Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sonders in Schleswig, Bremen und Halberstadl, herrschte
gar ein blitiber Neligionseifer bei den Protestanten. Dar-
um zerstörten sie kurz nach der Reformation eine Menge
herrlicher Kirchen, anderer Gebäude und schätzbarer Kunst-
sachen. Vieles ging bei der Säcularisativn der Klöster
unter.

Es begann der dreißigjährige Krieg, der langer denn
ein Jahrhundert wie ein schwerer Alp ans Deutschland
lag, und seine Vampirklauen in dessen edelste Lebenstheile
eingeschlagen hatte. Cs wäre unmöglich, alles aufzuzählen,
was Wissenschaft, Kunst und Volkssitte in dieser fürchter-
lichen Zeit gelitten haben. Die Heere der katholischen
Ligue sengten und brennten im Norden Deutschlands.
Magdeburg, seine Kirchen und bedeutenden Gebäude san-
ken vor dem Unterirdischen Hauch Tillp's in Asche. Die
Schweden plünderten und verbrannten dagegen die schön-
sten Kirchen, Klöster und Schlösser in Böhmen und
Bayern. Aber es gingen nicht allein eine Menge Kunst-
sachen in den Flammen auf, oder sie wurden unter den
Trümmern begraben; gar Vieles ward auch geraubt, und
ging dann über die Pyrenäen und Alpen.

Bald nach diesem furchtbaren Krieg zeigte sich's, daß
Deutschland noch weit mehr verloren hatte, als schöne Ge-
bäude und Knnstsachen. Bei dem durch unsägliche Leiden,
Verluste, Entbehrungen und Jammer dreißig Jahre lang
gepeinigten, von Feind und Freund geplünderten, verarm-
ten Volk war fast aller Sinn für das Schöne verschwun-
den , der die Deutschen in den früheren Zeiten so sehr
ausgezeichnet hatte. Wäre die Dichtung geistlicher Lieder
damals nicht dem Volk wie ein tröstender Engel in den
Tagen der Verzweiflung und Erniedrigung geblieben, so
müßte man glauben, die Deutschen hätten alle Einbildungs-
kraft und allen Schwung des Gemüths verloren, und chat-
ten keine Kraft mehr gehabt, sich über das Gewöhnliche
und über die Nachahmung zu erheben.

Dies unglückliche Volk bedurfte auch des Trostes, als
seine Fürsten ruhig zusahen, wie Ludwig XIV. die Pfalz
und die andern Länder am Rhein und Neckar verwüstete.
Wie konnte Deutschland je diesen scheußlichen Verwüstnngs-
und Zerstörungskrieg vergessen, wo der Herzog von Cre'qui
sich im Namen des allerchristlichsten Königs eine Pflicht
daraus machte, viel hundert blühende Städte und Dörfer
in jenen Gegenden zu plündern, zu verbrennen und zu
zerstören? Wie viel herrliche Kirchen und Dome mit un-
zä'fligen Monumenten, Statuen und Gemälden, mit ei-
ner Menge Kunstsachen in Gold und Erz wurden damals
vernichtet! Wir führen hier nur die Dome von Speyer
und Worms, desgleichen das Schloß von Heidelberg an,
daö durch die Zerstörung jenes Raubkriegs aus- einem
herrlichen Pallast die schönste Ruine Deutschlands gewor-
den ist. Damals wurde auch die große Heidelberger Bi-

bliothek weggeschleppt, die erst nach Napoleons Fall wieder
dahin zurückkehrte.

Die Deutschen jener Zeit vergingen im Jammer,
wagten es aber nicht, sich über alle diese Greuel zu ent-
rüsten. Anstatt zu thun, was sie hundert und sechszig
Jahre später so trefflich gegen einen viel stärker» Feind,
als Ludwig XIV., ausgeführt haben, erschöpften sie sich in
Bewunderung alles dessen, was Französisch war.

Seit dem westphälischen Frieden hielten cs die Für-
sten und Herren des Landes für ihre Pflicht, die Sprache
des Erbfeinds aller deutschen Würde und Kraft zu spre-
chen, wiewohl schlecht genug. Mit einer Art von Andacht
ahmten sie Trachten -und Moden, Sitten, Gebräuche,
Verkehrtheiten, Verdorbenheit, ja sogar alles Lächerliche
der damaligen Franzosen nach. Später drang dies un-
selige Fieber der Nachahmung auch in die untern Klaffen
hinab. Sprache, Literatur und Kunst wurden davon er-
griffen und wie von bösen Pocken verunstaltet. Höchlich
wäre der Dichter, Schriftsteller oder Bildner getadelt
worden, der sich kühn über die Regeln, die Vorschriften
und das Herkommen der Franzosen hiuausgesczt hätte,
denn dies Volk sollte damals allein Geschmack in Europa
haben. Seit dieser unseligen Zeit hielten die Deutschen
selbst die Nachahmung der Italiener für zu gering, denn
nachgeahmt müßte nun einmal werden. Zwar war in
Italien die Kunst schon sehr in Manier ausgeartet, sie
schien aber in Deutschland doch noch zu einfach und nicht
geschmückt genug. Hätte damals Einer gebaut wie Bra-
mante, in Erz gegossen wie Ghiberti und gemalt wie Lee-
uardo da Vinci, so wäre er gewaltig verspottet worden.
Denn blos in Paris und Versailles waren die rechten
Muster. Die Colonuade des Louvres, die Porta St.
Martin und besonders Versailles ließen das Pantheon, die
Propyleen und die gothischen Dome und Münster weit
hinter sich zurück. Die Statuen in den königlichen Lust-
gärten wurden von vielen deutschen Bildhauern bewun-
dert. Sie ahmten sie zu Haus noch, verzweifelten aber,
diese Grazie zu erreichen. Die Maler beugten sich tief
vor Lebrun, dessen Alerander der Große in Allongen-
perücke sie wie den Triumph der Kunst betrachteten. Jene
Deutschen bildeten sich nicht ein, daß ihrem Volk das Ta-
lent der Nachahmung gänzlich fehlt. Sie verzweifelten
daher auch nicht, sich in Literatur und Kunst recht ordent-
lich französiren zu können. Um richtiger zu denken, hät-
ten sie begreifen müssen, worin eigentlich die französische
Literatur und Kunst bestehe, und um sie gut nachzuah-
men, wäre ihnen gar Manches von nöthen gewesen, vor
Allem französischer Geschmack, die Ideen dieses Volks
über das Schöne, Erhabene und Anmuthige in der bil-
dendem Kunst, desgleichen über den Effekt, der bei allen
ihren künstlerischen Erzeugnissen und Compositionen die
Hauptrücksicht ist, welcher sie gern alles Uebtize opfern.
Register
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen