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N°. 8

K u n ft -Blatt.

Donnerstag, 28. Z a n u a r 1 8 3 0.

Notizen über die wichtigsten, dermalen im Vau
begriffenen Denkmale der Architektur zu Paris.
Fünfter Artikel. Beschreibung der einzel-
nen Theile des Musee Charles X., hinsicht-
lich seiner Gemälde und sonstigen Merkwür-
digkeiten.

(Beschluß.)

Spätere Besichtigung des Gemäldes von Ingres, ge-
nauere Bekanntschaft mit den mir unvergeßlichen Künstlern
von Paris, von denen meine Gefühle und Begriffe über Kunst
während eines vierjährigen Aufenthalts daselbst so manch-
fachen Nutzen zogen, gaben mir Gelegenheit, folgendes nie-
derzuschreiben, das ich aus der vertrauten Unterhaltung
mit denselben im Gedächtniß bewahrt hatte.

Die Wahrheit der Nachahmung ist bei den schönen
Künsten nicht der Zweck, sondern nur das Mittel; man
kann diese große Wahrheit, auf der die Künste beruhen
und von der sie ihr ganzes Wesen erhalten, nicht oft ge-
nug wiederholen und vertheidigen. Der heut zu Tage
gemeinste Jrrthum ist, daß man die Wirklichkeit mit Poesie
umkleiden will, und daß man glaubt, eine Statue oder
ein Gemälde müsse eine vollständige Täuschung auf unsere
Sinne hervvrbriugen. Wenn dieser Jrrthum fortbesteht,
so wird er bewirken, daß sich künftig schwerlich mehr Poe-
ten, Bildhauer und Maler bilden.

Von den leztern muß ich einen anführen, der nicht
aufgehort hat, sich kräftig anzustrengeu, um die Würde
der Kunst, die er ausübt, unbefleckt zu erhalten. Dies
ist Hr. Ingres. Keiner hat vielleicht gesucht, mit mehr
Gewissenhaftigkeit nachzuahmen, als er; allein bei seinen
Arbeiten ist die Nachahmung immer einer bestimmten,
starken, anmuthigen oder großen Idee, je nach dem Ge-
genstand, zu dem sie angewendet wurde, untergeordnet ge-
wesen. Dieses Bedürfniß, seine Gedanken zu conzentri-
ren, indem er seinen. Formen Gleichartigkeit gibt, dieser
Instinkt, der ihn zwingt, Details, die davon abzuweichen
streben, zu der Einheit der vorzüglichsten Züge eines Ge-
sichts oder einer ganzen Person zürückznführen, ist selbst
bei seinen Porträts sehr auffallend.

Dieses seltene Jdealisirungsvermögen hat natürlich
in seiner Composition der Apotheose Homers eine würdige
Anwendung gefunden. Hier folgt noch eine zweite, deut-
lichere Beschreibung dieses meisterhaften Gemäldes: auf
einem blauen Himmelgrund erhebt sich der Fronten und
das Obertheil der Säulen eines marmornen Tempels, der
Homer zu Ehren erbaut wurde. Vor dem Portikus sizt
Homer, der die Mitte des Gemäldes einnimmt, auf ei-
nem goldenen Thron und hält mit einer Hand eine Lanze,
mit der andern die Nolle, auf der seine Werke geschrieben
sind, lieber seinem Haupt hält eine Siegesgöttin eine
goldene Krone; rechts und links von seinem Thron sind
die Figuren zweier Frauen gruppirt, die den Charakter
der Kraft und des Nachdenkens au sich tragen; die Eine
hat einen Degen, es ist die Ilias; die Andere hält ein
zerbrochenes Ruder, es ist die Odvssee. Man stelle sich
nun Homer mit einer doppelten Reihe Personen umgeben
vor, die vom Tempel abwärts um seinen Thron eine ge-
bogene Linie beschreiben und gegen die Mitte sich zusam-
menschließen, indem sie sich der unteren Einfassung des
Gemäldes nähern, und man hat eine Skizze von der ma-
teriellen Stellung der Personen. Aber diese Menge von
Personen ist, wie man sich leicht denken kann, nicht dem
Zufall nach versammelt.

Zwischen dem Tempel und Homer hat der Maler,
wie mitten durch einen Dunst, Orpheus, Linus und die
Muse sehen lassen, deren Züge in diesem Gemälde unge-
wiß sind, wie ihr Dasevn cs in der Geschichte ist. Auf
dem nämlichen Plan, wie Homer, und zu seiner Siechten,
sind Aeschylus, Sophokles und Enripides, die dem Vater
der Poesie ihre Ehrfurcht bezeugen. Nicht weit von die-
sen 'Tragikern sind Menander und Demosthenes. Der
Maler Apelles kommt auch zur Begrüßung Homer's, er
tritt vor und hält hinter ihm an der Hand den jungen
Raphael d'Urbino, den Hr. Ingres, eben so gerecht als
zart, ausnahmsweise mitten unter die Alten gestellt hat.
Virgil untcrstüzt den Dante, der sich vor Homer beugt,
und diese Gruppe scheint den Uebergang des Alterthums
zu den neueren Zeiten anzuzeigen. Von diesem Punks
aus erscheinen die an die untere Einfassung gestellten Pep
Register
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