überhaupt eine deutsche Kunst wollen. Seine Welt wurde zur Zeit fruchtbar
für alle Kunstdisziplinen, auch für das Theater, Es kommt dabei nicht auf
einen neuen „Stil" an, sondern auf den Grund des Kunstwerks überhaupt. Der
Expressionismus wirkte auf die Bühne, indem er auf die Faktoren des Bühnen-
werks in einem tieferen Sinn aufmerksam machte, als sie bisher angesehen
wurden. Das Wort und die Bewegung erhielten eine andere Füllung, Schließ-
lich ging man auf die einzelnen Faktoren gesondert zurück: Suchte das Wort
für sich und die Bewegung für sich. Man zog aus dem Theater seine Elemente,
verband sie als Tanz und Wort auf eine neue Art mit einem neuen, aber zu-
gleich dem ältesten Erlebnis und suchte nun von hier aus eine Erneuerung auch
der Bühne, Die Namen Laban und Mary Wigman müssen hier genannt werden,
aber es ist nicht abzuleugnen, daß wir in einem allzuheftigen Optimismus zuviel
erwartet haben, ja, die bald grassierende „tänzerische Durchdringung" erwies
■sich, dem Alten aufgepfropft, als Fremdkörper, Wie dem auch sei, ohne den
Geist, der hinter der Mode des Expressionismus wirkte, wird es kein deutsches
Theater geben.
Ich greife nur diese Einzelheit aus Kobbes Arbeit auf, denn die Arbeit um-
faßt den ganzen Organismus und prüft die heutigen Versuche, dem lebenden
Wuchs nachzuhelfen. Hier spricht ein Mensch, den Kenntnis, Theaterbesessen-
heit, unantastbare Lauterkeit des Charakters, Fähigkeit der Intelligenz und der
Gestaltungskraft in einzigartiger Weise berufen machen, die Führung zu über-
nehmen, Hoffen wir, daß er Gehör findet und jener Zustand schwindet, von
dem Kobbe unübertrefflich sagt, daß „einer, der antwortet, ohne gefragt zu sein,
unübertrefflich sagt, daß „einer, der antwortet, ohne gefragt zu sein, auf Grund
seiner schlechten Manieren den kulturellen Führerschein erhält",
Bgff.
Es läßt sich nicht bestreiten, daß heute unser allgemeines kultu-
relles Leben nicht nur am Rande politisiert ist. Aber es ist ein
Irrtum, anzunehmen, daß der gegenwärtige deutsche Mensch, daß
die gegenwärtige deutsche Jugend nur politisch sei, daß sie bereit
sei, alle anderen Regungen, jeden sinnlichen und übersinnlichen Ge-
danken dem politischen zu opfern. Wer das glaubt, ist entweder ein
Fanatiker oder ein Narr, Auch der politischste Politiker kann es
nicht verhindern, gewissen menschlichen Gefühlen und manchmal
sogar gewissen geistigen Erwägungen zugänglich zu sein: das Indivi-
duum von heute wird auch im strengsten Kollektiv niemals nur-
politisch werden, wie es denn auch kein denkendes Indivi-
duum von heute gibt, das ganz unpolitisch, also auch ganz welt-
anschauungslos zu sein vermöchte — es müßte denn blind und taub-
stumm sein. Nicht politisch oder unpolitisch, sondern unpolitisch
und politisch ist der Mensch von jeher und auch heute — unpoli-
tisch und politisch ist auch seine Theaterkunst, Glauben Sie, daß
ein kommunistischer Tagesbefehl „Nur noch politisches Theater!' ,
daß eine Brachtsche Notverordnung „Nur noch unpolitisches Thea-
ter!" tatsächlich den Erfolg haben könnte, daß der Organismus des
Theaters tiefer als an seiner freilich sehr empfindlichen Oberfläche
verwundet würde?
Leuten, die des glauben, empfehle ich erstens, die Entwick-
lung des russischen Theaters seit der Revolution
704
für alle Kunstdisziplinen, auch für das Theater, Es kommt dabei nicht auf
einen neuen „Stil" an, sondern auf den Grund des Kunstwerks überhaupt. Der
Expressionismus wirkte auf die Bühne, indem er auf die Faktoren des Bühnen-
werks in einem tieferen Sinn aufmerksam machte, als sie bisher angesehen
wurden. Das Wort und die Bewegung erhielten eine andere Füllung, Schließ-
lich ging man auf die einzelnen Faktoren gesondert zurück: Suchte das Wort
für sich und die Bewegung für sich. Man zog aus dem Theater seine Elemente,
verband sie als Tanz und Wort auf eine neue Art mit einem neuen, aber zu-
gleich dem ältesten Erlebnis und suchte nun von hier aus eine Erneuerung auch
der Bühne, Die Namen Laban und Mary Wigman müssen hier genannt werden,
aber es ist nicht abzuleugnen, daß wir in einem allzuheftigen Optimismus zuviel
erwartet haben, ja, die bald grassierende „tänzerische Durchdringung" erwies
■sich, dem Alten aufgepfropft, als Fremdkörper, Wie dem auch sei, ohne den
Geist, der hinter der Mode des Expressionismus wirkte, wird es kein deutsches
Theater geben.
Ich greife nur diese Einzelheit aus Kobbes Arbeit auf, denn die Arbeit um-
faßt den ganzen Organismus und prüft die heutigen Versuche, dem lebenden
Wuchs nachzuhelfen. Hier spricht ein Mensch, den Kenntnis, Theaterbesessen-
heit, unantastbare Lauterkeit des Charakters, Fähigkeit der Intelligenz und der
Gestaltungskraft in einzigartiger Weise berufen machen, die Führung zu über-
nehmen, Hoffen wir, daß er Gehör findet und jener Zustand schwindet, von
dem Kobbe unübertrefflich sagt, daß „einer, der antwortet, ohne gefragt zu sein,
unübertrefflich sagt, daß „einer, der antwortet, ohne gefragt zu sein, auf Grund
seiner schlechten Manieren den kulturellen Führerschein erhält",
Bgff.
Es läßt sich nicht bestreiten, daß heute unser allgemeines kultu-
relles Leben nicht nur am Rande politisiert ist. Aber es ist ein
Irrtum, anzunehmen, daß der gegenwärtige deutsche Mensch, daß
die gegenwärtige deutsche Jugend nur politisch sei, daß sie bereit
sei, alle anderen Regungen, jeden sinnlichen und übersinnlichen Ge-
danken dem politischen zu opfern. Wer das glaubt, ist entweder ein
Fanatiker oder ein Narr, Auch der politischste Politiker kann es
nicht verhindern, gewissen menschlichen Gefühlen und manchmal
sogar gewissen geistigen Erwägungen zugänglich zu sein: das Indivi-
duum von heute wird auch im strengsten Kollektiv niemals nur-
politisch werden, wie es denn auch kein denkendes Indivi-
duum von heute gibt, das ganz unpolitisch, also auch ganz welt-
anschauungslos zu sein vermöchte — es müßte denn blind und taub-
stumm sein. Nicht politisch oder unpolitisch, sondern unpolitisch
und politisch ist der Mensch von jeher und auch heute — unpoli-
tisch und politisch ist auch seine Theaterkunst, Glauben Sie, daß
ein kommunistischer Tagesbefehl „Nur noch politisches Theater!' ,
daß eine Brachtsche Notverordnung „Nur noch unpolitisches Thea-
ter!" tatsächlich den Erfolg haben könnte, daß der Organismus des
Theaters tiefer als an seiner freilich sehr empfindlichen Oberfläche
verwundet würde?
Leuten, die des glauben, empfehle ich erstens, die Entwick-
lung des russischen Theaters seit der Revolution
704