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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft IV (April 1909)
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Muthesius, Hermann: Wohnungskultur, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0072

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— 56

an. So hatten wir unsere Stuck- und Papiermache-Kunst. Es war also noch nicht
genug, den Protzengeschmack grossgezogen zu haben, wir gelangten auch in ein
völliges künstlerisches Scheinwesen. Dieses konnte jetzt deshalb um so üppiger
blühen, weil der Alleingeschmack ohnedies im Verlaufe des neunzehnten Jahrhun-
derts beinahe auf den Nullpunkt gesunken war.
In dem allgemeinen Wettlauf, der jetzt in den erwerbenden Schichten ein-
trat, genügte dieses Scheinwesen zunächst völlig. Jeder hatte nur das Bedürfnis,
sich auf irgend eine Weise zur Geltung zu bringen. Der Kaufmann glaubte es schon
seinem Kredit schuldig zu sein, grossspurig aufzutreten. Der Bankier half dem An-
sehen seiner Bank durch eine glänzende Haushaltung nach, in die er durch üp-
pige Gastmähler seinen Geschäftsfreunden einen Einblick zu gewähren suchte.
Die kühnen Geschäftsunternehmungen, denen sich die deutsche Industrie Hand in
Hand mit den Banken hingab, wirkten auf diese Weise anstachelnd auf die Re-
präsentation im Hause, die Eeste wurden immer üppiger, die Gastmähler immer
lukullischer, die häusliche Umgebung immer glänzender. Dadurch aber wurde
eine Umbildung der sogenannten Geselligkeit überhaupt hervorgerufen, sie geriet
auf der ganzen Linie ins ausgesprochen Luxuriöse. Denn es trat der merkwür-
dige Fall ein, dass selbst Kreise sich in den tollen Strudel ziehen liessen, die
eigentlich gar kein Interesse an einer derartigen „Repräsentation“ haben konnten,
wenigstens kein geschäftliches. Diese Kreise waren der Beamten- und Offizierstand.
Auch in diesen Ständen war allmählich eine Veränderung eingetreten. In
Deutschland, das sich ja inmitten neidvoller und direkt feindlicher Nachbarn le-
diglich durch seine Militärmacht behaupten kann, musste dem Offizier stände
eine besondere Bedeutung zufallen, die er denn auch in der Schätzung des Volkes
in einem Masse besitzt, wie in keinem anderen Lande der Welt. Was Wunder
also, wenn seine Lebensgewohnheiten, Anschauungen und Sitten tonangebend für
ganze Bevölkerungsschichten wurden, wenn diese nichts Besseres zu tun wussten,
als den Offizier möglichst genau zu kopieren. Erleichtert wurde die Uebertragung
des Offiziergeistes durch das Band des Reserveoffiziertums, das nach den gebildeten
Kreisen des Volkes geschlungen war. In dem allgemeinen Streben nach äusser-
lichen Hervorhebungszeichen wurde nun diesem Reserveoffiziertum in der Bevölkerung
eine Bedeutung beigemessen, die, wollte man sie vom rein sachlichen Standpunkte
aus beurteilen, rätselhaft erscheinen müsste. Für den Ausländer hat es jedenfalls
etwas Unerklärliches, dass sich der gebildete Deutsche durch Visitenkarten zu em-
pfehlen glaubt, auf denen seine Eigenschaft als Reserveleutnant hervorgehoben ist,
oder dass sich ein ergrauter Rittergutsbesitzer von seinen Leuten mit „Herr Leutnant“
anreden lässt. Es soll nicht verkannt werden, dass der erzieherische Einfluss seine
guten Seiten hat, der von einem Stande mit so gefestigter gesellschaftlicher Tra-
dition, wie dem Offizierstande, auf die Allgemeinheit stattfindet. Allein die be-
dingungslose Nachahmung der Manieren eines anderen Standes wirft auf die eigene
Wertbemessung des Bürgertums doch unbedingt ein bedauerliches Licht. Ja sie
ist im Grunde doch auch nur ein Zeichen jener Streberei und Veräusserlichung,
die unsere heutige Kultur überhaupt kennzeichnet. Und überdies führt sie nicht
immer und ausnahmslos gute Einflüsse aus jenem Lager herüber, denn der Geist
des Offizierkorps hat zweifellos in den letzten Jahrzehnten selbst eine Umbildung
in eine ähnliche äusserliche Repräsentationsrichtung erfahren, wie sie bei den reich-
gewordenen Bürgerlichen ein getreten war.
Offenbar wirkte hier die Ansteckung aus den Geldkreisen in weitem Umfange
ein. Aber, dass sie einwirken konnte, lag wohl auch mit daran, dass in dem
neuen deutschen Reiche ohnedies das eingetreten war, was Gustav Freytag 1870
dem damaligen deutschen Kronprinzen als die möglichen Folgen einer neuen deutschen
Kaiserwürde schilderte und so beredt in Gegensatz zu den altpreussischen Tu-
genden der Einfachheit, Sparsamkeit, Anspruchslosigkeit und Strenge stellte,
Tugenden, die in dem Charakterbilde Wilhelms I. einen so ehrwürdigen Ausdruck
gefunden haben. „Glanz, Repräsentation, Schneiderarbeit in Kostüm und Deko-
ration, Hofämter, Verlassen der Zucht und Einfachheit in Offizierkasinos“, das
 
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