Bevormundung heißen; wir sind alle lebenslang und an
allen Orten in der Schule. Diese sittlich-ästhetische Ach-
tung beruht auf freier Anerkenntniß, und nur aus ihr
kann ein Publikum hcrvorgeheu, von welchem jedes Kunst-
werk nach Würde ausgenommen wird, wo jedes darge-
brachte Schöne, jeder gegebene Anstoß seine Nesonnanz
findet, wo von den Bemühungen des Künstlers nichts
verloren geht, wo nichts Gemeines erhoben, nichts Unge-
meines stumm und starr vorbeigelassen wird.
Die mindergebildete Klasse des guten Publikums wird
zwar immer das Werk von Seiten des Stoffs auffassen,
obwohl, dieser erst durch die Form der Darlegung seine
eigentliche Bedeutung erhält; sie sucht in der Kunst und
.durch sie hindurch die Natur, gleichviel ob Original oder
nachgeahmt, kunstgerecht gewählt oder blos derb und keck
der Wirklichkeit entnommen, materiell oder ideell behan-
delt. Ihre Aeußerungen sind aber weniger Urtheile und
Entscheidungen, als naive Bemerkungen und Ergüsse über
das dargestellte Leben selbst, wobei sie meist ganz vergißt,
daß und wie die Kunst die Darstellerin war. Das Sprich-
wort: ,,Volksstimme, Gottes Stimme!" findet daher wie
in politischer, so auch in künstlerischer Anwendung seine
Ausnahme. Es beweist zwar meistens gegen den Künst-
ler und sein Werk, wenn dieses leztcre, daß ich so sage,
auf frischer That mißfällt. Ein guter und vorsichtiger
Künstler wird dies so sehr vermeiden, als der Kluge im
bürgerlichen oder öffentlichen Leben nichts allgemein Miß-
fälliges auf sich kommen läßt. Aber es können der Dar-
stellung günstige oder ungünstige Umstände vorhergegangen
sepn oder sie begleiten, welche das Rauschen des Beifalls,
den Lärm des Tadels, das Steigen, das Fallen des Kunst-
werks unverdient, unverschuldet machen.
Mit der Neugierde, der Aufnahme von volkstüm-
lichen, berühmten, Furor machenden Kunstwerken hat
es eine eigene Bewandtniß. Ich möchte den galvanischen
Prozeß des Berühmtwerdens vom mechanischen unterschei-
den, obwohl der leztere den erster» gewöhnlich begleitet
und unterstüzt.
Ein Kunstwerk, daS durch feinen interessanten, etwa
romantischen oder modernen Stoff, durch eine ihm gün-
stige Constellation, durch sein Anlehnen an Aeitinteressen,
Kämpfe des Tages, durch entschiedene Partheigängerei
eingänglich geworden, wird durch diese Hebel fortgetra-
gen und nimmt nun durch seinen Umschwung lavinenartig
an Celebrität nach dem Quadrat zu; denn was Hunderte
gesehen und gelobt, wollen Tausend auch sehen, und tau-
send Lobende machen zehntausend Neugierige, so daß es
endlich Ton und Mode, ja in gewissem Betracht uner-
läßliche Pflicht wird, sich die Anschauung des Kunstwerks
auch zu verschaffen, wodurch dann dasselbe die ganze
Sphäre des Volksthüms erfüllt und eine geraume 3eit
beschäftigt.
Das größere Publikum sieht sich mit gespannter Er-
wartung und gereizter Vorliebe in das Werk hinein, leiht
seinen Details die höchste Bedeutung, findet in seinen
Schönheiten, noch mehr in den dargclegten Natürlichkei-
ten volle Rechnung und stellt es während der Dauer sei-
nes Enthusiasmus über Alles, was ihm daneben geboten
werden will.
Wir wollen uns die Kunst als einen Gemäldesaal
denken. Da nun bei den Meisten das Interesse von ih-
rem Selbst ausgeht und auf menschliche Weise im Ver-
hältniß der Entfernung vom Ich schwächer wird, so wird
die Mehrzahl der Beschauer den ausgestellten Bildnissen
ihrer selbst und ihrer Angehörigen und Freunde, der viel-
genannten Männer der Stadt, des Vaterlandes, dann
vaterländischen Prospekten, nationalgeschichtlichen Scenen
am meisten Antheil schenken. An diese reihen sich die
Helden des Tages, Ereignisse aus ihrem Leben; sodann
kommen Genrestücke, tragische ober komische Situationen
aus dem bürgerlichen Leben, deren Deutung viel Unter-
haltung gewährt; und nun erst ziehen die dem eigent-
lichen und ewigen Kunstkreis, angehörigen Bilder das Aug
auf sich.
Einen diesem analogen Weg könnte man vielleicht auch
bei dem Interesse an der darstellenden Kunst, der Poesie,
der Literatur überhaupt Nachweisen.
Die Kunstlenker, wie wir diejenigen nennen wollen,
welche die Leitung der öffentlichen Kunstanstalten führen,
das Publikum zum Kunstgenuß einladcn rc., tragen oft
dazu bei, daß der Geschmack des Publikums einseitig, ma-
nierirt wird, wo dann auch das Beste nicht mehr ideell,
sondern materiell wirkt, so daß man auch auf sie das
Schillersche Wort mit anwenden muß: „So oft die Kunst
gefallen ist, ist sie durch die Künstler gefallen." Gewiß
trägt das Publikum von seinem jezt stark hervortretenden
Verlangen nach sinnlichem Stoff, und von seiner Kälte
gegen die geistigen Entfaltungen desselben, die Schuld nicht
allein: Vordem bemühte sich das Publikum um die Kunst,
jezt bemüht sich die Kunst um das Publikum ; die größere
Concurrenz auf der Seite der Geber macht die Gabe
feil und bequemt sich den Nehmern und beliebiger Nach-
frage.
Das Höhere der Kunst, das Klassische, ist in seinem
vollständigen Erfassen von jeher nur für die gebildetsten
Geister dagewesen. Hierüber kann man so wenig beim
großen Publikum Umfrage halten, als man über die tief-
liegende Veranlassung wichtiger Begegnisse, über den ver
borgcnen Grund einer charakteristischen. Handlungsweise
die Stadtfage abhören darf.
(Der Beschluß folgt.)
allen Orten in der Schule. Diese sittlich-ästhetische Ach-
tung beruht auf freier Anerkenntniß, und nur aus ihr
kann ein Publikum hcrvorgeheu, von welchem jedes Kunst-
werk nach Würde ausgenommen wird, wo jedes darge-
brachte Schöne, jeder gegebene Anstoß seine Nesonnanz
findet, wo von den Bemühungen des Künstlers nichts
verloren geht, wo nichts Gemeines erhoben, nichts Unge-
meines stumm und starr vorbeigelassen wird.
Die mindergebildete Klasse des guten Publikums wird
zwar immer das Werk von Seiten des Stoffs auffassen,
obwohl, dieser erst durch die Form der Darlegung seine
eigentliche Bedeutung erhält; sie sucht in der Kunst und
.durch sie hindurch die Natur, gleichviel ob Original oder
nachgeahmt, kunstgerecht gewählt oder blos derb und keck
der Wirklichkeit entnommen, materiell oder ideell behan-
delt. Ihre Aeußerungen sind aber weniger Urtheile und
Entscheidungen, als naive Bemerkungen und Ergüsse über
das dargestellte Leben selbst, wobei sie meist ganz vergißt,
daß und wie die Kunst die Darstellerin war. Das Sprich-
wort: ,,Volksstimme, Gottes Stimme!" findet daher wie
in politischer, so auch in künstlerischer Anwendung seine
Ausnahme. Es beweist zwar meistens gegen den Künst-
ler und sein Werk, wenn dieses leztcre, daß ich so sage,
auf frischer That mißfällt. Ein guter und vorsichtiger
Künstler wird dies so sehr vermeiden, als der Kluge im
bürgerlichen oder öffentlichen Leben nichts allgemein Miß-
fälliges auf sich kommen läßt. Aber es können der Dar-
stellung günstige oder ungünstige Umstände vorhergegangen
sepn oder sie begleiten, welche das Rauschen des Beifalls,
den Lärm des Tadels, das Steigen, das Fallen des Kunst-
werks unverdient, unverschuldet machen.
Mit der Neugierde, der Aufnahme von volkstüm-
lichen, berühmten, Furor machenden Kunstwerken hat
es eine eigene Bewandtniß. Ich möchte den galvanischen
Prozeß des Berühmtwerdens vom mechanischen unterschei-
den, obwohl der leztere den erster» gewöhnlich begleitet
und unterstüzt.
Ein Kunstwerk, daS durch feinen interessanten, etwa
romantischen oder modernen Stoff, durch eine ihm gün-
stige Constellation, durch sein Anlehnen an Aeitinteressen,
Kämpfe des Tages, durch entschiedene Partheigängerei
eingänglich geworden, wird durch diese Hebel fortgetra-
gen und nimmt nun durch seinen Umschwung lavinenartig
an Celebrität nach dem Quadrat zu; denn was Hunderte
gesehen und gelobt, wollen Tausend auch sehen, und tau-
send Lobende machen zehntausend Neugierige, so daß es
endlich Ton und Mode, ja in gewissem Betracht uner-
läßliche Pflicht wird, sich die Anschauung des Kunstwerks
auch zu verschaffen, wodurch dann dasselbe die ganze
Sphäre des Volksthüms erfüllt und eine geraume 3eit
beschäftigt.
Das größere Publikum sieht sich mit gespannter Er-
wartung und gereizter Vorliebe in das Werk hinein, leiht
seinen Details die höchste Bedeutung, findet in seinen
Schönheiten, noch mehr in den dargclegten Natürlichkei-
ten volle Rechnung und stellt es während der Dauer sei-
nes Enthusiasmus über Alles, was ihm daneben geboten
werden will.
Wir wollen uns die Kunst als einen Gemäldesaal
denken. Da nun bei den Meisten das Interesse von ih-
rem Selbst ausgeht und auf menschliche Weise im Ver-
hältniß der Entfernung vom Ich schwächer wird, so wird
die Mehrzahl der Beschauer den ausgestellten Bildnissen
ihrer selbst und ihrer Angehörigen und Freunde, der viel-
genannten Männer der Stadt, des Vaterlandes, dann
vaterländischen Prospekten, nationalgeschichtlichen Scenen
am meisten Antheil schenken. An diese reihen sich die
Helden des Tages, Ereignisse aus ihrem Leben; sodann
kommen Genrestücke, tragische ober komische Situationen
aus dem bürgerlichen Leben, deren Deutung viel Unter-
haltung gewährt; und nun erst ziehen die dem eigent-
lichen und ewigen Kunstkreis, angehörigen Bilder das Aug
auf sich.
Einen diesem analogen Weg könnte man vielleicht auch
bei dem Interesse an der darstellenden Kunst, der Poesie,
der Literatur überhaupt Nachweisen.
Die Kunstlenker, wie wir diejenigen nennen wollen,
welche die Leitung der öffentlichen Kunstanstalten führen,
das Publikum zum Kunstgenuß einladcn rc., tragen oft
dazu bei, daß der Geschmack des Publikums einseitig, ma-
nierirt wird, wo dann auch das Beste nicht mehr ideell,
sondern materiell wirkt, so daß man auch auf sie das
Schillersche Wort mit anwenden muß: „So oft die Kunst
gefallen ist, ist sie durch die Künstler gefallen." Gewiß
trägt das Publikum von seinem jezt stark hervortretenden
Verlangen nach sinnlichem Stoff, und von seiner Kälte
gegen die geistigen Entfaltungen desselben, die Schuld nicht
allein: Vordem bemühte sich das Publikum um die Kunst,
jezt bemüht sich die Kunst um das Publikum ; die größere
Concurrenz auf der Seite der Geber macht die Gabe
feil und bequemt sich den Nehmern und beliebiger Nach-
frage.
Das Höhere der Kunst, das Klassische, ist in seinem
vollständigen Erfassen von jeher nur für die gebildetsten
Geister dagewesen. Hierüber kann man so wenig beim
großen Publikum Umfrage halten, als man über die tief-
liegende Veranlassung wichtiger Begegnisse, über den ver
borgcnen Grund einer charakteristischen. Handlungsweise
die Stadtfage abhören darf.
(Der Beschluß folgt.)