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Kunstchronik und Kunstliteratur — 65.1931/​1932

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Heft 11/12 (Februar-März 1932)
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KUNSTCHRONIK UND KUNSTLITERATUR

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erhoben, als eines feurig-kräftigen Daseins gewiß. Seine
Stärke lag im Volksmäßigen, dessen höchste und beste
Stufe er hielt und das er so gut in den würdigen und mann-
haften, ganz von edler Sorge ergriffenen Gestalten des
Christoph und Sebastian in Ulm, wie in den ein wenig
kurzwüchsigen - die Köpfe bezeugen cs für die fehlenden
Leiber —, aber so mitfühlenden Engeln in Ravensburg, in
den überzeugten Gestalten in Chur, in den menschen-
freundlich warmherzigen Büsten in Zabcrn, in den überlegen
geschaffenen, so liebend wirklichen und herzhaften Straß-
burger Rüsten und in den mächtigen, gewaltig bezeugenden
Männern des Isenheimer Altars zur Anschauung bringt.
Sind die frühesten Köpfe in Ulm mit sicherem, doch
behutsamem Meißel geschaffen, bei wirklich plastischem
Grundmaß dem feinen Linienwerk des Lebens sorgsam
nachgehend, so ist in Chur — mehr als 10 Jahre später —
fast ungeduldig, mit gewachsenem Willen und ganz ge-
schlossener Kraft in heftig erregter Form, in energischen
Wölbungen der Fläche das Leben erfaßt, woran der Zaberner
Stil unmittelbar anschließt, nur eigentlich dadurch von
Chur sich unterscheidend, daß die so aufgewachsene Energie
hier mehr verborgen gerade an der gereifteren Gelassen-
heit erkannt werden kann. Über Zabcrn hinaus bedeuten
die Straßburger Büsten das souveräne Vermögen, im mäch-
tigen Zusammenhalt der Formen, im ganz körperlichen
Sehen mit der Festigkeit jedes Zuges die letzte Bestimmt-
heit zu erreichen, während in Isenheim die Erschütterung
von Chur wieder aufleuchtet, aber im aufgeschlosseneren
Vortrag, mit derselben Lebensdichtigkeit reicher an Einzel-
zügen, menschlich ausgebreitetcr.
So erweist sich das vonVöge gezeichnete Werk des Niklas
Hagnower als festbegründet, ja vielleicht wird es sogar im
Laufe der Zeit sich noch bereichern lassen. Sollte nicht das
Heilige Grab in Schlettstadt (Ztschr. Gesch. Oberrheins,
N. F., Bd. 43, S. 74) auch irgendwie aus der Nähe unseres
Hagenauers zu verstehen sein? Walther Greischel
Magdalene Rudolph, Die Erfurter Steinplastik
des 15. Jahrhunderts. Straßburg 1930.
Die Untersuchungen über Erfurter Plastik, die eine
Ordnung der zahlreichen und zum Teil hochwertigen
plastischen Kunstdenkmäler in Thüringen versuchen,
haben jetzt (für die Erfurter Steinplastik des 15. Jahr-
hunderts) einen Abschluß in der — nach Resultat und For-
mulierung gleich glänzenden — Arbeit von Magdalene
Rudolph gefunden.
Magdalene Rudolph gibt aus der Kenntnis des Zeitstiles
und der lokalen Zusammenhänge heraus eine überzeugende
Gruppierung der Werke nach Meistern und Schulen. Das
Werk der führenden Künstler wird von den phantastischen
Zuschreibungen belangloser und andersartiger Bildwerke,
die fast mit jeder neuen Untersuchung dazu gekommen
waren, befreit. Die Beziehungen nach auswärts werden
untersucht und abgewogen. Die Künstlerpersönlichkeiten
selbst werden lebendig durch ein Beschreiben der Werke,
das immer zur Deutung strebt, aus der die Verfasserin
(mit einer — im besten Sinne — weiblichen Einfühlungs-
fähigkeit) oft geradezu dichterische Werte gewinnt. Dabei
bleibt sie stets an und in den Grenzen des Objektiven.
Die große heimische Tradition des 14. Jahrhunderts ist
(immer durch Einflüsse von auswärts bereichert, doch im
Wesen nie gestört) die Grundlage der Erfurter Steinbild-
hauerei bis in das letzte Drittel des 15. Jahrhunderts. Die
Steinplastik nach 1470 berücksichtigt Magdalene Rudolph
nicht mehr. Mit Recht, denn die späteren Werke stehen
ohne Zusammenhang mit dieser heimischen Tradition, aber
unter dem Einfluß von Schnitzerwerkstätten, die in Erfurt
selbst erst seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts
nachweisbar sind. Bis zu diesem Bruch in der Erfurter
Kunstentwicklung, der gleichzeitig ein verhängnisvolles Ab-
sinken in der Qualität einleitet, führt die Untersuchung.
Im ersten Drittel des Jahrhunderts sind die „Meister I“
und der „Monogrammist TR“, die sich wechselseitig be-

einflussen und steigern, die entscheidenden Meister. Am
Beginn dieser frühen Zeit des „Weichen Stiles“ steht der
„Meister des Saalfeld-Epitaphs“, ein Meister geringeren
Ranges, aber durch seinen Zusammenhang mit nieder-
ländischer Kunst wichtig als Mittler neuer Formwelten.
An ihrem Ende, um 1430, stehen als Höhepunkt der lokalen
Entwicklung und zugleich mitbestimmt durch neue Ein-
flüsse aus dem böhmischen Kunstkreise die kostbaren Ala-
baster-Apostel im Dommuseum, die zu den schönsten
Werken der deutschen Kunst des Mittelalters gehören.
Dieser „Weiche Stil“ lebt in zahlreichen und bisweilen
überaus reizvollen Werken (Rebstock-Madonna) bis in die
50er Jahre des 15. Jahrhunderts in Erfurt weiter, nur wenig
von der Zeit gewandelt, überaltert in seiner Formgebung.
Die revolutionäre Bewegung, die gegen ihn um 1450 in der
Erfurter Plastik einsetzt, ist kontinuierliche Entwicklung
und Bruch zugleich. Nicht nur eigentümliche Themen (des
Epitaphs etwa), sondern auch besondere Gestaltungsarten
der Erfurter Kunsttradition werden aufgegriffen und weiter
geführt: nur umgebogen durch die neue Form und verwan-
delt durch die andere Gesinnung. Träger dieser Entwicklung,
die wiederum von auswärts (Niederlande) Anregungen zu
gewinnen scheint, sind zwei Meister von Rang: der „Meister
des Rosenzweigepitaphs“ und der „Alabastermeister von
1467“, dessen Arbeiten sich in Erfurt, Halberstadt und
Magdeburg befinden. Am Ende dieser Entwicklung steht
als Schulwerk der monumentale Taufstein in der Severi-
kirche aus dem gleichen Jahre. Herbert Kunze
Rudolf Schnellbach, Spätgotische Plastik im
unteren Neckargebiet. Heidelberg, C. Winter, 1931.
Die Untersuchung beginnt mit dem Kiliansaltar in Heil-
bronn und dessen mutmaßlichem Meister Hans Syfer oder
Seyfer. Die engen Beziehungen des Altars zum Öberrhein
werden im einzelnen nachgewiesen und die schon immer
ausgesprochene Vermutung, der junge Konrad Meit von
Worms habe mitgearbeitet, zur sicheren Behauptung ver-
dichtet. Diesem Hauptwerk werden frühere und spätere
Arbeiten angegliedert, so daß sich ein neues Bild vom Ent-
wicklungsgänge Syfers ergibt, mit dessen Tätigkeit und
Einflußsphäre die Heilbronner spätgotische Plastik im
wesentlichen erschöpft ist. — In Heidelberg haben sich fast
ausschließlich Grabdenkmäler erhalten. Sie bilden eine
einigermaßen geschlossene Gruppe, deren Führer, der
Meister des Doppelgrabes des Hans von Ingelheim und der
Margarete von Handschuhsheim, in seiner Bedeutung für
die Geschichte der spätgotischen Plastik Deutschlands
schärfer als bisher beleuchtet wird. - Die kleineren Orte
haben Eigenes kaum zu bieten. Ihr Bestand sondert sich in
zwei hier getrennt untersuchte und zeitlich geordnete Grup-
pen: Arbeiten schwäbisch-fränkischer und Arbeiten rhei-
nischer Herkunft. - In einem besonderen Kapitel sind die
Grabdenkmäler außerhalb Heidelbergs behandelt; unter
ihnen konnten nur ansatzweise da und dort Gruppierungs-
versuche gemacht werden. Ein beschreibender Katalog der
wichtigsten Denkmäler schließt das Ganze ab. Namentlich
die letzten Kapitel bringen viel neues, vom Verfasser selbst
aufgenommenes Material in ausgezeichneten Autotypien,
so daß unsere Kenntnis spätgotischer Plastik Deutschlands
von ca. 1480-1520 wesentlich bereichert wird. Jahn
Naumann, Hans Heinrich, Das Grünewaldproblem
und das neuentdeckte Selbs tbildnis des zwanzig-
jährigen Mathis Nithart aus dem Jahre 1475.
Jena 1930, Eugen Diederichs.
Fcurstein, Heinrich, Matthias Grünewald. Bonna.R.
1930, Verlag der Buchgemeinde.
Naumanns temperamentvoll mit zunächst bestechend er-
scheinenden Folgerungen vorgetragene Konstruktion eines
siebzigjährigen Künstlerlebens, in dessen letzte Periode sich
das einordnen ließe, was man bisher von Grünewald wußte,
 
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