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Greller sind die Contraste, und umfassender sind die
Anregungen in der Kirche S. Ambragio, in welche wir
«ns von S. Celso aus begaben. Durch Werke des grauen
Alterthumes, durch Hciligthümer aus großen, heroischen
Zeiten der Kirche — die unter dem, was sich in folgen-
den Jahrhunderten darum angebildet hat, immer in ehr-
furchtgebietender Einsamkeit dastehen — schöpft hier der
Geist eine tiefer cinwirkende Anregung, deren vorherr-
schendes Element das religiöse ist. Wie wunder- und
ehrbar ist nicht schon der Hauptaltar zu schauen mit sei-
nem aus Backstein mit Vergoldungen gebildeten, auf
vier Porphyrsaulen ruhenden Dache. Und dann der bi-
schöfliche Stuhl Skt. Ambrost'i, des Weisheit- und muth-
vollen, erleuchteten Streiters für Christus! Wer käme
ohne erhebende Rührung wieder aus der unterirdischen
Kapelle der heil. Marcellina hervor? Wer stünde hier
ohne tiefe Bewegung vor jenem Thore, von dem der Bi-
schoff den Kaiser zurückgewiesen? Der Eingang zu dieser
Kirche ist im ältesten Style ; im Vorhofe zeigen sich ur-
alte christliche Fresken; daneben wieder heidnische Jn-
. fchriften. In jenem sind Köpft mit verweinten Augen,
die bep aller Kindheit des Machwerks, doch fast das
Herz erschüttern. Die Kuppel der Kirche ist mit alten
Mosaiken geziert. Unten steht die Cathedra des heil.
Ambros — zugleich das Grab des Stilicha. Auch Bette
und Grab Skt. Satyrus. Ferner das Grab der heil.
Valeria. Und dann sieht man wieder Bilder von Gau-
denzio und Luini, und Fresken von Tiepolo und Scorta,
und eine allerliebste Kapelle mit Werken des Pacetti.
So wird der Geist hier wundersam gezwungen, mehr als
«in Jahrtausend zu durchmessen; und wenn sich-die Kunst
hier nicht mehr recht geltend machen kann-, da die Er-
eignisse, die hier bezeichnet sind, sich Ehrfurcht gebietend
gewaltsam hervordrängen—so wird man dafür durch das
Gefühl einer erhebendem und rührenden Sehnsucht ent-
schädigt. —

Am riten.

Ein Paar tüchtige Männer, vor welchen ich Respekt
bekommen , sind der Cesar- Procaceini und Danielle
Crespi. Nach- dem leztern war ich- schon auf der Brera
lüstern geworden-; . und nun alla- Passivni ward er mir
vollauf zu Theile. Hierhat er in ly-Bildnissen dortiger
Canoniker so- recht seine Virtuosität an- den- Tag gelegt.
Er tritt in seinem Werken- durchaus hervor als der sich
fühlende, sichere, freye Manm Seine- Zeichnung stießt
in prächtigen, bestimmten, verstandenen Zügen; sein Co-
lorit ifr markig, kraftvoll, klar und- gediegen; die Beleuch-
tung- ist in gut motivirte, stattliche und wirkungsvolle
Massen uert&eüt;: Behandlung und- Schl zeigen den- ins
Große und Freye strebenden' Geist-;; dir Formen sind-edel
rluiL eben- klassisch z«. ftpn ;; Alles ist noch durch ein. fri-

sches Leben gehalten, aus der Natur geschöpft und be-
gründet. Und doch streift das Ganze schon an die Ma-
nier. Solche Männer konnten eben mit ihrem gesunden
Sinne und kräftigen Gaben, und weil bey ihnen noch Al-
les von Innen heraus wirkte — sich auf der Höhe der
Standpunkte halten; aber jene, die schwächer ausgerüstet,
es ihnen nachthun wollten, versanken in alle die Sün-
den einer unfrepen, von der Quelle getrennten — Nach-
ahmung.

Mit dem Procaceini ist mir aber ganz was Eigenes
begegnet, das mir fast alle Lust am Spstemahisiren ver-
dorben hätte. Ich hatte mir nämlich so in Gedanken
eine leidliche historische Uebersicht der Kindheit, der Blü-
the, des Verfalles dieser Schulen gebildet; war über das»
was jeder Epoche vorzüglich zu Gute komnre, ziemlich
einig mit mir selbst geworden. Dabey war denn dem
Luini und feinem Geistesverwandten die Gabe: das zar-
te, jungfräuliche, sinnige und sittige innere Leben der
Seele mit Geist, Anmuth und naiver Grazie darzu-
stellen — vorzugsweise, ja fast ausschließlich znerkannt.
Und nun kömmt mir das Bild der heil. Rofalie von
Procaccini in den Weg mit all' dieser himmlischen Schön-
heit des Ausdrucks, mit dieser unergründlichen Tieft dev
Empfindung, mit diesem hinreißenden Liebreize in Form-
Bewegung, Attitüde; und ich habe nun Alles, was jene
Alten- gewollt und versucht haben, da beysammen, und
noch dazu diese Meisterschaft, diesen Verstand, diese
Freyhcit und Vollendung in der Ausführnng! Wahrlich
die großen Künstler haben in allen Zeiten dasselbe ge-
wollt, aber nicht alle- dasselbe gekonnt; mit dem Mach-
werke haften sie an ihrer Zeit, mit der ivnern eigent-
lichen Natur ihres Geistes gehören- sie alle nur einer Zeit
— vielmehr der Ewigkeit an.

In Madonna delle Grazie ward ich auch um ein
schönes Stück meiner Hoffnungen betrogen. Es ist denn
doch gar zu wenig von dem Aechten und Ursprünglichen
des Werkes übrig, um- eine aufrichtige Begeisterung zu-
empflnden. Zum Glücke kennt man diesen Leonardo durch-
andere Werke und Nachrichten so gut, daß man über-
das, was er mit dieser Cena geleistet hat, sich Gewiß-
heit verschaffen kann. Wenn man also das, was man
sonst über- ihn weiß, mit yinznbringt, so lernt man ihn
fteyllch vor diesem Werke in seiner ganzen, imposanten
Größe kennen. Es war bep weitem sein Hauptwerk, lind-
er hat den ganzen Inbegriff feiner Kunstphiloföpbie in
dasselbe hinemgelegk. Daher werden die- Freunde der-
Kunst, so lange nur immer noch eine- Spur davon übrig-
ist, mit einer gewissen artistischen Andacht bieder, als
zu dein Nachlasse eines großen, von Mit- und Nachwelt
gefty.erten Bildurrs, wallfahrten. —
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