so einnimmt und spür-
bar ist. Die Ehrfurcht gibt die Voraussetzung, auf welcher der
Mensch, dieses selbstische und eitle Geschöpf, dienender Künder
einer Lebenskraft sein darf. Diese Ehrfurcht aber schafft auch Un-
nachgiebigkeit im Eifer des Dienstes über die selbstische Wirkungs-
absicht hinaus. Hiervon mag es kommen, daß die Werke dieser
Ausstellung eine sonderliche Wirkung tun: Sie atmen. Hier ist ein
lebendiges Fluidum, das den meisten Ausstellungen fehlt. Es stehen
nicht mehr oder weniger erfreuliche Dinge da, ein jedes für sich,
oder alle geschmackvoll arrangiert, sondern sie wirken zusammen
in aller Stille lebendiger als die laute Straße. Sie haben in ihrer
Besonderheit als Kunst eine ähnliche Ausstrahlung, wie die Natur
*) Ausstellung der Hamburger Sezession im Kunstverein Hamburg, Raben-
straße.
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Zeitschrift für künstlerische Kultur
IX. Jahrgang
Viertes Heft April 1932
Frühling?
Zu der Ausstellung der Hamburger Sezession*)
Von Ludwig Benninghoff
T n diesen Heften ist oft von der Sendung Hamburgs für die Kunst
-®- im weitesten Sinn gesprochen. Schließlich bangt man vor der
Gefahr einer Überbetonung. Nun kommt die Ausstellung der Ham-
burger Sezession, und mit einem Schlage überzeugt die Tat, die
Leistung jeden, der Augen hat, zu sehen.
Die Kritik haben inzwischen die Tageszeitungen besorgt, und dar-
über noch zu reden tut kaum not. Denn Bedeutung und Qualität des
Ganzen wird mit einer Einstimmigkeit hervorgehoben, die man sel-
ten findet.
Worin liegt diese Überzeugungskraft? Man sieht keine Sensa-
tionen, keine genialischen Geberden, keine neue ,,Richtung“, keine
Aktualität, keine Tendenz, keine Wirkung eines Bazillus, der, auf
dem Nährboden Kunst gezüchtet, als Ismus Kunsthysterie und Ober-
flächenbildung verseucht. Man sieht Bilder und Plastiken, die von
der Stille verantwortungsvoller Arbeit sprechen, Werke, die, anstatt
auszuladen, nach innen zurückhalten. Sie trumpfen nicht auf, sie
wollen Proben von den Stadien des Ringens um die Kunst sein, die
lang, endlos ist, gegen die ein einzelner, ein kurzes Leben in seiner
Ver gänglichkeit verschwindet. Vielleicht ist diese Bescheidenheit
der Ehrfurcht vor der Kunst das Erste, was so einnimmt und spür-
bar ist. Die Ehrfurcht gibt die Voraussetzung, auf welcher der
Mensch, dieses selbstische und eitle Geschöpf, dienender Künder
einer Lebenskraft sein darf. Diese Ehrfurcht aber schafft auch Un-
nachgiebigkeit im Eifer des Dienstes über die selbstische Wirkungs-
absicht hinaus. Hiervon mag es kommen, daß die Werke dieser
Ausstellung eine sonderliche Wirkung tun: Sie atmen. Hier ist ein
lebendiges Fluidum, das den meisten Ausstellungen fehlt. Es stehen
nicht mehr oder weniger erfreuliche Dinge da, ein jedes für sich,
oder alle geschmackvoll arrangiert, sondern sie wirken zusammen
in aller Stille lebendiger als die laute Straße. Sie haben in ihrer
Besonderheit als Kunst eine ähnliche Ausstrahlung, wie die Natur
*) Ausstellung der Hamburger Sezession im Kunstverein Hamburg, Raben-
straße.
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