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Kunstchronik und Kunstliteratur — 65.1931/​1932

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Heft 11/12 (Februar-März 1932)
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KUNSTCHRONIK UND KUNSTLITERATUR

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Montague Rhodes James, The Apocalypse in Art.
London, 1931 (The Schweich Lectures of the British
Academy, 1927).
Der Verfasser hat einen großen Teil der englischen Hand-
schriftensammlungen katalogisiert; er beschäftigt sich seit
vielen Jahren mit den Bilderhandschriften der Apokalypse,
von denen er drei wichtige veröffentlicht hat. Er stellt in
den Anfang des vorliegenden Buches ein Verzeichnis der
Darstellungen apokalyptischer Bilderfolgen in mittel-
alterlichen Kunstwerken, das für die .Periode bis 1200 zehn,
für die von 1200-1500 reichende Zeit 92 Nummern umfaßt.
Das Verzeichnis, mit Recht als unvollständig bezeichnet,
ist das vollständigste, das bisher veröffentlicht wurde, und
deshalb eine wertvolle Grundlage für die Forschung.
In den Vorträgen, die im Anschluß an das Verzeichnis
gedruckt sind, gibt der Verfasser einen Überblick über die
Geschichte der Verwendung apokalyptischer Darstellungen
in der bildenden Kunst. Die frühmittelalterlichen Denk-
mäler werden nur gestreift, eingehender sind diejenigen des
13. und 14. Jahrhunderts behandelt, in erster Linie die
englisch-französischen Bilderhandschriften. Die Forschungen
Delisles und Paul Meyers ausbauend, stellt James die Grup-
pen zusammen, sucht ihr Verwandtschaftsverhältnis auf-
zuklären und ihre Heimat festzulegen; er möchte bei allen
Erfindung und Redaktion für England in Anspruch nehmen
und nennt an Skriptorien: St. Albans, Westminster Abbey,
Canterbury, Peterborough. Der zusammenfassende Überblick,
der in diesem Abschnitt gegeben wird, ist nützlich und an-
regend. Mit einem Ausblick auf die außerordentliche Wirkung
der Dürerschen Kompositionen schließen die Vorträge, denen
leider keine Abbildungen beigegeben wurden. In den Anmer-
kungen sind die Bilderfolgen einiger bisher ungenügend be-
kannter Handschriften beschrieben. Willi. Köhler
Wilhelm Vöge, Niclas Hagno wer. Der Meister des
Isenheimer Hochaltars und seine Frühwerke. Urban-
Verlag. Freiburg im Breisgau 1931.
Nach dem 1617 erschienenen Straßburger Münsterführer
des Sehadäus ist der Fronaltar 1501 von Niklaus von
Hagenaw gemacht, und der beigegebene Brunnschc Stich
dieses Altars läßt die Meisterbezeichnung Niklaus von
Hagen . . . erkennen. Diesen Niklaus hat Hans Rott in Ur-
kunden als in Straßburg hochgeachteten Bildhauer nach-
gewiesen, und er hat auch eine Quittung von 1501 über eine
Zahlung für den Fronaltar ans Licht gezogen, die Veit und
Paul Hagenower, Brüder des Bildhauers, als Lieferanten
des Altars erweist. Sic waren die Schreiner des Werkes,
wohl auch Schnitzer, Niklaus offenbar der das Unternehmen
künstlerisch beherrschende Bildhauer.
Reste dieses 1681 abgebrochenen Altars sind drei Holz-
plastiken in Straßburg, die sich durch ihren Stil als Werke
einer Hand ausweisen: die Beweinung in St. Stephan
(auf dem Stich unzweifelhaft das Mittelstück der Predella)
und die beiden jüngeren Büsten in St. Marx, deren Platz
Vöge auf dem Stich überzeugend nachweist (S. 95, Tafel 41).
Die genauesten Vergleichsstücke finden sich am Isenheimer
Altar, dessen Schreinskulpturen — bis auf die Apostel der
Predella —ganz einheitlich sind. Ferner lassen sich die Zaberner
Büsten von denen in St. Marx stilistisch so wenig trennen
wie vom Isenheimer Altar. Auch für Zabern ist die Werk-
statt der Hagenauer Brüder erwiesen, denn in einer Ur-
kunde vom 6. Mai 1486 sagt Veyt, schryncr von Hagenow:
„die täfel in dem stift zu Zabern, so ich und min brüder in
verdinge angenommen“. Diese Brüder sind zweifellos der
für den Fronaltar festgelegte Paul und Niklaus, der das
Schnitzwerk an einer sehr auffälligen Stelle mit seinem
Namen bezeichnet hat. Ihre Werkstatt hat außerdem für
die Zaberner Stiftskirche den Altar der Grabkapelle des
Straßburger Bischofs Albrecht geschaffen (die Apostel-
gruppe von der Himmelfahrt Mariä ist erhalten), während
das verschollene steinerne Bischofsgrab von Meister Niklas
Bildhauer gefertigt war.

Auch in dem Künstlerbildnis auf der südlichen Quer-
schiffgalerie des Straßburger Münsters wird man ein Werk
des Meisters Niklas und wohl sogar ein Selbstbildnis er-
kennen. Die steinerne Büste steht besonders den Zaberner
Werken nahe und das stimmt wieder zu ihrer zeitlichen
Einordnung durch Vöge in die Jahre kurz nach 1491, denn
die Galerie zeigt die Art Hans Hammers, der bis 1491
Straßburger Münsterwerkmeister war, und ist wohl noch
von ihm entworfen. Die Hagenauer Werkstatt aber kann
eine ganze Reihe von Jahren für das Zaberner Stift gearbeitet
haben, denn noch 1494 ist in der Grabkapelle gebaut worden.
Niklaus von Hagenow, der noch bis 1526 in Straßburg
nachweisbar ist, schuf also zwischen 1486 und etwa 1495
in Zabern den Hochaltar des Stiftes, von dem die vier
Bischofsbüsten erhalten sind, und das Bischofsgrab; um
1495 das Selbstbildnis im Straßburger Münster; 1501 den
Straßburger Fronaltar und um 1501 bis um 1505 die Bild-
werke des zunächst ohne Grünewalds Gemälde auf gestellten
Isenheimer Altares, denen sicher die beiden Bauern der
Sammlung Böhler einzufügen sind, während die Apostel
der Predella nicht von Nikolaus stammen. Ein Altar in
Vimbuch von 1506, auf dessen Rückseite der Name Niclavs
von Hagenow steht, kann nicht als eigenhändig gelten.
Die beiden davon erhaltenen Apostel — das Mittelstück
fehlt — dürfen nach Rotts Urkundenveröffentlichungen
nicht mehr dazu benutzt werden, den Namen des Niklaus
vom Isenheimer Altar zu lösen. Sie verhalten sich zum
eigenhändigen Werke ähnlich wie die Isenheimer Apostel.
Den Werken des Nikolaus Hagnower schließt Vöge
Arbeiten an, die zweifellos von einem Meister sind: Das
Ulmer Sakramentshaus im ausgeführten Entwurf seines
gesamten Aufbaues mit den Heiligen Sebastian und Chri-
stoph unter den Treppen, acht kleineren Standbildern
am Geländer, sieben Flachbildern auf den Brüstungen,
dem Getier an den Treppenbrüstungen und am Schrein-
gesims und den beiden schwebenden Engeln auf diesem
(um 1467—73); zwei Konsolen mit Brustbildern von Engeln,
die auf Schilden die „Waffen“ Christi halten, in St. Jodok
in Ravensburg (um 1475—80); sowie das Sakramentshaus
(von 1484) des Domes in Chur mit seinem figürlichen
Schmuck. Sehr kühn führt sie Vöge als frühe Werke des
Niklaus ein. Urkunden fehlen hier. Aber so dankenswert
und erfolgreich Hans Rotts Forschungen waren: die Stil-
betrachtung war vorausgecilt. Vöges so sicherer Blick bewährt
sich auch in diesen neuen Feststellungen.
Der Tafelteil des Werkes ist eine Beweisführung für sich.
Vöge hat aufs sorgsamste durch Zusammenstellung von
Abbildungen den Nachweis der Zusammengehörigkeit von
„Frühwerk“ und „Spätwerk“ des Hagnowers erbracht. Es
findet sich einiges schlagend Zusammengehörige. So Tafel 18:
Papststatuette, Ulm — St. Augustinus, Kolmar; Tafel 25:
Schlafender Hirt, Ulm — Prophetenbüste, Straßburg; Tafeln
32/33: St. Lucius, Chur — St. Antonius, Kolmar; Tafeln 34/37:
St. Florinus, Chur — Bischofsbüste, Zabern.
Vöge weiß in unzähligen Einzelbetrachtungen seine Be-
weise zu führen. Die Beobachtung äußerer Anzeichen ist
diesem Meister der Stilbeurteilung erst die zweite, wenn
auch aufs gewissenhafteste wahrgenommene Sorge. Das
Wesentliche ist ihm der Blick für die menschlichen Grund-
arten, das, was nur durch Intuition erschaut werden kann.
Die Einheitlichkeit dieser inneren Wirklichkeit kann
dem von Vöge zusammengestellten Bildhauerwerk nicht
abgesprochen werden. Wir müßten denn annehmen, es sei
hier, nur etwa mit einem Altersunterschied, derselbe Bild-
hauergenius zweimal erstanden, in der Art etwa wie der
ältere Holbein im Jüngeren ein zweites Mal, nur schöner
und mächtiger erschienen ist - wenn nicht das Werk seine
eigene Folgerichtigkeit hätte. Mit dem inneren Wachs-
tum des Menschen ist auch der Stil, das Bildnerische gereift.
Vöge beobachtet, daß die süßen und lieblichen Züge im
Wesen dieses Bildners nicht gelegen haben. Er war scharf-
sichtig bis an die Grenze, wo über die holbeinisch mit-
leidlose Gerechtigkeit hinaus das Zerstörerische eines schon
fühllosen Sehens beginnt. Er war auch weniger seelisch
 
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