DOI Heft:
No. I (Januar)
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.47238#0009
ÜBER KÜNSTLER UND KUNSTWERKE
VON
HERMAN GRIMM.
No. I. Januar. 1865.
Indem ich es unternehme eine Zeitschrift über bildende Kunst
zu begründen, gebe ich die Zwecke an welche ich im Auge habe.
Meine Absicht ist nicht, Einflufs ausiiben zu wollen auf die
Thätigkeit der heutigen Maler oder Bildhauer.
Sollte einmal der Name lebender Künstler genannt werdefl, so
kann es nur geschehen weil ihre Schöpfungen im Hinblick auf be-
reits historisch gewordene Richtungen der Kunstgeschichte wichtig
oder unumgänglich erscheinen, auch vielleicht weil sie zu dem Ge-
schmacke des Tages in Gegensatz stehen: Rathschläge jedoch zu
geben oder mit Lob und Tadel das zu nennen was die neueste Ar-
beit hervorbringt, soll grundsätzlich vermieden bleiben.
Dies nun nicht aus willkührlicher Selbstbeschränkung; etwa
um gegen die Erzeugnisse der neuesten Kunst stillschweigenden Wi-
derspruch zu erheben, sondern auf Grund von Erwägungen, deren
Richtigkeit einleuchten niufs.
Es ist unmöglich sich einem Kunstwerke in völliger Objektivität
gegenüberzustellen. Immer wird der eigne Charakter, meistens
sogar die Stimmung entschiedenen Einflufs äufsern: die Arbeit entwe-
der anziehen oder kalt lassen. Im erstem Falle möchte man dann, trotz
aller Einwürfe der prüfenden Vernunft, loben was zu loben ist; im
zweiten, bei aller Gerechtigkeit, lieber zuerst tadeln was am nächsten
dazu sich bietet. Beide Lagen des Geistes aber sind mit ruhig wis-
senschaftlicher Betrachtung der Dinge unvereinbar.
Partei wird man immer ergreifen freilich. Die zurückliegend-
sten Thaten längst verstorbener Generationen können nicht erzählt
werden ohne dafs die Leidenschaft des Tages eine wenn auch noch
so leise Färbung darübergösse; jedoch bei Betrachtung der vergan-
genen Dinge ist es erlaubt, im voraus zu bekennen auf welcher
Ueber Künstler und Kunstwerke. 1
VON
HERMAN GRIMM.
No. I. Januar. 1865.
Indem ich es unternehme eine Zeitschrift über bildende Kunst
zu begründen, gebe ich die Zwecke an welche ich im Auge habe.
Meine Absicht ist nicht, Einflufs ausiiben zu wollen auf die
Thätigkeit der heutigen Maler oder Bildhauer.
Sollte einmal der Name lebender Künstler genannt werdefl, so
kann es nur geschehen weil ihre Schöpfungen im Hinblick auf be-
reits historisch gewordene Richtungen der Kunstgeschichte wichtig
oder unumgänglich erscheinen, auch vielleicht weil sie zu dem Ge-
schmacke des Tages in Gegensatz stehen: Rathschläge jedoch zu
geben oder mit Lob und Tadel das zu nennen was die neueste Ar-
beit hervorbringt, soll grundsätzlich vermieden bleiben.
Dies nun nicht aus willkührlicher Selbstbeschränkung; etwa
um gegen die Erzeugnisse der neuesten Kunst stillschweigenden Wi-
derspruch zu erheben, sondern auf Grund von Erwägungen, deren
Richtigkeit einleuchten niufs.
Es ist unmöglich sich einem Kunstwerke in völliger Objektivität
gegenüberzustellen. Immer wird der eigne Charakter, meistens
sogar die Stimmung entschiedenen Einflufs äufsern: die Arbeit entwe-
der anziehen oder kalt lassen. Im erstem Falle möchte man dann, trotz
aller Einwürfe der prüfenden Vernunft, loben was zu loben ist; im
zweiten, bei aller Gerechtigkeit, lieber zuerst tadeln was am nächsten
dazu sich bietet. Beide Lagen des Geistes aber sind mit ruhig wis-
senschaftlicher Betrachtung der Dinge unvereinbar.
Partei wird man immer ergreifen freilich. Die zurückliegend-
sten Thaten längst verstorbener Generationen können nicht erzählt
werden ohne dafs die Leidenschaft des Tages eine wenn auch noch
so leise Färbung darübergösse; jedoch bei Betrachtung der vergan-
genen Dinge ist es erlaubt, im voraus zu bekennen auf welcher
Ueber Künstler und Kunstwerke. 1