Nr. 6
l a t r.
. D onnerstag.
den 19. Z a n u a r i 8 2 6.
Auszüge aus Joachim von Sandrarts- deutscher
Akademie.
Joachim von Sandra rt, ein Mann von billi-
gem Sinn und gesundem deutschem Verstände, doch, wie
seine Gemälde fürchten lassen, mehr mit Empfänglichkeit
für die Leistungen Andrer, als mit eigenem ausgezeich-
netem Knnsttalente ausgerüstet, schrieb um die Mitte des
17len Jahrhunderts ein weitläuftiges Werk, welches
theils Auszüge und Uebersctzungen ans italienischen und
uiederländischen Kunstschriften enthält, deren Werth ge-
ring ist, theils aber auch seine eigenen Lebenserfahrun-
gen und Reflerioneu,. welche historisch und künstlerisch
betrachtet unschätzbar sind. Das wiederholt abgezogene
Buch ist allenthalben zu finden und daher Jedem zugäng-
lich. Wenige indeß werden sich überwinden können, in
dem Schwulste und in den Weitschweifigkeiten des starken
Folianten ans die Achrenlese anszugehen. Ich wünsche
durch nachstehende Auszüge das Andenken des wackeren
deutschen Kunstbnches vornehmlich den Künstlern zu er-
neuen , oder auch einem sachkundigen Schriftsteller Ver-
anlassung zu geben, daraus einen lesbaren Auszug alles
nicht Cvmpilirteu, sondern Selbsterlebten, Selbstgedachten
z>r Tage zu fördern.
R u m v h r.
Joachim von Sandrart, deutsche Akademie der edlen
Vau-Bild-und Malerepkünste rc. Nürnberg i6~5 in Fol.
I- Theils UI. Buch VI. Kap. S. 70.
Wann der junge Maler durch langes Sitzen über
den Vildereyen starrsüchtig und müde worden, so soll er da-
von etwas aussetzen und das Gemüthe wieder erfrischen,
weil auch ein starker Bogen, wann er stets gespannt ist,
zu zerspringen pfleget. Demnach, wann er von weitem
siebet, daß Hesperus dem Träume-Vater Morpheus den
schwarzen Mantel umleget, kann er seine Augen zur
Stunde mit Lethe's Naß besprengen, und sein Abend-
mahl in den Blumenreichen des kurznächtigen Sommers
mäßiglich einnehmen, damit er nach sanftem Schlafe, bep
ausgehender Morgenröthe, sich frisch und anfgeränmt be-
finde. Alsdann, wann er die Vogel in der Luft den
Morgen ansingen höret, soll er mit einem oder mehr
knnstliebendcn Gefährten bep Eröffnung der Stadtthore,
sich aufmachen, in den Schauplatz der Natur spazieren
und, zu Erleuchtung des Geistes, seine Augen in den
Feldern, Bäumen und Bächlein, in Bergen und Thä-
lern, in den Wiesen und Auen, weiden und z> Lehre
senden.
Kap. 7. S. 7r. Es gibt wackere Geister, welche,
als wohlerfahren, ihnen eine Idee von jeder Sache gleich
einbilden und dieselbe, ohne fernere Mittel (Studien)
ausmachen können. Solches aber ist nicht eines jeden
Thun, sondern eine absonderliche Gabe von meisterhaftem
Verstand: mag auch nur geschehen bep kleinen Werken von
wenig Bildern (Figuren) oder stillstchenden Sachen, daran
nicht viel gelegen ist.
Andere sind, die mit viel Arbeit und Bemühung
sich setzen und ihre Mepnung, was sie in Gedanken ge-
fastet, mit Kreide oder Bleyweiß auf Papier zeichnen,
hernach auf ein mit einer öhlickten Färb gegründtes Tuch
den Umriß, sammt aller Zubehör auftragen, folgendes
wohl betrachten und mit tobten Farben (welches man Un-
termalen nennet) die noch befindlichen Fehler ausbeffern
heißen (?) und endlich, wann cs wohl trucken, mit Fleiß
übermalen und ansmachen. Solchen Prozeß halten auch
die Italiener, sonderlich wann sie nicht in Fresco arbei-
ten. Unsere Deutsche, haben mit sonderbarer Arbeitsam-
keit, ihre Werke vollbracht, wie zu sehen in den Stücken
Albrecht Dürers, Holbeins und Anderer, in welchen auch
die geringste Haare ganz klar und rein ausgebildet er-
scheinen ; das dann in der Nähe wohl zu sehen ist. Diese
Sauberkeit ist löblich, und macht sich dem Gesicht, je lan-
ger, je mehr gefällig: zumal wann gute Manier, Geist
und Tapferkeit dabey, und wann alles auch in der Weite
recht zu erkennen ist. Dann, wann solche Stücke auf die
Ferne nichts verlieren, mögen sie wohl vor sonders ruhm-
würdig gehalten werden. Also beflisse sich in seiner Ju-
gend und besten Zeit, der berühmte Tizian, alles sauber
l a t r.
. D onnerstag.
den 19. Z a n u a r i 8 2 6.
Auszüge aus Joachim von Sandrarts- deutscher
Akademie.
Joachim von Sandra rt, ein Mann von billi-
gem Sinn und gesundem deutschem Verstände, doch, wie
seine Gemälde fürchten lassen, mehr mit Empfänglichkeit
für die Leistungen Andrer, als mit eigenem ausgezeich-
netem Knnsttalente ausgerüstet, schrieb um die Mitte des
17len Jahrhunderts ein weitläuftiges Werk, welches
theils Auszüge und Uebersctzungen ans italienischen und
uiederländischen Kunstschriften enthält, deren Werth ge-
ring ist, theils aber auch seine eigenen Lebenserfahrun-
gen und Reflerioneu,. welche historisch und künstlerisch
betrachtet unschätzbar sind. Das wiederholt abgezogene
Buch ist allenthalben zu finden und daher Jedem zugäng-
lich. Wenige indeß werden sich überwinden können, in
dem Schwulste und in den Weitschweifigkeiten des starken
Folianten ans die Achrenlese anszugehen. Ich wünsche
durch nachstehende Auszüge das Andenken des wackeren
deutschen Kunstbnches vornehmlich den Künstlern zu er-
neuen , oder auch einem sachkundigen Schriftsteller Ver-
anlassung zu geben, daraus einen lesbaren Auszug alles
nicht Cvmpilirteu, sondern Selbsterlebten, Selbstgedachten
z>r Tage zu fördern.
R u m v h r.
Joachim von Sandrart, deutsche Akademie der edlen
Vau-Bild-und Malerepkünste rc. Nürnberg i6~5 in Fol.
I- Theils UI. Buch VI. Kap. S. 70.
Wann der junge Maler durch langes Sitzen über
den Vildereyen starrsüchtig und müde worden, so soll er da-
von etwas aussetzen und das Gemüthe wieder erfrischen,
weil auch ein starker Bogen, wann er stets gespannt ist,
zu zerspringen pfleget. Demnach, wann er von weitem
siebet, daß Hesperus dem Träume-Vater Morpheus den
schwarzen Mantel umleget, kann er seine Augen zur
Stunde mit Lethe's Naß besprengen, und sein Abend-
mahl in den Blumenreichen des kurznächtigen Sommers
mäßiglich einnehmen, damit er nach sanftem Schlafe, bep
ausgehender Morgenröthe, sich frisch und anfgeränmt be-
finde. Alsdann, wann er die Vogel in der Luft den
Morgen ansingen höret, soll er mit einem oder mehr
knnstliebendcn Gefährten bep Eröffnung der Stadtthore,
sich aufmachen, in den Schauplatz der Natur spazieren
und, zu Erleuchtung des Geistes, seine Augen in den
Feldern, Bäumen und Bächlein, in Bergen und Thä-
lern, in den Wiesen und Auen, weiden und z> Lehre
senden.
Kap. 7. S. 7r. Es gibt wackere Geister, welche,
als wohlerfahren, ihnen eine Idee von jeder Sache gleich
einbilden und dieselbe, ohne fernere Mittel (Studien)
ausmachen können. Solches aber ist nicht eines jeden
Thun, sondern eine absonderliche Gabe von meisterhaftem
Verstand: mag auch nur geschehen bep kleinen Werken von
wenig Bildern (Figuren) oder stillstchenden Sachen, daran
nicht viel gelegen ist.
Andere sind, die mit viel Arbeit und Bemühung
sich setzen und ihre Mepnung, was sie in Gedanken ge-
fastet, mit Kreide oder Bleyweiß auf Papier zeichnen,
hernach auf ein mit einer öhlickten Färb gegründtes Tuch
den Umriß, sammt aller Zubehör auftragen, folgendes
wohl betrachten und mit tobten Farben (welches man Un-
termalen nennet) die noch befindlichen Fehler ausbeffern
heißen (?) und endlich, wann cs wohl trucken, mit Fleiß
übermalen und ansmachen. Solchen Prozeß halten auch
die Italiener, sonderlich wann sie nicht in Fresco arbei-
ten. Unsere Deutsche, haben mit sonderbarer Arbeitsam-
keit, ihre Werke vollbracht, wie zu sehen in den Stücken
Albrecht Dürers, Holbeins und Anderer, in welchen auch
die geringste Haare ganz klar und rein ausgebildet er-
scheinen ; das dann in der Nähe wohl zu sehen ist. Diese
Sauberkeit ist löblich, und macht sich dem Gesicht, je lan-
ger, je mehr gefällig: zumal wann gute Manier, Geist
und Tapferkeit dabey, und wann alles auch in der Weite
recht zu erkennen ist. Dann, wann solche Stücke auf die
Ferne nichts verlieren, mögen sie wohl vor sonders ruhm-
würdig gehalten werden. Also beflisse sich in seiner Ju-
gend und besten Zeit, der berühmte Tizian, alles sauber