ÜBER KÜNSTLER UND KUNSTWERKE
VON
HERMAN GRIMM.
No. III. März. 1865.
Vasari ist unzuverlässig und man beseitigt seine Angaben so-
bald sie mit Dokumenten, ja wenn sie nur mit dem Augenschein
in Widerspruch stehn. Crowe und Cavalcaselle (ich nenne der Kürze
wegen in der Folge immer nur den ersteren) geben in ihrer History of
painting davon aus, dal's es heute sogar nicht mehr genügen könne,
Vasari’s Erzählungen mit corrigirenden Anmerkungen herauszugeben:
die Geschichte der florentinischen Kunst müsse ganz von frischem
aufgebaut werden.
Mir scheint dies der richtige Standpunkt. Allein die Unbarm-
herzigkeit, mit der hier zu Werke gegangen werden muf's, wird
Eins dennoch nie ganz ertödten können: ein menschliches Ge-
fühl, das zuweilen Sympathien in uns aufrecht hält, die, persönlich
gleichsam, ganz anderrn Grund und Boden entspriefsen als dem den
die Wissenschaft zugerichtet bat. Vasari nennt in seiner Lebensge-
schichte des Niccolo Pisano einen Bildhauer Namens Fuccio. Dieser
soll nun niemals existirt haben. Crowe spricht das ohne weiteres
aus, und Schnaase in seinem letzten Bande giebt dieselbe Mei-
nung. In der That, der Mann ist nirgends nachzuweisen als in
einer florentiner Inschrift, die offenbar nichts mit ihm zu tliun
hat. Denn es scheint fest zu stehn dafs der in ihr genannte Fuccio
nicht der technische Erbauer sondern der Gründer des Gebäudes war
auf dem er zu lesen steht, und ferner, es erscheint nicht minder
annehmbar, Vasari sei eben durch diese milsverstandene Inschrift zur
Erschaffung des Meisters verleitet worden. Damit fiele der Lebens-
lauf, den er ihm andichtet, in Nichts zusammen.
Allein es hat etwas der menschlichen Natur widerstrebendes,
einen Mann, der dennoch vielleicht gelebt haben könnte und dem
sogar das Lob ertheilt wird einer der ersten Künstler seiner Zeit
Ueber Künstler u. Kunstwerke. 5
VON
HERMAN GRIMM.
No. III. März. 1865.
Vasari ist unzuverlässig und man beseitigt seine Angaben so-
bald sie mit Dokumenten, ja wenn sie nur mit dem Augenschein
in Widerspruch stehn. Crowe und Cavalcaselle (ich nenne der Kürze
wegen in der Folge immer nur den ersteren) geben in ihrer History of
painting davon aus, dal's es heute sogar nicht mehr genügen könne,
Vasari’s Erzählungen mit corrigirenden Anmerkungen herauszugeben:
die Geschichte der florentinischen Kunst müsse ganz von frischem
aufgebaut werden.
Mir scheint dies der richtige Standpunkt. Allein die Unbarm-
herzigkeit, mit der hier zu Werke gegangen werden muf's, wird
Eins dennoch nie ganz ertödten können: ein menschliches Ge-
fühl, das zuweilen Sympathien in uns aufrecht hält, die, persönlich
gleichsam, ganz anderrn Grund und Boden entspriefsen als dem den
die Wissenschaft zugerichtet bat. Vasari nennt in seiner Lebensge-
schichte des Niccolo Pisano einen Bildhauer Namens Fuccio. Dieser
soll nun niemals existirt haben. Crowe spricht das ohne weiteres
aus, und Schnaase in seinem letzten Bande giebt dieselbe Mei-
nung. In der That, der Mann ist nirgends nachzuweisen als in
einer florentiner Inschrift, die offenbar nichts mit ihm zu tliun
hat. Denn es scheint fest zu stehn dafs der in ihr genannte Fuccio
nicht der technische Erbauer sondern der Gründer des Gebäudes war
auf dem er zu lesen steht, und ferner, es erscheint nicht minder
annehmbar, Vasari sei eben durch diese milsverstandene Inschrift zur
Erschaffung des Meisters verleitet worden. Damit fiele der Lebens-
lauf, den er ihm andichtet, in Nichts zusammen.
Allein es hat etwas der menschlichen Natur widerstrebendes,
einen Mann, der dennoch vielleicht gelebt haben könnte und dem
sogar das Lob ertheilt wird einer der ersten Künstler seiner Zeit
Ueber Künstler u. Kunstwerke. 5