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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 64.1913-1914

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Brenneis, J.: Rechtsfragen in der Praxis der Kunst und des Handwerks, [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8767#0295

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deshalb unter Wahrung des berechtigten Interesses des Ab-
gebildeten durch eine entsprechende Ausnahmebestimmung
vorgeschrieben, daß es der Linwilligung des Abgebildeten
oder seiner Angehörigen nicht bedarf, wenn es sich um
die Verbreitung oder Schaustellung von Bildnissen handelt,
die dem Bereiche der Zeitgeschichte ange-
hören.

Hierbei ist der letztere Ausdruck im w e i t e st e n Sinne zu
verstehen; er umfaßt nicht nur das eigentliche politische,
sondern auch das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben
des Volkes. Die Veröffentlichung der Bildnisse von Per-
sonen, die im öffentlichen Leben oder in Kunst und Wissen-
schaft ein allgemeineres Interesse wachrufen, wird daher
auch künftig nicht verwehrt sein."

Damit ist also ausgesprochen, daß derjenige, der im öffent-
lichen Leben steht, öffentlich mit seiner Person hervortritt
und sich öffentlich betätigt, dessen Person und Handeln also
öffentlich bekannt sind und besprochen werden, auch die
Konsequenzen seines Verhaltens zu ziehen hat und sich dem-
gemäß dem nicht entziehen kann, daß die Öffentlichkeit
mit seinem Bildnis bekannt gemacht wird. Dian wird daher
die Bestimmung des § 23 Ziffer \ auf die gesetzliche Ver-
mutung gründen können, daß eine im öffentlichen Leben
stehende Person ihre Einwilligung zur Verbreitung und
Schaustellung ihres Bildnisses nicht versagen kann.

Der Begriff „Zeitgeschichte" ist nicht als Ausschnitt
aus der allgemeinen Weltgeschichte aufzufassen, so daß nur
das der Zeitgeschichte angehörte, was ein dauerndes ge-
schichtliches Interesse hat. Denn zu dem Urteil, das das
Gericht der Geschichte fällt, ist die Gegenwart
weder befugt noch befähigt. Vielmehr fallen unter die Zeit-
geschichte alle Erscheinungen der Gegenwart, die von der
öffentlichen Meinung als bedeutsam und der Beach-
tung wert empfunden werden, Hierher gehört also immer
eine Schätzung auf Grund tatsächlicher Unterlagen. In
vielen Fällen genügt schon ohne weiteres die einfache Tat-
sache, um einer Person eine Stellung in der Zeitgeschichte
zu geben: eine hervorragende soziale Stel-
lung, so bei regierenden Fürsten, Angehörigen regierender
Häuser, leitenden Staatsmännern oder Diplomaten, den
Leitern höchster Behörden oder wissenschaftlicher, künst-
lerischer und sozialer Anstalten und Korporationen.

Line weitere Gruppe von Personen der Zeitgeschichte umfaßt
Personen, deren Wirken sie in eine weiteHffent-
lichkeit stellt, wie Politiker, Universitätsprofessoren,
Akademiker, Schriftsteller, Künstler, Virtuosen, Schauspieler,
hohe Beamte, hohe Offiziere. Diese Gruppe geht in eine
dritte Gruppe über, nämlich die solcher Personen, die durch
ihre Lei st ungen und Verdien st e Gegenstand des
öffentlichen Interesses geworden sind, wie Gelehrte, Er-
finder, Forscher, Lntdeckungsreiseude, Industrielle, Kausleute,
Arzte, Anwälte, Ingenieure usw.

Die Personen der ersten Gruppe gehören der Zeit-
geschichte ohne weiteres an.

Bei den letzteren beiden Gruppen wird aber immer festzu-
stellen sein, daß sie eine tatsächliche Notorietät genießen, und
zwar muß diese bestehen unabhängig von der Veröffent-
lichung des Bildnisses. Wer derGffentlichkeit nur
durch das Bildnis bekannt wird, gehört der
Zeitgeschichte nicht an.

Wenn auch die Zugehörigkeit zur Zeitgeschichte nicht durch
ein dauerndes, weltgeschichtliches Interesse bedingt ist, muß
doch die Notorietät der Person durch ein bedeutsames

Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt sein.
Rein persönliche Erlebnisse geben einer Person noch kein
zeitgeschichtliches Interesse, auch wenn sie durch die Presse
vorübergehend an die Öffentlichkeit gebracht werden. Dies
gilt von Personen, die Opfer von Unglückssällen, Familien-
skandalen, verbrechen usw. sind, namentlich aber auch von
Personen, die wegen einer Straftat verurteilt
worden sind. Unabhängig hiervon ist die Ausnahme der
Bildnisse von Verbrechern in das Verbrecheralbum und ihre
Veröffentlichung in Steckbriefen. Diese Fälle sind in § 24
K.G. vorgesehen. Aber über die Bedürfnisse der Rechts-
pflege und der öffentlichen Sicherheit hinaus dürfen Bild-
nisse verurteilter Personen nicht ohne ihre Lin-
willigung veröffentlicht werden.

Sensationslust und Neugierde sind nie-
mals hinreichende Gründe, um das Bildnis
einer Person ohne ihre Linwilligung zu
veröffentlichen.

Für die Frage, ob eine Person der Zeitgeschichte angehört,
ist immer der Zeitpunkt der Veröffentlichung
des Porträts maßgebend. Wer in jungen Jahren vorüber-
gehend ein zeitgeschichtliches Interesse erregte, braucht als
hochbetagter Greis nicht mehr der Zeitgeschichte anzuge-
hören. Ist die Erinnerung an das einstige zeitgeschichtliche
Interesse in der Öffentlichkeit erloschen, können sich die
Angehörigen z. B. nach dem Tode der Veröffentlichung des
Porträts widersetzen.

Bilder, auf denen die Personen nur als
Beiwerk neben einer Landschaft oder s 0 n -
stigen Örtlichkeit erscheinen, sind keine Bild-
nisse.

Bildnisse von Versammlungen, Aufzügen
und ähnlichen Vorgängen, an denen die
darge st eilten Personen teilgenommen ha-
ben, sind keine Bildnisse.

Zu bemerken ist noch, daß die Anwendung dieser Be-
stimmung imnrer die physische Anwesenheit der dargestellten
Person an dem betreffenden Vorgang voraussetzt.
Bildnisse, die nicht auf Bestellungange-
sertigt sind, sofern die Verbreitung oder
Schau st ellung einem höheren Interesse
derKunst dient (Ziffer 4).

Hierzu bemerken die lllotive: „Schließlich soll das Ein-
spruchsrecht wegsallen bei Bildnissen, derer: Verbreitung oder
Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst
dient. Durch diese Vorschrift soll namentlich die Veröffent-
lichung künstlerischer Bildnisstudien ermöglicht werden, bei
welchen eine Verhandlung wegen Erteilung der Einwilli-
gung des Abgebildeten der Sache nach ausgeschlossen zu
sein pflegt. Die Verwertung des Bildnisses zu anderen als
künstlerischen Zwecken, namentlich eine Verwertung für ge-
werbliche Zwecke, z. B. in Plakaten oder als Warenausstat-
tung, oder die Veröffentlichung des Bildnisses in Zeit-
schriften, die der Befriedigung des Tagesbedürfnisies oder
der Sensation dienen, fällt nicht unter diese Vorschrift. Die
Rücksicht auf ein höheres Kunstinteresse soll indessen den
Wegfall des Einspruchsrechtes nur begründen bei Bildnissen,
die nicht auf Be st ellung gefertigt sind. Im Falle
der Bestellung eines Bildnisses tritt der Abgebildete zu dem
Künstler in eine Art von Vertrauensverhältnis, das eine
weitcrgehende Berücksichtigung seiner Interessen erheischt.
Deshalb soll in solchen Fällen die Veröffentlichung des Bild-
nisses nach der allgemeinen Regel des Absatzes \ von seiner

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Kunst und Handwerk. 6$. Jabrg. Heft U.

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