Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 64.1913-1914

DOI Artikel:
Klein, Tim: Vom Kunstgeschmack und seiner Förderung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8767#0242

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nur ist die suggestive Kraft der fabrikmäßigen
Massenprodukte, der Zwang, den das Schlechte
übt, gar nicht hoch genug anzuschlagen. Uber
das Publikum zu schelten, hat keinen Sinn. Nicht
das Volk, sondern die Künstler bringen den Geschmack
herunter, wo er herunterkommt. Schiller, derselbe
Mann, der Genien gegen die schlechten Skribenten
geschrieben hat, sagt: „Es ist nicht wahr, was man
gewöhnlich behaupten hört, daß das Publikum die
Kunst herabzieht; der Künstler zieht das Publikum
herab, und zu allen Zeiten, wo die Kunst verfiel,
ist sie durch die Künstler gefallen. Das Publikum
braucht nichts als Empfänglichkeit, und diese besitzt
es . . . Zum Höchsten bringt es eine Fähigkeit
init; es erfreut sich an dem verständigen und
Rechten, und wenn es damit angefangen hat, sich
mit dem Schlechten zu begnügen, so wird es zu-
verlässig damit aufhören, das vortreffliche zu for-
dern, wenn man es ihm erst gegeben hat."

Ls ist also Pflicht aller derer, die dem Publikum
etwas geben, daß dies vortrefflich sei. Mehr be-
darf es nicht. Ls erscheint geradezu als ein Wun-
der, daß die Flut von Schund in Kunst und Kunst-
gewerbe die naive Empfänglichkeit des Volkes nicht
hoffnungslos zerstört hat, so daß die neuen vor-
trefflichen Bestrebungen leicht Eingang finden, wo
nicht ein Gegeninteresse im Spiel ist. Den Philister
freilich wird keine Mühe ausrotten. Der Barbar
ist bildsam, — der eingedünkelte Kulturprotz ist
als hoffnungslos aufzugeben.

Die Ursprünglichkeit eines lebhaften ästhetischen
Aufnahmevermögens ist da, — man lasse nur erst
eine Tradition ihre langsam bildende Macht wieder
offenbaren. Dazu ist vor allem nötig, daß man
den künstlerischen Dingen den Platz einräumt, der
ihnen gebührt, aber nicht alle Plätze. Man muß
von ihnen nicht alles fordern oder erwarten. Die
Kunst ist ein Kind der Freiheit und des Wohlstandes.
Solange breite Massen des deutschen Volkes noch
im Kampfe um die Notdurft und um die „ge-
meine Freiheit" liegen, so lange mögen sie lieber
noch von wunderlich geschmacklosem Tand und
Kram umgeben sein, ehe daß sie die politische
Spannkraft verlieren. Es ist besser so, als wenn
das Volk um das Linsengericht einer feinen ästhe-
tischen Kultur mit ihrer Sattheit — das Lrst-
geburtsrecht der bürgerlichen Freiheit und der
wirtschaftlichen Tüchtigkeit verkaufte. Die Sehn-
sucht nach Schönheit, nach Harmonie brennt in
seiner Seele. Sie ist die Verheißung der Zukunft.
Aber die Tradition geht von oben nach unten.
Pier liegt eine Aufgabe der „Gebildeten", der
wirtschaftlich Unabhängigen, der Reichen.

Unter allen Teufeln ist Mammon der geschmack-
loseste. Er sieht auf den Preis und nicht auf den
wert.

Zwar: es gab andere Zeiten. Zn Brügge ließ sich
ein Tuchmacher von Michelangelo eine Madonna
meißeln und widmete sie der Kirche Notre Dame.
Der Auftragnehmer von Päpsten und Königen war
schwer zu bekommen. Die Madonna steht in der
alten Kirche wie ein Genius aus einer anderen
Welt der Formen. Generationen haben sie geliebt
und vor ihr gebetet. Der reiche Fabrikant hatte
etwas Großes getan — vielleicht dachte er nur:
ich tu's für meine Seele. Kanzeln und Emporen,
gemalte Fenster, geschnitzte und gernalte Altäre,
Ehorstühle und Gitter, Sakramentshäuschen und
Heiligenschreine, Gärten und öffentliche Bauten —
Reliefs über den Türportalen, gemalte Fassaden,
Statuen an den Häuserecken und in den Nischen —
die ganze Herrlichkeit reiner und angewandter
Kunst war nach außen, dem Volke zugewendet.
Nicht aus Liebe zum Volke. Aber weil ein öffent-
licher Geist bestand und nicht bloß eine öffent-
liche Meinung, auf die wir so unmäßig stolz sind.
Der moderne Privatreichtum hat sich auf die Mög-
lichkeit einer solchen öffentlichen Wirksamkeit nur
spärlich besonnen. Er erscheint vielfach provokant,
ohne wahren Stolz, ohne höheren Ehrgeiz in
Kulturfragen. Nur in Pandel und Industrie hat
er einstweilen den Zug ins Große. Die Aufgaben
einer schönen Kultur, die sonst den hinreißenden,
wahrhaft königlichen Trieb wohltätiger Verschwen-
dung reizen, sind für ihn nur in Ausnahmen da.
Imponieren — das ist noch vielfach die Losung.
Die Folgen liegen auf der pand.
wenn sich daher der Geschmack im Kunftgewerbe
gehoben hat und ein schöner Aufschwung fest-
zustellen ist, dann ist er nicht geschaffen durch
den wachsenden Reichtum, denn als wir ärmer
waren, hatten wir mehr Geschmack, sondern eine
wunderbare Kraft der Verjüngung war in der
sozialen Idee wirksam, daß das Schöne nicht ein
Reservatrecht des Reichtums ist, sondern daß es,
wie die Natur es überall ausstreut, so auch dem
ganzen Volke zugehört. Der Alltag, der alltäg-
liche Raum sollte durch schöne Formen geadelt
werden. Diese letzte umwälzende Triebkraft ist
demokratischen Ursprungs. Für die neue Auf-
fassung ist es auch bezeichnend, daß sich kunst-
gewerbliche Ausstellungen und Werkstätten so-
fort daran machten, höchst einfache, doch ge-
schmackvolle päuser und Geräte für die ärmeren
Schichten darzubieten, wenn ein Strahl von
Schönheit auch dem einfachen Manne, der durch

22\
 
Annotationen