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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft I (Januar 1909)
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Bollmann, Emil: Zur Einführung des Kunst-Unterrichtes an unseren allgemein-bildenden Schulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0013

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3

Abbildung 2.


sich gewohnt sind, die Dinge so zu sehen und so zu beurteilen, wie sie wirklich sind. Auf die
Dauer wird es unerträglich.
Gerne wollte ich nun ja zwar die Leser nach Möglichkeit mit der Vorführung der
sattsam bekannten Harlekinaden und Geschmacklosigkeiten der grossen Masse verschonen.
Da ich aber zur besseren und leichteren Ueberzeugung auch des Beweismaterials bedarf,
sehe ich mich indessen doch genötigt, einige besondere typische Beispiele in wohlwollender
Form aufmarschieren zu lassen.
Ich brauche nicht lange nach Stoff zu suchen. Da drüben ist eine Papeterie gewöhn-
lichster Art. Weil ich mich momentan besonders interessiere, nehme ich mir mal die Mühe,
nur so ganz nebensächlich zu fragen, von welchen Postkarten am meisten gekauft werden.
Da legt man mir eine Anzahl vor, — alles Exemplare der niederträchtigsten Rasse, bei
deren Betrachtung jedem Menschen von etwelcher Empfindung das Wort in der Kehle stecken
bleibt. Mit einer näheren Beschreibung würde ich wohl meinen lieben Lesern wenig Freude
bereiten, aber ich sage: Wenn den Käufern, Verkäufern und Fabrikanten solcher Schund-
produkte beizeiten ein richtiger Kunstunterricht zuteil geworden wäre, würden sie ihre
Hände von solcher Arbeit lassen. Aber so ist es nun einmal: Die Leute zahlen lieber 15
oder 20 Pfg. für eine „gemalte“ Postkarte, bei deren blossem Anblick jedem vernünftigen,
anständigen Menschen Tränen der Rührung über die Wangen rieseln — vorausgesetzt, dass
er nicht ein herzhaftes Lachen vorzieht —, als 5 Pfg. für eine einfache Lichtdruckkarte,
wie sie ja oft gerade in ihrer Schlichtheit recht künstlerisch wirken und auch ganz reizende,
landschaftliche, architektonische und figürliche Motive zeigen. „Aber diese,“ sagt mir die
Verkäuferin mit leutseliger Würde und komisch gehobenem Zeigefinger, „werden mehr der
Vollständigkeit des Lagers als des grossen Absatzes halber gehalten.“ — Mit gemischten
Empfindungen stecke ich das erworbene Prachtexemplar ein und trotte einige Schritte die
Strasse hinauf. Da ist es schon wieder eine Geschmacklosigheit, die all meine Blicke und
Gedanken auf sich konzentriert: Eine Affiche von wahrhaft beängstigendem Format, die die
ganze Poesie der sonst recht malerischen Häusergruppe, — noch mehr, die Stimmung des
ganzen Strassenbildes zugrunde richtet. Es nimmt eine ganze Giebelwand ein; die Fenster
sind sichtlich für diesen Zweck zugemauert worden. Dass ein solches deplaziertes Scheusal
eine Ohrfeige ist für jeden, dessen Sinne noch nicht ganz abgestumpft sind, braucht ja nicht
extra betont zu werden. — Ich gehe weiter. Aber kaum habe ich mich von dem nerven-
kitzelnden Anblick etwas erholt, so erweckt ein riesiges Schaufenster meine Aufmerksamkeit:
ein Möbel- und Dekorationsgeschäft! Zwar sagt mir schon der Anblick von der Strasse aus
genug. Aber weil ich mich für dergleichen Delikatessen immer besonders interessiere, trete
ich ein. Der Dekorateur wird meiner forschenden Blicke gewahr und merkte gleich meine
Absicht, denn er ist einer von den ganz Schlauen. Er erkennt auch gleich, dass es hier nur
noch zwei Möglichkeiten gibt, nämlich: Sich gründlich blamieren oder aber mit raffinierten
Redekünsten meine Aufmerksamkeit auf ein anderes Gebiet lenken. Aber ich bleibe bei
meinem Vorsatz und — zögernd bringt er seine „schönsten“ Ausstattungsstücke ans Tages-
licht. Na, und ob! Ich will weiter nichts sagen! So etwas muss man schon mit eigenen
Augen gesehen haben. — Solch gelegentliche Besuche bei Dekorateuren möchte ich jedem
Kollegen warm empfehlen; sie sind, wenn auch nicht gerade genuss-, so doch sehr lehrreich.
Und wer noch weiter die Geschmacklosigkeit dei- grossen Masse — auch der sogen.
„Bessersituierten“ — kosten will, dem rate ich, sich mal für eine Stunde als Ortsfremder
auszugeben und sich ein Dutzend Mietszimmer anzusehen. — Doch jetzt genug! —
Aber nicht, als ob es nicht auch im grossen Publikum Leute gäbe, die sich über dieses
betrübende Niveau der Mittelmässigkeit erheben! Gewiss! Ja, wenn wir Gerechtigkeit üben
wollen, müssen wir sagen: dass es andererseits auch durchaus keine Seltenheit ist, dass
einfache, schlichte Leute, die sich im Entferntesten nicht einbilden, mit Kunst etwas zu tun zu
haben, durch ihre edle Gesinnung, durch ihr ernstes, redliches Bestreben etwas wirklich
 
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