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N°. 81.

Kunst-Blatt.

Dienstag, 12. O k t o b e r i 8 3 o,

lieber Genremalerei und die Genrebilder von Pflug
in Bibcrach.

Der Maler Pflug in Viberach hat die dießiäyrige
Kunstausstellung in Stuttgart mit einer Reihe von Bil-
dern beschenkt, welche nicht blvs wegen ihres dem Volks-
kreise entnommenen Gegenstandes jederzeit die Aufmerk-
samkeit einer Menge von Beschauern aus allen Ständen
auf sich zogen, sondern auch durch ihre charakteristische
Trefflichkeit als Kunstwerke sich den stolzen Beifall jedes
patriotischen Kunstkenners erwarben. Auch sind diese
sämmtlichen Gemälde bereits theils von S. M. dem Kö-
nige von Würtemberg, theils von Privatpersonen, theils
von dem Würtembergischen Kuustverein in Stuttgart an-
gekauft. Herr Pflug ist, wie verlautet, ein junger Mann.
Daß er energische Jugendkraft besitze, beweist die Fülle
von Anschauungen, die er mit großer Lebendigkeit auf ei-
nem Blatte zu vereinigen weiß; ebenso das Bestreben,
sich in der technischen Seite seiner Kunst zu vervollkomm-
nen; wofür die bedeutenden Fortschritte zeugen, die er
in seinen neuesten Leistungen zu Tage gelegt hat. Da es
sich hier von einem wahrhaft originellen Talente handelt,
so halte ich mich, obgleich sonst in durchaus keiner nähe-
ren oder entfernteren Berührung mit dem Künstler ste-
hend, zur Hinweisung des weiteren deutschen Publikums
auf den Meister und seine interessanten Arbeiten verpflichtet.

Es pflegt freilich, insbesondere in diesen gegenwärti-
gen Zeiten, und zumal von Künstlern, die sich anderen
Richtungen der Malerei widmen, über den Genrebildern
der Stab gebrochen zu werden. Die Kunst, wissen sie zu
declamireu, ftp ein Ideales. Daher müsse sie den Geist
immer zu Ideen erheben. Sie dürfe sich nicht in der
Hefe des Volkslebens gefallen. Sie müsse den Menschen
die gemeine Wirklichkeit und das tägliche Treiben und die
gewöhnliche Gesellschaft vergessen machen, müsse ihm das
Daftpn in seinen größeren Verhältnissen, den Beruf in
seinen ernsten Anforderungen, die göttliche Weltregierung
in ihren frohen Vergeltungen und in ihren strengen Ge-
richten vor das Auge rücken. Dafür ftp aber allein der

Jdeenkreis der alten Mythologie oder des christlichen Glau-
bens, allegorische und geschichtliche Darstellung geeignet.

Solche Aeußerungen beurkunden stets eine mangel-
hafte Vorstellung von dem Gebiete der wahren Kunstthä-
tigkeit und einen sehr begrenzten Begriff von dem, waS
Idee, Leben und Geschichte heißt. In der ganzen Sphäre
der Menschheit ist für den, welcher Augen hat um zu se-
hen, nichts Bedeutungsloses, nichts, was nicht unter ir-
gend eine Idee sich bringen ließe und unter irgend einem
Gesichtspunkte einen Vorwurf für künstlerische Auffassung
und Darstellung darböte. Nicht dasjenige ist gemein,
was nicht gerade den höheren Ständen angehört, oder
was nicht auf den Tafeln der Universal- oder Spezialge-
schichte verzeichnet steht, oder was in den gewöhnlichen
Kreisen des Lebens, in einsamer Kammer, in lauter
Schenke, auf geräuschvollem Markte u. s. w. vergeht; son-
dern einzig dasjenige, was eine gemeine Gesinnung ver-
rath und was ohne Beziehung auf eine tiefer liegende
Idee dargestellt worden war. Die Vorstellungen und
Empfindungen inniger Demuth und Frömmigkeit, treuer
Liebe, stillen Glückes und gemeinsamer Zufriedenhett,
ernsten Fleißes im Berufe, munterer Laune im Genüsse,
hohen Vertrauens in Gefahr, Kummer, Krankheit oder
Tod — finden in den Stilleleben und kleinen Scenen ei-
nen eben so wahren und lebendigen Ausdruck, wie auf ei-
nem historischen Tableau. Das Leben, wie es ist in seinem
bunten Reichthum, Wechsel und Verkehr, tritt offenbar
nirgends so vielseitig auf, als auf dem Bilde, welches das
Drängen und Treiben der Interessen, Sorgen und Nei-
gungen in Gassen und auf Märkten, bei Volksbelustigun-
gen, Prvcessivnen u. d. gl. veranschaulichen soll. Und sage
Keiner, daß hier nur gemeine Wirklichkeit ftp und seyn
müsse, daß hier vorzugsweise und einzig nur die niedri,
gen Gesinnungen, die sinnliche Lust und rohe Leidenschaft
Hervorbreche und dem Künstler zum Motiv gegeben ftp.
Das gewöhnliche Leben selbst ist so verworfen nicht, daß
es nur schlechte Charaktere und widerliche Bilder auf ir-
gend einer Stufe menschlicher Wesen aufwiese. Im Ge-
gentheile ist eine solche Mischung des Gesunden und Kran-
ken, des Starken und Schwachen, des Edlen und Ver-
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