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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 64.1913-1914

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Klein, Tim: Vom Kunstgeschmack und seiner Förderung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8767#0238

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eine Gänseleberpastete), sondern daß sie „Freude"
macht. Der edlere Geschmack empfindet Freude
an der Form. Dieser Grund der Lust ist nicht
bloß im Inhalte der sinnlichen Empfindung ge-
legen, er schafft auch keinen Begriff vom Gegen-
stand. Sondern gleicherweise scheint der Phantasie
wie dem verstand in der Form ein Genüge ge-
tan, — die Freude an ihrem richtigen Verhältnis,
an einem sichtbar oder hörbar werdenden Gesetze,
an einer inneren Zweckmäßigkeit ohne Zweck macht
den höheren ästhetischen Genuß (Freude) aus. Die
Einheit des Mannigfaltigen, die Harmonie
der Teile untereinander und zum Ganzen wird
im ästhetischen Genuß vorgestellt. Lin^guter
Geschmack ist überall da, wo sich ein solches Ge-
fühl für die Form ausgebildet hat und nun als
ein wertendes Prinzip, eine auswählende Methode
gehandhabt wird. Das elementare Stoffliche, das
Material, ist in die Rolle des Trägers der Form
herabgedrückt. Und überall, wo der Stoff sich vor-
drängt, wo der Kultus des Materials aufkommt,
ist der gute Geschmack in Gefahr, wieder zu ent-
arten, d. h. zu veräußerlichen. Gb Gold oder
Kupfer — ob Marmor oder Backstein — ob Maha-
goni oder Fichtenholz — das Material soll für
das ästhetische Urteil nur soviel entscheiden, als
die gewollte Form sich diesem oder jenem Material
zu einer reineren und ehrlicheren ästhetischen Wir-
kung verbindet. Geschmackvoller Luxus ist haupt-
sächlich deshalb so schwer und so selten, weil die
Kostbarkeit des Stoffes als ein Interesse am Be-
sitz des Gegenstandes, der Schönheit der Form
den Rang streitig macht.

In der Geschichte der Kunst wechseln die Zeiten,
die nach Vermehrung des Mannigfaltigen, nach
Steigerung der Kontraste, nach Häufung der ein-

amo

E. 3. Schmid

zelnen Mittel auf Kosten der Einheit streben, mit
andern ab, in denen sorgsam ansgewählte Mittel,
wesenhafte Kontraste zu einer zwingenden Einheit
der Form Zusammengehen. Diese Zeiten sind die
klassischen der Kunst. Aber nicht dem isolierten
Privatgeschmack, sondern dem Gesamtcharakter einer
Rasse, einer Kultur ist die Kunst anvertraut. Und
hier findet sich ein zweiter objektiver Haltpunkt,
wo überall eine geschlossene Kultur herrschte, da
prägte sich ein bestimmter, weithin verbreiteter
Charakter aus, der nach Rasse, Klima, Geschichte,
Weltanschauung bestimmt war. Die Vereinzelung
der „Eigenen" — der Kultus des „Ästhetischen"
erzeugt keinen Stil.

Hier ist der Grt, einer Mißgestalt zu gedenken,
welche sachlichen Bestrebungen, die auf Förderung
der Kunst und des Geschmacks zielen, wie eine
fratzenhafte Karrikatur zur Seite läuft: des Ästhe-
ten. Der Ästhet lebt von der Lüge, als ob ein
bloß ästhetisches Dasein die Blüte der Kultur
wäre. Sieht man genauer zu, dann enthüllt sich
ein öder kleinlicher Lustbetrieb mit all seiner
Hungerleiderei nach Reizen: eine kümmerliche
Natur, oder vielmehr gar keine Natur mehr, son-
dern eine „Kunstfigur". Die Kunst des Ästheten
hat jeden Zusammenhang mit der Wirklichkeit ver-
loren. Zum Glück ist ein solches Dasein unfrucht-
bar. Dies ist die herrliche Rache der Natur der
Dinge. Nur da wird eine Geschmackskultur dauernd
fortzeugen, wo sie emporreift aus einem be-
wegten, warmblütigen, taten- und schaffens-
frohen Dasein, aus dem goldenen Überfluß der
Welt.

Dies fühlt auch ein großer Teil des Volkes und
erwartet vom Künstler eine solche Wiedergeburt
der Kunst, was aber einem selbständigen Mit-
leben mit der Kunst mächtig entgegenwirkt, das
ist die Uberfütterung des Publikums mit Kunst-
geschichte. Sein Kunstempfinden ist deshalb so

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