Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 64.1913-1914

DOI Artikel:
Naumann, Friedrich: Werkbund und Handel, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8767#0168

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Verkäufer und Verkäuferinnen sind kaufmännisch
gebildet (sollen es wenigstens sein), sind aber in
vielen Fällen ohne alle Vertrautheit mit den Stoffen
und Möglichkeiten ihres besonderen Gebietes. Das
bessert sich bei denen, die in verschiedenen Geschäften
derselben Branche tätig sind, von selber; und ihre
Augen und Finger gewöhnen sich an die Prüfung
der Gegenstände. Aber wie viele Verkäufer gehen
wie Zugvögel von einer Warenart zur andern
und sind nirgends heimisch! Noch mehr fast gilt
das vor: vielen Verkäuferinnen, die den Beruf nur
als zeitweiligen Verdienst ansehen und auf ihre
eigne Warenkunde kein Gewicht legen. Sie alle
empfehlen die Ware! was kommt da manchmal
für ein Geschwätz zustande! Auch in kunstgewerb-
lichen Geschäften kann man wunderliches erleben.
Schon in einem der früheren Jahre hat der Werk-
bund Anregung gegeben, Lehrkurse für Verkaufs-
personal einzurichten, damit nicht Unkenntnis der
Verkäufer und Käufer sich gegenseitig hin und her
schieben. Ls versteht sich von selbst, daß ein besser
gelernter Verkäufer höhere Ansprüche machen wird
als ein völlig ungelernter, aber er wird auch einen
ganz anderen Magnetismus auf die Kundschaft aus-
üben.

Der Verkäufer ist dem Publikum gegenüber der
Vertreter der Perstellung. Die Käufer wissen nur
in den seltensten Fällen, woher die Ware stammt;
oft wird es ihnen absichtlich nicht gesagt, auch wenn
sie fragen. Die Käufer haben nie gesehen, wie jetzt
gewebt oder gefärbt wird oder gepreßt oder ge-
glättet. woher sollen sie ein Urteil haben, ob es
richtig gemacht ist? Sie verlassen sich auf den Ein-
käufer des Geschäftes. Aber auch diesen bekommen
sie nicht zu sehen oder wissen wenigstens nicht,
ob er es ist. Sie verkehren nur mit dem jungen
Mann oder dem Fräulein hinter dem Ladentisch.
Alles, was sie überhaupt fragen möchten, richtet
sich an diese Adresse und wird beantwortet. Nur —
w i e es beantwortet wird?

Beim alten Bestellen einer Sache in der hand-
werklichen Werkstatt lernten beide Teile von-
einander. Das ist für die meisten Sachen jetzt vor-
bei, und die so entstandene Lücke ist noch nicht wieder
ausgefüllt. Darunter leiden die voneinander ge-
trennten Parteien, und der Mittelsmann zwischen
beiden, der Kaufmann, tut so, als wäre alle Ware
gut und jeder Käufer sachverständig! )st es zuviel
gesagt, wenn wir behaupten, daß aus diesen Voraus-
setzungen keine wirklich gute Bedarfsdeckung heraus-
kommen kann?

Der moderne Pandel hat in der Vermehrung der
verkäuflichen und verkauften waren wunderbares

geleistet. Er hat Umsätze geschaffen, die für ver-
gangene Geschlechter traumhaft sind. Aber die
gewaltige ÜZuantitätsvermehrung wurde zur «puali-
tätsunsicherheit. Und wenn nun der Werkbund in
dieser neuen Pandelswelt den (lZualitätsgedanken
vertreten will, muß er mit denen reden, die die
Mengen vermitteln, und ihnen sagen: steigert die
(Jualitätskunde bei euch und euren Verkäufern!
Es handelt sich aber nicht nur um «pualitätsver-
ständnis, sondern noch um etwas mehr. Der deutsche
Werkbund will der Anreger und Förderer einer
deutschen Kunst sein. Er selbst kann keine
Kunst schaffen, denn Kunst wird immer nur von
einzelnen Menschen gemacht, die etwas Richtiges
können, und der Werkbund ist kein Einzelmensch,
sondern ein Gesinnungs- und )nteressenverband.
was er als solcher sich zur Aufgabe stellt, ist die
«Öffnung der Augen für die neueren Formen,
Farben, Muster, Gestalten. Er will eine geschmack-
bildende Körperschaft sein.

Selbstverständlich ist und bleibt der Geschmack
immer eine Lmpfindungs- oder Gefühlssache, und
nie kann man einen Gerichtshof einsetzen, der
darüber aburteilt, was wahrhaft edel geformt ist
und was nicht. Auch der Werkbund denkt nicht
daran, sich als solchen Gerichtshof aufzutun und
im einzelnen Falle Partei zu ergreifen. Er be-
kämpft, was offenbar schlecht ist, vermindert es aber
absichtlich, einen eigenen Stil zu vertreten. Das
würde ihn selber zerreißen, sobald er es beginnen
wollte, denn die zu ihm gehörigen Künstler haben
unter sich, wie es nicht anders sein kann, sehr ver-
schiedene Köpfe. Immerhin aber lassen sich einige
Grundsätze formulieren:

Der Werkbund verlangt außer technischer Güte der
Arbeit ein Gestaltungsvermögen, das nicht alte
Stilformen einfach nachahmt.

Der Werkbund wünscht Freiheit vom vorbilde der
französischen klassischen Kunst und Mode, nicht weil
er diese geringschätzt, sondern weil er den Sieg
des deutschen Gewerbes nur in Perausarbeitung
unserer geistigen Eigenart begründet sieht.

Der Werkbund verwirft das gedankenlose Zusam-
menfügen von Bestandteilen, die unter sich fremd
sind, und wünscht Linheitskunst in Pausausstattung,
Architektur, Mode.

wer sich ein Bild davon machen will, was das in
der Praxis bedeutet, den verweisen wir auf die
Ausstellungen, an denen der Werkbund be-
teiligt war. Die in diesem Jahre stattfindende
Ausstellung in Köln wird, wie wir hoffen, das voll-
kommenste Anschauungsmaterial für diese Be-
strebungen bilden. Diese Ausstellung wendet sich

\52
 
Annotationen