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kehrten, des Hohen und des Niedrigen allenthalben wahr-
zunehmen, daß gerade sie, diese Mischung und Mannig-
faltigkeit der Naturen und Erscheinungen, an und für
sich schon den Geist beschäftigt und die Phantasie mit der
Idee der Unendlichkeit befruchtet; das Fehlerhafte, Ge-
meine und Unwürdige stößt in der einzelnen Erscheinung
zurück und stört wohl auch Len Eindruck des Edleren,
wenn man Beides nach einem beschränkten Maßstabe ein-
ander gegenüberhält, aber es wird dem von einem höhe-
ren, umfassenderen Standpunkte aus Urthcilenden von
dem Besseren, das ihm gegenübersteht und darauf ein-
wirkt, überstrahlt und erscheint so zugleich in dem durch
das moralische Weltgesetz begründeten allmähligen Durch-
gang zum Höheren. Insonderheit legt die joviale Seite
des menschlichen Lebens und der bürgerlichen Geselligkeit,
und dies zumal unter dem deutschen Volke, eine Fülle
von natürlicher Gutmüthigkeit und Laune dar, die auch
unter der derben Erscheinung und oft rohen Hülle, beim
Uebermaße der Lust und des Genusses unverkennbar bleibt.
Dieses Reinere und Edlere, das, seiner innersten Ver-
wandtschaft nach, nicht selten auch ästhetisch schön ist, oder
doch zu ästhetischer Behandlung sich eignet, wird der sin-
nige Künstler gerne auffassen und eine Komik nicht ver-
werfen, welche die Natur und das Leben selbst ihm dar-
bietet in dem verbundenen Gegensätze der ernsten und der
heiteren Maske. Und wo spricht sich der Nerv aller mun-
tern und ernsten Kunst, Humor und Ironie, unmittelba-
rer aus, als in solchen Darstellungen, die, dem Leben und
den Sitten der Gesellschaft, dem Treiben und Wesen ih-
rer einzelnen Stände entnommen, nicht leere Possen und
dürren Witz der Phantasie, sondern das Lächerliche , das
.in den .Verirrungen des.Lebens liegt, den Widerspruch, in
welchen sich der Mensch mit sich selbst gebracht hat, den
wehmüthigen Spott der gesunden Vernunft und deö reli-
giösen Gefühls über alles Unheilige und Zweckwidrige zei-
gen? Der Geizige in seiner reichen Armuth, der Frömm-
ler in seinem scheinheiligen Auftreten, der Schwelger auf
der Schwelle des Ueberdrnffes, der Faulenzer auf dem
Strohlager der Langeweile, der Betrüger im Augenblicke
des Entdecktwerdens, im Zustande der Verzweiflung, —
sie sind, von dieser moralischen Seite aufgefaßt, in der
That künstlerischer Behandlung werth. Und zudem kann
der inniger fühlende Meister den tiefsten Humor in we-
nigen Figuren rcpräsentiren, wenn er den Schmerz des
Patriotismus im unterdrückten Vaterlande unter Trüm-
mern alter Größe, die Sehnsucht und den Stolz des ver-
folgten , aber nur desto seligeren Glaubens u. dgl. mit hi-
storischen Anklängen an Frankreichs Hugenotten, Griechen-
lands Palikaren u. s. w. ausspricht.

Wer nun den Genremaler als solchen unbedingt hint-
ansetzt, als ftp ihm die Idee und das Ideale der Kunst
etwas Fremdes, als. könne er das Leben in seiner Ve-

j deutung, die Menschheit in ihrer Bestimmung und Würde,
j die Welt in ihrem geistigen Reichthum nicht auffassen noch
; wiedergeben; der kommt von falschen Voraussetzungen auf
I irrige Behauptungen und Schlüsse, wie dies nothwendig
in dem Charakter jeder Einseitigkeit liegt. Der wahre
Genremaler wird den Zweck und das Wesen der Kunst
ebenso würdigen und in seinem Wirkungskreise ihren An-
forderungen ebenso dienen können, wie in dem seinigen
der Historienmaler. Er wird vielleicht nicht immer so
unmittelbar, wie dieser, einen moralischen oder religiösen
Effekt Hervorrufen, weil er nicht die Großthaten der Hel-
den der Menschheit, sondern die allgemeine Geschichte in
individuellen Zügen und Ereignissen zeichnet. Aber der
unmittelbar moralische und religiöse Effekt ist auch durch-
aus nicht das erste Merkmal vom Wcrthe eines Kunst-
werkes; sondern seine innere Wahrheit und Harmonie,
seine Uebereinstimmung mit der Natur und mit den lei-
tende» Ideen des Menschenlebens gibt ihm vor allem An-
dern seine Bedeutung; und dadurch bringt mittelbar je-
des Kunstwerk einen befriedigenden und erhebenden, er-
schütternden oder rührenden Eindruck auf die Seele des
Beschauers hervor. Nicht davon zu reden, daß der ge-
rühmte moralische Nerv der Historienmalerei nicht so
durchgängig sichtbar werde, und daß z. B. ein stilles pa-
tiarchalisches Hausleben darin jedem ritterlichen Hoffeste,
eine fromme Rettung der Unglücklichen in einsamer Ge-
gend unzähligen Schlachteubildern und Blut- oder Mord-
fcenen vorzuziehen sey.

Ich bin übrigens weit entfernt, eine ausschließliche
Pflege des Genrebildes gutzuheißen; denn ich verwünsche
jede Einseitigkeit, da sich die Kunst nur in allseitigen Be-
strebungen ihrer hohen Bestimmung gemäß ansbilden kann.
Ich beklage die traurige Folge der unvernünftigen Auffas-
sung, welche die Lehren des Christenthums über Gottes-
dienst und Götzendienst in der reformirten Kirche fanden,
so daß man im sechszehnten Jahrhundert in der Schweiz
kaum ein Porträt zu malen wagte, in Holland nur noch
in dem Gebiete des täglichen Volkslebens die gefährlichen
Berührungen der Kunst mit der Religion zu vermeiden
hoffte. Gleichso erkenne ich kein gutes Zeichen in der
übermäßigen Hinneigung der Kunstthätigkeit auf diese
Seite der Genrebilder in unserer gegenwärtigen Periode,
und glaube, daß die vielen gedankenarmen Bildchen, die
man zu sehen bekommt, wenn sie noch so fein und zier-
lich mögen ausgeführt. seyn, am Ende in der bildenden
Kunst dahin führen, wozu es die Nachtreter Rossini's in
der Musik gebracht haben.

Beide Richtungen sollen mit gleicher Treue bearbeitet
werden; dann wird die Kunst gedeihen, und die Künstler
werden selbst immer mehr an sich die Erfahrung machen,
wie beide Richtungen, ob auch in der Erscheinung äivch so
weit von einander verschieden, doch in ihrem Kern und
Register
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