Nr. i
K u n ft - B l a t t.
Montag, d e n i. Januar 1827.
Ucbcr Wcscn, Umfang und Vortrag der Aesthetik.
Eine Rede, beym Antritt der Professur der
Aesthetik an der Ludwig - Marimilia ns-
Universität in München,
geholten am 27, November 18:6.
Vom Herausgeber.
Unter die Wissenschaften, deren Gränzen unbestimmt
sind und deren Vortrag theoretisch oder praktisch erfaßt,
in rein philosophischer oder in angewandter Form, sehr
verschiedene Resultate hervorbringt, gehört die Aesthe-
til. Eine neuere Disciplin, trägt sie für das große
Gebiet, welches sie gewonnen hat, eine zu enge Bezeich-
nung und wird deßhalb oft einseitig beurtheilt, obgleich
sie, richtig erkannt und in der Ausdehnung gepflegt,
deren sie fähig ist, den unschätzbarsten Vvrtheil für die
allgemeine Bildung gewährt. Es sep nur daher erlaubt
in einigen Andeutungen von dem Wesen, dem Um-
fang und dem Vortrag dieser Wissenschaft zu handeln.
Acsihctica, wird von dem Ersten, welcher ihr Sy-
stem begründet bat, Baumgarten, als Wissenschaft der
sinnlichen Erkenntniß, scientia cognitionis i.nsitivae,
deflnirt. Die sinnliche Erkeuntniß oder Empfindung
aber ist, wo sie in Verbindung mit den Ideen des Gei-
stes tritt, auf das Schöne gerichtet, und die Wissen-
schaft der sinnlichen Erkennrniß wäre demnach die Wis-
senschaft von den Wirkungen des Schonen
auf die menschliche Empfindung. Hicbep tritt
aber die doppelte Schwierigkeit ein, daß die Wissenschaft
weder das Schone als Absolutes erkennen, noch das
Wesen der Empfindung vollkommen erläutern und zer-
gliedern kann, daß sie bepde blos in Erscheinungen und
Wirkungen wahrzunehmen vermag. Wir haben keine
Anschauung von dem Schönen in Abstracto, wir erken-
nen es nur in Concreto an den Werken der Natur und
an denen, welche mir selbst aus unserm geistigen Vermö-
gen gestalten, und wir bezeichnen böses mannichfaltige
Schöne nach den Verhältnissen der Empfindungen, die
cs uns erregt. Die inneren geistigen Gründe dieser
Empfindungen aber zu erforschen,- ist uns eben so wenig
vergönnt; wir können nur Arten und Stufen derselben
bezeichnen und beschreiben, Dennoch bleibt das Studium
des menschlichen Empfindungsvermögens nach seinen Be-
ziehungen, Aenßerungen und Wirkungen ein nothwen-
diger Gegenstand philosophischer Betrachtung und einer
der anziehendsten Theile der Psychologie.
Umfassender als jene erste Definition der Aesthetik
ist die zwepte, schon von demselben Verfasser aufgestellte,
welche sie als theoria libcralium artiura, ars pulchre
cogitandi bezeichnet. Betrachten wir nämlich das Schö-
ne, welches nicht durch die Natur gegeben, sondern von
dem menschlichen Geist aus eigenem Vermögen gestaltet
wird, so eröffnet sich die Untersuchung einer Thätigkeit,
welche durch das Zusammenwirken verschiedenartiger
Seelenkräfte und Fähigkeiten entsteht. Die Vernunft
gibt die Idee, der Verstand den Begriff, die Phantasie
das Bild, und die aufgeregte Empfindung entwickelt die
Kraft, dich alles in eine Darstetluug zu vereinigen, die
als ein mit dem Reize der Schönheit begabtes Werk an-
spricht und die ihr eingeprägte Jdea versinnlicht. Jene
Tdätigkeit heißt K u n st und was sie hervorbringt K u n st-
werk. Da nun das mannichfaltige Schöne, welches der
menschliche Geist selbst gestaltet, der nächste und anzie-
hendste Gegenstand für die philosophische Untersuchung
seyn muß, wird die Aesthetik zur Theorie der Kunst,
indem sie theils die Eigenthümlichkeit der schaffenden
Gcistesthätigkeiten und ihr Verbältniß unter einander
und zu der Außenwelt, theils die Verschiedenheit ihrer
Aenßerungen betrachtet, und die einzelnen Gattungen
der Kunst, welche dadurch hervorgebracht werden, ihrem
We^en nach zu erklären sucht- So theilt sie sich in eben
so viele besondere Theorien, welche sich den allgemeinen
Grundsätzen der schönen Darstellung nnterorbnen.
Eine jede derselben sucht nachzuweisen, wie jede beson-
dere Kunstart die obersten Grundsätze aller Knust inner-
halb ihrer Gränzen in Anwendung bringt, welche Dor-
tbeile und welche Beschränkungen ihr durch die Beschas-
j senheic ihrer Darstellungsmittel zugelheilt seyen, und
K u n ft - B l a t t.
Montag, d e n i. Januar 1827.
Ucbcr Wcscn, Umfang und Vortrag der Aesthetik.
Eine Rede, beym Antritt der Professur der
Aesthetik an der Ludwig - Marimilia ns-
Universität in München,
geholten am 27, November 18:6.
Vom Herausgeber.
Unter die Wissenschaften, deren Gränzen unbestimmt
sind und deren Vortrag theoretisch oder praktisch erfaßt,
in rein philosophischer oder in angewandter Form, sehr
verschiedene Resultate hervorbringt, gehört die Aesthe-
til. Eine neuere Disciplin, trägt sie für das große
Gebiet, welches sie gewonnen hat, eine zu enge Bezeich-
nung und wird deßhalb oft einseitig beurtheilt, obgleich
sie, richtig erkannt und in der Ausdehnung gepflegt,
deren sie fähig ist, den unschätzbarsten Vvrtheil für die
allgemeine Bildung gewährt. Es sep nur daher erlaubt
in einigen Andeutungen von dem Wesen, dem Um-
fang und dem Vortrag dieser Wissenschaft zu handeln.
Acsihctica, wird von dem Ersten, welcher ihr Sy-
stem begründet bat, Baumgarten, als Wissenschaft der
sinnlichen Erkenntniß, scientia cognitionis i.nsitivae,
deflnirt. Die sinnliche Erkeuntniß oder Empfindung
aber ist, wo sie in Verbindung mit den Ideen des Gei-
stes tritt, auf das Schöne gerichtet, und die Wissen-
schaft der sinnlichen Erkennrniß wäre demnach die Wis-
senschaft von den Wirkungen des Schonen
auf die menschliche Empfindung. Hicbep tritt
aber die doppelte Schwierigkeit ein, daß die Wissenschaft
weder das Schone als Absolutes erkennen, noch das
Wesen der Empfindung vollkommen erläutern und zer-
gliedern kann, daß sie bepde blos in Erscheinungen und
Wirkungen wahrzunehmen vermag. Wir haben keine
Anschauung von dem Schönen in Abstracto, wir erken-
nen es nur in Concreto an den Werken der Natur und
an denen, welche mir selbst aus unserm geistigen Vermö-
gen gestalten, und wir bezeichnen böses mannichfaltige
Schöne nach den Verhältnissen der Empfindungen, die
cs uns erregt. Die inneren geistigen Gründe dieser
Empfindungen aber zu erforschen,- ist uns eben so wenig
vergönnt; wir können nur Arten und Stufen derselben
bezeichnen und beschreiben, Dennoch bleibt das Studium
des menschlichen Empfindungsvermögens nach seinen Be-
ziehungen, Aenßerungen und Wirkungen ein nothwen-
diger Gegenstand philosophischer Betrachtung und einer
der anziehendsten Theile der Psychologie.
Umfassender als jene erste Definition der Aesthetik
ist die zwepte, schon von demselben Verfasser aufgestellte,
welche sie als theoria libcralium artiura, ars pulchre
cogitandi bezeichnet. Betrachten wir nämlich das Schö-
ne, welches nicht durch die Natur gegeben, sondern von
dem menschlichen Geist aus eigenem Vermögen gestaltet
wird, so eröffnet sich die Untersuchung einer Thätigkeit,
welche durch das Zusammenwirken verschiedenartiger
Seelenkräfte und Fähigkeiten entsteht. Die Vernunft
gibt die Idee, der Verstand den Begriff, die Phantasie
das Bild, und die aufgeregte Empfindung entwickelt die
Kraft, dich alles in eine Darstetluug zu vereinigen, die
als ein mit dem Reize der Schönheit begabtes Werk an-
spricht und die ihr eingeprägte Jdea versinnlicht. Jene
Tdätigkeit heißt K u n st und was sie hervorbringt K u n st-
werk. Da nun das mannichfaltige Schöne, welches der
menschliche Geist selbst gestaltet, der nächste und anzie-
hendste Gegenstand für die philosophische Untersuchung
seyn muß, wird die Aesthetik zur Theorie der Kunst,
indem sie theils die Eigenthümlichkeit der schaffenden
Gcistesthätigkeiten und ihr Verbältniß unter einander
und zu der Außenwelt, theils die Verschiedenheit ihrer
Aenßerungen betrachtet, und die einzelnen Gattungen
der Kunst, welche dadurch hervorgebracht werden, ihrem
We^en nach zu erklären sucht- So theilt sie sich in eben
so viele besondere Theorien, welche sich den allgemeinen
Grundsätzen der schönen Darstellung nnterorbnen.
Eine jede derselben sucht nachzuweisen, wie jede beson-
dere Kunstart die obersten Grundsätze aller Knust inner-
halb ihrer Gränzen in Anwendung bringt, welche Dor-
tbeile und welche Beschränkungen ihr durch die Beschas-
j senheic ihrer Darstellungsmittel zugelheilt seyen, und